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Nu Nairobi calling

In Nairobi hat sich eine starke elektronischer Underground-Szene entwickelt – von Digital-Bass-Musik über Field Recordings bis zu „Mental Techno“ ist alles dabei

Von Ole Schulz

Zu einem schleppenden Bassbrummen ist ein an- und abschwellender Call-and-Response-Frauenchor zu hören. Es sind alte Aufnahmen, voller Rauschen und Kratzen, der Gesang kommt von Hutu-Frauen während einer Hochzeit am Lake Kivu in Ruanda. DJ Raph hat sie für seinen Song „Ikondera“ mit elektronischen Beats unterlegt.

DJ Raph aus Nairobi war vom „Smash Up the Archive“-Projekt eingeladen, sich im Afrika-Tonarchiv des Iwalewahauses an der Universität Bayreuth umzuhören. Daraus wurde sein 2018 veröffentlichtes Debütalbum „Sacred Groves“ – „Heilige Haine“, auf dem er Gesänge und Rhythmen aus (vor-) kolonialer Zeit, ursprünglich aus einem rituellen Kontext stammend, mit moderner Bassmusik verbindet. Dabei hat er ein feines Gespür für die originalen Aufnahmen.

Was mit solchen panafrikanischen ethnografischen Field Recordings geschehen soll, ist in Zeiten, in denen der Umgang mit der kolonialen Raubkunst ein viel diskutiertes Thema ist, eine nicht ganz unwichtige Frage. Denn so wie unzählige afrikanische Objekte ungenutzt in den Archiven ethnologischer Sammlungen in Deutschland und seiner Nachbarn lagern, verbergen sich dort auch eine Menge ungehörter Tondokumente; manche davon sind unter äußerst fragwürdigen Umständen entstanden – etwa die Stimmaufnahmen, zu denen afrikanische und asiatische Kriegsgefangene im Ersten Weltkrieg in einem Lager in Wünsdorf bei Zossen genötigt wurden.

Sein Aufenthalt im Iwalewahaus war eine „bewegende Erfahrung“, sagt DJ Raph; viele Afrikaner – auch er selber – hätten sich von der Musik und den Ritualen ihrer Vorfahren ja weitgehend entfremdet, darum sei eine Wiederaneignung der Vergangenheit wichtig. DJ Raph ist der wohl bekannteste Produzent der jungen Szene experimenteller elektronischer Musik, die in Kenias Hauptstadt in Folge des kulturellen Aufschwungs unter dem Tag „Nu Nairobi“ (s. unten) entstanden ist.

Dass die enormen Möglichkeiten digitaler Musikproduktion gerade hier seit mehr als einem Jahrzehnt auf fruchtbaren Boden stoßen, hat auch damit zu tun, dass Nairobi eine Tech-Metropole ist. 2007 wurde der erfolgreiche Handy-Bezahldienst M-Pay eingeführt. Seither will die kenianische Regierung das Land zum digitalen Drehkreuz Ostafrikas entwickeln, und der Tech-Boom hat auch Folgen für die Kulturwirtschaft: „Es gibt hier sehr viele DJs und Musikproduzenten, Programmierer und Werbefachleute, Grafikdesigner und Visual Artists“, sagt Jinku vom Produzenten-Kollektiv EA Wave.

Einer von seinen Freunden ist KMRU. Der 21-Jährige ist ein Enkel des legendären Benga-Musikers Joseph Kamaru und nennt seine Ambient-Musik „elektronische Fusion“. KMRUs Markenzeichen sind städtische Field Recordings, Verkehrsgeräusche ebenso wie das „hustle and bustle“ in Kibera – das hektische Treiben im größten innerstädtischen Slum Afrikas – , aber auch Naturgeräusche.

Solche Naturgeräusche kontrastieren mit dem schwierigen Alltag in der 3,5-Millionen-Metropole. „Viele sind jeden Tag auf der Suche nach etwas Essbaren unterwegs und wissen nicht, ob ihnen das bis zum Abend gelingen wird“, sagt KMRU. Das Versprechen einer digitalen Zukunft hat an der strukturellen Ungleichheit im Land bisher nur wenig geändert. Als alternativer Musiker in Kenia zu leben, sei nicht einfach: „Die Radiostationen spielen fast nur kommerzielle Sachen mit englischen Vocals.“ KMRU studiert Klassische Gitarre, was er sich durch Musikunterricht finanziert, und hat sich das Produzieren am PC mit Ableton zunächst selber beigebracht.

Monrhea hat eine ähnliche DIY-Haltung wie KMRU. Die 23-jährige Autodidaktin, deren Vorbild DJ Rachael aus Uganda ist, organisiert zum Self-Empowerment eine Produzentinnen-Reihe. Frauen seien im Musikgeschäft Kenias zwar unterrepräsentiert, sagt Monrhea, „aber allmählich wird uns Platz eingeräumt.“ Ihre eigenen Tracks, die nicht immer so Downtempo sind wie jene von DJ Raph und KMRU, beschreibt sie als „Mental Techno“. Dass ihre mitunter düsteren Soundcollagen im Club funktionieren, ist ihr aber nicht so wichtig. Sicher ist sich Monrhea allerdings, dass der elektronische Underground Nairobis bald aus seiner Nische heraustreten wird. „Die Zeit wird kommen, in der die Leute wertschätzen, was wir machen.“

Ohnehin will sie die Welt erkunden, mit Gleichgesinnten Musik machen und mit eigenen Augen sehen, wie die Menschen anderswo leben. KMRU und DJ Raph sind ihr einen Schritt weiter: beide waren als Festival-Gäste erst unlängst in Berlin. Monrhea hat immerhin schon ihre Schwester in den USA besucht; jetzt hofft sie, im Herbst einige Sets in Europa zu spielen.

DJ Raph: „Sacred Groves“ (noland/Indigo 2018), KMRU: „Euphoria“ (Black Lemon 2017) & EP „Erased“ (Byrd Out Label, 2019), Monrhea: EP „Shiru“ (Rhealistic Records, 2019), erscheint am 23. Juni

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