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Jobcenter will erziehen

Wer unter 25 ist, dem wird Hartz IV schneller und stärker gekürzt als Älteren. Diese Praxis ist im Sozialgesetz so vorgesehen. Die Linke Carola Ensslen sieht Handlungsspielräume

Nicht immer attraktive Aussichten: junge Männer auf Jobsuche Foto: Patrick Pleul/dpa

Von Lukas Ziegler

Wenn junge Menschen in Hamburg Hartz IV beziehen und einen Termin beim Jobcenter versäumen, werden ihnen nach wie vor deutlich schneller und stärker die Leistungen gekürzt als Älteren. Die Linksfraktion kritisiert diese Regelung und nimmt Hamburgs Jobcenter in die Verantwortung.

„Es ist nicht nachvollziehbar, dass junge Menschen häufiger und härter sanktioniert werden“, sagt Carola Ensslen von der Linksfraktion. Aus einer Kleinen Anfrage ihrer Partei geht hervor, dass in diesem Januar 3,9 Prozent der Leistungsbezieher*innen unter 25 Jahren mit mindestens einer Sanktion belegt waren. Über alle Altersgruppen hinweg lag die Quote nur bei 3,1 Prozent.

Die Anzahl an sanktionierten Leistungsbezieher*innen hat zwar insgesamt abgenommen, der Anteil an Menschen unter 25 Jahren ist aber der höchste seit 2017. Die Sanktionen sind in den vergangenen zwei Jahren auch leichter geworden, die Differenz zwischen den Altersgruppen bleibt aber weiterhin bestehen. So wurden auch im Januar Menschen unter 25 Jahren mit durchschnittlich 21,5 Prozent die Leistungen deutlich stärker gekürzt, als über alle Altersgruppen hinweg (15,1 Prozent).

Diese unterschiedliche Behandlung ist im Sozialgesetz festgeschriebenen. Demnach ist die Vermittlungspflicht bei jungen Leistungsbezieher*innen größer. Mit den harten Strafen erhofft sich der Gesetzgeber, den jungen Menschen schneller Arbeitsplätze zu vermitteln und Langzeitarbeitslosigkeit zu verhindern.

Das gelingt laut einer Untersuchung des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung aus dem Jahre 2017 auch teilweise. Junge Leistungsbezieher*innen, denen Sanktionen auferlegt wurden, würden sich allerdings auch schneller wieder aus dem Arbeitsmarkt zurückziehen.

Carola Ensslen sieht ebenfalls Probleme bei dieser Regelung. „Die aktuelle Praxis ist höchst unpädagogisch, mit harten Strafen zu drohen verunsichert die jungen Leute“, sagt die Politikerin. Es brauche einen pädagogischen Weg, die Menschen wieder an das Arbeitsleben heranzuführen. Hierbei nimmt Ensslen lokale Akteure in die Pflicht.

„Der Paritätische fordert, vollständig auf Sanktionen zu verzichten“

Christian Boehme, Sprecher

So bestehe bei der Entscheidung, ob etwas sanktionswürdig sei oder nicht, in vielen Fällen ein Beurteilungsspielraum. Zudem könnten Jobcenter durch das „bewusste Weglassen der Rechtsbelehrung“ Sanktionen verhindern. Das klinge zwar etwas ungewöhnlich, werde aber in einer Weisung der Agentur für Arbeit selbst als Möglichkeit vorgeschlagen. „Auch wenn eine Gesetzesänderung nur auf Bundesebene möglich ist, gibt es Handlungsspielraum, der auf Landesebene genutzt werden kann“, sagt Ensslen.

Christian Boehme, Sprecher des Paritätischen Wohlfahrtsverbands Hamburg, sieht ebenfalls Handlungsbedarf: „Der Paritätische fordert, vollständig auf Sanktionen zu verzichten.“ Besonders junge Menschen würden dadurch weiter in die Not bis hin zur Obdachlosigkeit getrieben. „Was es braucht, sind spezielle Förderprogramme, die die jungen Menschen wieder an die Jobcenter heranführen“, sagt Boehme.

Das Jobcenter Hamburg will sich mit der Begründung, es wolle keine geltenden Gesetze bewerten, nicht konkret zu der Wirkung der Sanktionen äußern. „Sanktionen sind überhaupt kein Schwerpunktthema bei uns, denn der weitaus größte Anteil unserer Kundinnen und Kunden hält sich an die Regeln“,sagt Dirk Heyden, Geschäftsführer des Hamburger Jobcenters.

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