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Arbeiten auf Gefängnisbaustellen

Die Brüder von Süleyman Doğanay sitzen aus politischen Gründen im Gefängnis. Er selbst arbeitet auf Gefängnisbaustellen, um ihnen Geld zu schicken

Süleyman Doğanay mit den Wellensittichen, die aus dem Gefängnis geschmuggelt wurden Foto: Figen Güneş

Von Figen Güneş

Nach dem Zuckerfest bereitet sich der 21-jährige Süleyman Doğanay auf eine Reise vor. Er faltet die gewaschene und gebügelte Kleidung und stellt den Rucksack neben den Stapel. Er wird nach Afyon fahren, einer Stadt in der Westtürkei, 1.000 Kilometer entfernt von Diyarbakır, wo er mit seiner Mutter lebt. Dort wird er auf einer Gefängnisbaustelle arbeiten.

Ein Onkel von ihm arbeitet als Subunterunternehmer für große Baufirmen, die Gefängnisse bauen. In Diyarbakır wird gerade eines der größten Gefängnisse der Türkei gebaut. Dort wollte Doğanay aber nicht arbeiten, weil er denkt, dieses Gefängnis sei für politische Gefangene vorgesehen. Und weil ein weiterer Onkel von ihm und seine beiden älteren Brüder in einer dieser Haftanstalten sitzen, aus politischen Gründen.

Nach Angaben des Justizministeriums befinden sich derzeit über 264.000 Menschen in türkischen Gefängnissen. Bald nach dem Putschversuch vom 15. Juli 2016 reichte die Kapazität der Haftanstalten nicht mehr aus. Der Justizminister kündigte damals an, bis 2023 werde die Anzahl der Gefängnisse um 228 Neubauten mit 140.000 neuen Plätzen erhöht. Laut Berichten des Ministeriums sollen dafür rund 13 Milliarden Lira, also knapp 2 Milliarden Euro, ausgegeben werden. Einige der Anstalten sind noch im Bau. Landesweit sind inzwischen insgesamt 403 Haftanstalten in Betrieb, die Kapazität reicht aber noch immer nicht aus.

Vor dem Job in Afyon hat Doğanay bereits auf der Gefängnisbaustelle in Beşiri in der Provinz Batman gearbeitet. Doch als er vom Bauleiter erfuhr, dass dort politische Gefangene untergebracht werden sollen, schmiss er den Job hin. Ähnlich erging es ihm in Kırşehir. Anschließend war er sechs Monate lang arbeitslos.

Im Gefängnis wegen Kobanê-Aufständen

In der Zeit ohne Arbeit habe er zu Hause gesessen und sich um die Wellensittiche gekümmert, erzählt Doğanay. Die Vögel hält er in einem Käfig auf der Vitrine im Wohnzimmer. In derselben Vitrine stehen Fotos der inhaftierten Brüder und des Onkels, in der Mitte der Vitrine hängen zudem Fotos der 2016 verhafteten und seither inhaftierten damaligen HDP-Ko-Vorsitzenden Selahattin Demirtaş und Figen Yüksekdağ. Wie die Personen auf den Fotos, so Doğanay, lebten auch die Vögel in Gefangenschaft. Es seien Nachkommen der Vögel, die seine Brüder in dem Gefängnis in Bolu halten. Als die Küken geschlüpft waren, schmuggelten sie die Vögel aus dem Gefängnis, jemand schickte sie zu ihm nach Diyarbakır. Seine beiden Brüder waren im Zuge der politischen Prozesse nach den Kobanê-Aufständen am 6. und 7. Oktober 2014 in Diyarbakır verurteilt worden. Als die syrische Grenzstadt Kobanê vom IS belagert wurde, forderten die Menschen einen Korridor in die Stadt. Bei Protesten wurden 46 Personen getötet, auch in Diyarbakır.

Wäre er nicht dazu gezwungen, würde er niemals Gefängnisse bauen, erzählt Doğanay. Wenn er Arbeit hat, liegt sein Lohn nahe am Mindestlohn. Die Hälfte davon schickt er seinen Brüdern ins Gefängnis. Weil sie im Gefängnis in Bolu Strom und Wasser selbst zahlen müssten. Für die Mutter ist es schwierig, die beiden Söhne im fernen Bolu zu besuchen.

Rechtsanwalt Bünyamin Şeker von der Anwaltskammer Diyarbakır sagt, die Unterbringung der beiden Söhne weit von der Familie entfernt sei nicht konform mit den UN-Mindeststandards für die Behandlung Gefangener. Die sogenannten Nelson-Mandela-Regeln sehen vor, dass Gefangene Sportaktivitäten nachgehen können, Zugang zu Gesundheitsversorgung haben und dass Familienbesuche möglich sind.

Şeker sagt, dass bei den Gefängnisneubauten zudem zahlreiche Isolationszellen und Gummizellen gebaut würden, die auch als eine Methode der Bestrafung genutzt würden. „Boden, Decke und Wände sind in schmutzigem Türkis und Blau gehalten, sie sind schallisoliert. In Haftanstalten gibt es enorm viel Willkür. Wir erstatten Anzeige dagegen, aber es passiert rein gar nichts“, sagt Rechtsanwalt Şeker.

Manche erinnert das an die Willkürmaßnahmen im Gefängnis Nr. 5 in Diyarbakır nach dem Militärputsch von 1980. Jenes Gefängnis, das landesweit berühmt wurde als Ort der Folter an politischen Gefangenen. Eigentlich sollte dieses Foltergefängnis nicht mehr existieren. Kurz vor dem Verfassungsreferendum von 2010 war Recep Tayyip Erdoğan in seiner damaligen Funktion als Premierminister nach Diyarbakır gekommen und hatte verkündet, eine neue Haftanstalt werde gebaut und die alte Nummer 5 geschlossen: „Wir wollen nicht, dass sie uns durch ihre Existenz ständig an den Putsch von 1980 erinnert. Als die Putschisten riefen, es gebe keine Folter in der Türkei, hallten Schreie aus Zelle 5. Dieser Schmach setzen wir ein Ende.“

Doch das Gefängnis ist weiterhin in Betrieb. Und das neue Gefängnis von Diyarbakır verstehen viele Kurd*innen als zusätzliche Drohung.

Hungerstreik als Protest gegen Haftbedingungen

In türkischen Gefängnissen protestieren Häftlinge oft mit Hungerstreiks gegen die Haftbedingungen. Der jüngste Sammelhungerstreik für die Aufhebung der Isolation für den PKK-Chef Abdullah Öcalan wurde erst am 26. Mai beendet. Auch Süleyman Doğanays Brüder in Bolu und sein Onkel Yakup Akkan in der Haftanstalt Elazığ haben sich daran beteiligt.

Doğanay erzählt, sein Onkel habe 2014 in Kobani gegen den IS gekämpft, bei seiner Rückkehr in die Türkei sei er verhaftet worden, der Prozess liefe aber noch, seit über drei Jahren werde er hinter Gittern festgehalten. Das versteht er nicht. Doğanay sagt: „Dabei ist er eigentlich ein Freiheitskämpfer.“

Bevor er bei der Gefängnisbaustelle in Afyon anfängt, will er seinen Onkel Yakup Akkan im Gefängnis in Elazığ besuchen. Die Besuche bei ihm seien immer schwierig, berichtet er. Denn sein Onkel finde es nicht richtig, dass er und sein anderer Onkel Gefängnisse bauen. „Einmal erzählte ich nebenbei, dass ich die Gitter bei einer neuen Haftanstalt anstreiche. Da warf er mir vor: Wir brennen darauf, hinausschauen zu können, und du malst die Gitter an?“ Auch wenn der Onkel das im Spaß gesagt habe, treffen diese Worte Doğanay.

Deshalb hat er entschieden, nicht auf dem Bau von Gefängnissen zu arbeiten, in denen politische Gefangene festgehalten werden sollen. Aber es ist nicht wirklich möglich, herauszufinden, wer später im Gefängnis von Afyon eingesperrt sein wird.

Doğanay hat keine Zeit mehr, um sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Er muss los. Er gibt den Vögeln noch einmal frisches Wasser und wartet dann auf den Bus, der ihn bei Tagesanbruch mitnehmen wird.

Aus dem Türkischen von Sabine Adatepe

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