Grünen-Politiker über Bremer Koalition: „Jamaika war nie mein Traum“
Der Geschäftsführer der Grünen Michael Kellner begrüßt ein Linksbündnis in Bremen. Im Bund rät er zur Offenheit.
Herr Kellner, Sie nennen die Koalitionsverhandlungen Ihrer Partei mit SPD und Linken in Bremen ein „Signal“. Ist es auch ein Signal an den Bund?
Michael Kellner: Na, ich habe das erst mal nur auf Bremen bezogen. Meines Erachtens wäre es dort die richtige Koalition. Ich würde mich freuen, wenn es neben Thüringen und Berlin auch in einem westdeutschen Bundesland zu einem weiteren rot-grün-roten Bündnis kommt.
Zwei Umfragen sahen die Grünen zuletzt so stark, dass im Bund knappe Mehrheiten für ein Linksbündnis unter grüner Führung möglich scheinen. Lösen Sie die SPD als Volkspartei der linken Mitte ab?
Volksparteien sind für mich ein Konzept des 20. Jahrhunderts. Das bedeutet: Ecken und Kanten abschleifen, beliebig sein. Das sind wir nicht. Und noch etwas: Ich komme gerade aus Düsseldorf. Dort haben wir vor zwei Jahren noch um den Einzug in den Landtag gekämpft. In so instabilen Zeiten muss man sich alles immer neu erkämpfen. Deswegen darf man sich auf Umfragen nicht ausruhen, sondern muss kontinuierlich daran arbeiten, den Vertrauensvorschuss einzulösen.
Angesichts der Lage der Groko könnten sich die Grünen aber bald im Wahlkampf wiederfinden. Wäre es da nicht sinnvoll, klarzumachen, was die WählerInnen kriegen, wenn sie Grün wählen?
Das machen wir doch: Wer Grün wählt, kriegt echten Klimaschutz, sozialen Zusammenhalt, bezahlbare Mieten und eine klare Haltung gegen Rechtsextremisten.
Gerade diese Inhalte teilen Sie sich mit SPD und Linken. Warum sagen die Grünen nicht, dass ihnen ein Linksbündnis lieber wäre?
Lange Zeit war es so, dass der linke Flügel der Partei gesagt hat, Schwarz-Grün ist des Teufels und der andere Flügel hat gesagt, Rot-Rot-Grün ist des Teufels. Dass wir heute so eine gefestigte Partei sind, liegt auch daran, dass wir erwachsen geworden sind. Es ist doch so: Das Parteiensystem ist massiv in Bewegung, die alten Gewissheiten sind überholt. Wir besinnen uns nun auf uns selbst und unsere Inhalte. Jamaika war nie mein Traum. Aber ich habe das trotzdem vor zwei Jahren sehr ernsthaft sondiert – als Alternative zur Großen Koalition. Dass wir heute in der Lage sind, in verschiedenen Koalitionen zu koalieren, ist also eine Stärke.
Die Grünen profitieren gerade vom Image der Bewegungspartei, getragen von der Fridays-for-Future-Welle. Wird sich das abnutzten, falls Ihre Partei in Regierungsverantwortung kommt?
Die Grünen haben eine lange Tradition als Bewegungspartei. Unser Ziel war und ist es, Anliegen und Personen progressiver Bewegungen in die Politik reinzuholen. Und ich freu mich erst mal wahnsinnig über diese Politisierung. Wissen Sie, ich habe Wahlkämpfe 2014 und 2017 gemacht, da haben wir auf die gleiche Weise versucht, das Klimathema zu setzen. Aber es ist uns nicht gelungen, das Thema auf laut zu stellen. Erst danach ist die Klimakrise so richtig im Bewusstsein der Gesellschaft angekommen. Verspätet zahlt es sich aus, dass wir da schon so lange dran gearbeitet haben.
Michael Kellner, 42, ist seit 2013 politischer Geschäftsführer von Bündnis 90/Die Grünen. Er war Wahlkampfleiter für die Europawahl 2019.
Ein Streitpunkt in Bremen war die Lockerung der Schuldenbremse. Die Grünen waren dagegen, die Linke dafür. Jetzt haben Sie sich kürzlich in einem Interview ebenfalls für „Veränderungen“ bei der Schuldenbremse ausgesprochen.
Manchmal wird vergessen, dass die Grünen damals gegen die Einführung der Schuldenbremse gestimmt haben, weil sie Investitionen nicht berücksichtigt. Wir sehen doch im Land einen wahnsinnigen Investitionsbedarf. Insbesondere den Klimaschutz kriegen wir nicht vorangebracht ohne massive öffentliche Investitionen. Es ist toll, wenn sich Start-ups gründen und Innovation voranbringen, aber das alleine reicht nicht, wenn wir den Öffentlichen Nahverkehr stärken oder die nötige Infrastruktur für Elektromobilität aufbauen wollen. Grade in einer sich verschlechternden Konjunktur, ist es notwendig, zu investieren. Wir sollten unseren Kindern keine verrottete Infrastruktur hinterlassen, aber auch keine ruinierten Finanzen.
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