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Sie selbst war der Trend, der Stil

Die „Sibylle“ gilt als die bekannteste Frauenzeitschrift der DDR. Dabei war sie das eigentlich gar nicht, sie war viel mehr: Stilkunde, Kunst, Modegeschichte und ästhetische Subversion in einem – und Heimatkunde im schönsten Sinne. Erinnerungen einer Leserin aus Anlass einer Foto-Ausstellung

Von Anja Maier

Ich lese keine Frauenzeitschriften. Denn ich war eine Sibylle-Leserin. Meine Jahre mit der Sibylle haben mich verdorben. Alles, was danach gekommen ist, jeder Versuch, mich zur Verbündeten eines Magazins für das eigene Geschlecht zu formen, scheiterte. Musste scheitern.

Es fing schon damit an, dass die Sibylle keine Frauenzeitschrift war. So tickte sie gar nicht. „Zeitschrift für Mode und Kultur“ lautete der Untertitel. Deutlicher ging es ja nun nicht. Und Frauenzeitschrift – diesen Begriff kannte das Presse- und Verlagswesen der Deutschen Demokratischen Republik auch gar nicht. In einem Land, in dem die Geschlechterfrage als historisch geklärt galt, brauchte es derlei nicht. „Gleichberechtigung“ von Männern und Frauen vollzog sich gesetzmäßig durch die Teilnahme beider Geschlechter am Produktionsprozess.

„Sibylle“ im Willy-Brandt-Haus

Die Zeitschrift: Die Sibylle, „Zeitschrift für Mode und Kultur“, wurde in der DDR vom Modeinstitut Berlin herausgegeben. Gegründet 1956 von der Journalistin Sibylle Gerstner, erschien die Sibylle bis 1995 alle zwei Monate. Die Auflage betrug 200.000 Exemplare, jede Ausgabe war sofort vergriffen.

Das Besondere: Das Frauen- und Gesellschaftsbild der Sibylle unterschied sich stark von anderen Publikationen. Ab den sechziger Jahren arbeiteten für die Zeitschrift junge FotografInnen, deren Kunst als ästhetisch stilbildend galt und gilt. Unter ihnen waren Ostkreuz-FotografInnen wie Ute und Werner Mahler, Sibylle Bergemann und Arno Fischer. Später kamen Jüngere hinzu, etwa Sven Marquardt und Ulrich Wüst.

Die Ausstellung: Der Freundeskreis Willy-Brandt-Haus zeigt bis zum 25. August eine große Schau mit Arbeiten der Sibylle-FotografInnen. Der Eintritt ist frei. Zur Ausstellung ist im Hartmann Projects Verlag ein umfangreicher Bildband erschienen. (am)

Aber davon abgesehen: Selbst wenn es im Osten Frauenzeitschriften gab – na gut, ein paar gab es –, die Sibylle hätte keine von ihnen sein können. Sie war ganz anders verfasst. In ihr fand sich jene kultivierte Randständigkeit, jene Eleganz und Versonnenheit, an der es ja im Osten spürbar mangelte. Diesen Mangel stillte die Sibylle bei Männern und Frauen, Söhnen und Töchtern. Unter anderem bei mir.

Die Sibylle machte Ansagen, sie fragte nicht nach dem Trend – sie selbst war der Trend, der Stil. Die Sibylle lud ein, Teil einer kleinen, ästhetisch subversiven Gruppe zu werden, die sich um so was wie Konfektion oder Bügelfreiheit nicht scherte. In der willkommen war, wer nach eigenem Ausdruck suchte.

Was man in der Sibylle sah, das war ja Stilkunde, Ästhetik, Kunst, Modegeschichte in einem Ritt. Was man ahnte, war, dass da eine eingeschworene Bande ihren Geschmack, ihre Auffassung von Individualität und Qualität unters Volk streute wie süßes Gift.

Die Sibylle, das war die Abwesenheit des Kittelkleids. Sie war überhöhte Schönheit, jenseits des Schicklichen. Dicke Frauen, schwangere Frauen, bärtige Hippies, laszive Badenixen schauten aus den Seiten. Hennahaare, Kirschmünder, ernste, nicht gefällige Mimik – nie zuvor hatte ich derlei gesehen. Mäntel vor Politbüro-Bühnen, nacktes Knie am Soldatendenkmal. Seit wann war denn so was erlaubt?

Als junges Mädchen traf ich die Sibylle-Models leibhaftig in Berlin-Mitte. Die Realität dieser Models, wie sie sich im Café unterm Fernsehturm oder im Posthorn unterhielten und rauchten, wie sie sich kleideten und gaben, bewies mir in meiner Adoleszenz dreierlei. Erstens, dass das, was in Zeitungen und Zeitschriften gedruckt war, tatsächlich existieren konnte. Zweitens, dass Weiblichkeit nicht zwangsläufig etwas mit dauerlächelnder Aufbauarbeit zu tun haben musste. Drittens, dass dieses Land unfassbar schöne Orte hatte. Die Modeaufnahmen vor Schinkels Granitschale im Berliner Lustgarten. Die Hintergründe aus alten Fliesenarbeiten im U-Bahnhof Klosterstraße, im Säulengang der Museumsinsel. Das junge Mädchen, bis zur Hüfte in einem nebelverhangenen Brandenburger See stehend. Breitschultrige Frauen, die von einem Ostsee-Strandkorb böse herüberstarren. Stiefelfrauen vor den abblätternden Fassaden ostdeutscher Kleinstädte. Klitschnasse Haare im Oderbruch. Das alles war Heimatkunde in einem weitaus besseren Sinn.

Nachdem 1989 die Mauer gefallen war, kaufte ich mir Frauenzeitschriften aus dem Westen. Es war ein ödes, in Teilen erniedrigendes Unterfangen. Ich blickte in aalglatte Gesichter, deren Körper in faltenfreie Kleidung gesteckt waren. Ich las Ratgebertexte über den Wiedereinstieg ins Berufsleben nach der „Familienpause“. Ich versuchte, Interesse für Diäten zu entwickeln. Es war alles mühsamer Mist, bar jeder Rauheit und Inspiration. Ich war verdorben. Schuld daran war letztlich: die Sibylle.

Der Text ist dem Fotoband „Sibylle: Zeitschrift für Mode und Kultur“ entnommen. Hartmann Projects Verlag 2017, 336 Seiten, 39 Euro

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