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Kleists „Amphitryon“ in HamburgGott als Erdenkloß

Leander Haußmann gelingt am Thalia-Theater ein ebenso lustiger wie vielschichtiger Abend. Nicht mal die Kleist’schen Frauenrollen fallen in den Objektstatus zurück.

Spielen überwältigend clever: Marina Galic (l.) und Jens Harzer Foto: Armin Smailovic

Hamburg taz | Wer sich nachts beim Schleichen durch den Palastgarten selbst über den Weg läuft, der soll sich dann wohl erschrecken. Wem aber vis-à-vis mit dem Doppelgänger noch Zweifel aufkommen, ob man am Ende nicht vielleicht doch selbst der Fake ist: Der hat entweder ein doch ein ernsteres psychisches Problem, oder es ist Zauberei im Spiel.

Für Kleists „Amphitryon“ gilt beides: Die Ich-Frage ist ja nicht erst heute eine große und dass dann auch noch die leibhaftigen Götter drin herumpfuschen, macht das alles zwar ein bisschen lustig, aber auch ganz schön bitter. Es ist jedenfalls eine verfahrene Kiste, die Leander Haußmann zum Saisonende auf die Bühne des Thalia-Theaters bringt: mythenschwer, von existenzieller Wucht und – das gleich vorweg – mit einer wirklich herausragenden Besetzung.

Soweit Kleist nach Molière: Feldherr Amphitryon hat seine Schlacht gewonnen und schickt Diener Sosias vor nach Theben, wo ihre Frauen warten. Anbei hat er die gute Nachricht und funkelnde Kriegsbeute fürs Dekolleté der Herrin Alkmene. An der familiären Heimatfront mischen sich die Götter ein: Jupiter, der in Gestalt Amphitryons die Ehefrau verführt, während Merkur im Sosias-Kostüm Schmiere steht und sich nebenbei noch folgenschwer mit dessen Liebster herumstreitet.

Es folgen Verwirrung und existenzielle Krisen, am Ende bleibt es offen und das Stück schließt mit Alkmenes berühmtem „Ach!“, das wie das Leben alles heißen kann – oder eben nichts.

Ohne Heiteitei inszeniert

Haußmann inszeniert den Stoff aufgeräumt und ohne jedes Heititei. Selbst der Clou, die göttlichen Doppelgänger nicht eigens zu besetzen, sondern sie von Amphitryon (Jens Harzer) und Sosias (Sebastian Zimmler) en passant mitspielen zu lassen, ist ja im Grunde naheliegend.

Mitunter ist das komisch, gar Klamauk, wenn Zimmler sich etwa formvollendet selbst verkloppt und über die Bühne schleift – oder sich auch in Worten herrlich herablassend selber quält. Schwerer trumpft noch Harzer auf, der wieder einmal zeigt, was er kann, wenn er vom Gott in den Erdenkloß fährt und wieder zurück.

Das anzuschauen – und dem Sprachkünstler zuzuhören – ist eine wahre Freude: Wie Harzers Amphitryon in der tiefsten Krise Größe wahrt, mit Mantel, Zottelhaar und dubiosem Bärtchen noch Erhabenheit vorführt. Harzer präsentiert hier eine Idee von Mensch, der mit dem irdischen Gehusche (Kriege und so) mühelos zurechtkommt, den selbst der große Gott Jupiter erst straucheln lässt, als er Amphitryon mit Amphitryon konfrontiert.

Mensch rein, Gott raus

Dass einem dieses lange vor geschlossenen Vorhang ablaufende Spiel so überwältigend clever vorkommt, liegt daran, wie präzise Haußmanns Regie ihre zahlenmäßig überschaubaren Zutaten dosiert und sich Platz schafft für die großen Fragen. Der Ehebruch ist übrigens nicht die große Katastrophe, schlimmer sind die Selbstzweifel.

Der Preis ist eine oberflächliche Ignoranz gegenüber den Frauenrollen, was aber interessanterweise dazu führt, dass Alkmene (Marina Galic) gerade nicht in den bloßen Objektstatus zurückfällt. Ganz ohne Wollust, Hysterie und was dieser Kleisttext im Subtext noch so an Gemeinheiten für blödere Inszenierungen vorrätig hat. Stattdessen ist Galic als Alkmene selbstbewusst, entschieden und ausdrucksstark – nur eben über weite Strecken eher am Rande des Spotlights zu finden.

Amphitryon

nächste Vorstellungen:

Sa, 18. 5., 19. 5., 9. 6., 11. 6., Thalia-Theater, Hamburg

www.thalia-theater.de

Nicht um bürgerlich-vermählte Moral, sondern um eine größere Sache geht’s also. Um was genau, ist dann die spannende Frage, deren Facetten Harzer und Galic traumwandlerisch auch entlang der subtilsten Verschiebungen durchexerzieren, während in der Dienerschaft Charis (Antonia Bill) und Sosias ein handgreiflicheres Pendant abliefern.

Die Inszenierung ist bei aller Tragik wirklich lustig, keine Sekunde doof – und insgesamt auch an ihren Rändern erheblich vielschichtiger, als es das fokussierte Setting zunächst andeutet. Das nach einer Dreiviertelstunde endlich enthüllte Bühnenbild zeigt etwa eine Drehwand mit Leuchtschrift auf der einen und diversen Türen auf der anderen Seite. Da geht mal wo ein Mensch rein und woanders kommt dafür ein Gott heraus.

Der Witz ist aber, dass wir bei allem Tür auf, Tür zu ja doch auch sehen, was dahinter liegt. Nichts nämlich, die Probleme gibt es nur Kopf. Was sie freilich kein Stück besser macht.

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