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Wehe, wer dieSchnepfe stört

Niedersachsen ist keine gute Heimat für Lerche, Schnepfe und Kiebitz. Ein Grund ist die industrielle Landwirtschaft. Einige Spezies drohen auszusterben. Naturschützer versuchen, das aufzuhalten

Abb.6: Nicht norddeutsch, aber ausgestorben: die Nordinsel-Schnepfe Foto: Wikimedia/Gemeinfrei

Von Thomas Schumacher

Das Rebhuhn ist dann mal weg. Den Allerweltsvogel, der vor Jahren in der Pfanne vieler Ostfriesen schmurgelte, den gibt es nicht mehr. Klaus Rettig, legendärer Vogelbeobachter aus Emden, hat jahrelang das Verschwinden des Rebhuhns dokumentiert. Heute gibt es nur noch eine kleine Population in der Küstenregion. Wo, das verraten wir nicht. Die letzten Vögel sollen nicht auch in der Pfanne enden.

Das witzige Gezeter einer Feldlerche hört man heute nur noch ganz selten. Und Kiebitze? Nachbar Zuidema erzählt, dass sie vor Jahrzehnten die Kuhweiden abgewandert sind und Kiebitzeier gesammelt haben. Vor 1910 mussten aus Ostfriesland Kiebitzeier an den preußischen Hof geliefert werden. Tausende Vögel brüteten in den Meeden und Marschen. Heute kniet man vor jedem Kiebitz nieder, der sich traut, in den Wiesen zu brüten. Es gibt laut Naturschutzbund Nabu nur noch 1.200 Brutpaare in ganz Niedersachsen.

Aggressiver Tourismus, intensive Landwirtschaft und brutale Flächenversiegelung rauben in Ostfriesland vielen Tieren die Lebensgrundlage. Hier gibt es keine Tiger, keine Orcas, keine Blauwale, keine Berggorillas. Eine Uferschnepfe oder eine Seeschwalbe wären genauso schützenswert. Aber wen interessiert eine Uferschnepfe? Die Bekassine, wer kennt das Viech überhaupt? Die Bekassine braucht wie fast alle Wiesenvögel eine naturnah bewirtschaftete Weide. „Das Problem ist die Silagefütterung der Kühe“, meint Michael Steven, Leiter der Ökologischen Nabu-Station Ostfriesland in Wiegboldsbur. Die Landwirtschaftskammer Niedersachsen empfiehlt ihren Mitgliedern einen Kuhbestand von rund 200 Tieren, um rentabel zu arbeiten. „Das ist mit reiner Weidehaltung nicht zu schaffen“, sagt Steven. Konsequenz: Die Tiere werden im Stall gemanagt, die Weiden zu intensiv begüllten Produktionsflächen von Silageheu, gemäht wird, so oft es geht. Das hält kein Wiesenvogel aus.

„Alles hängt leider mit allem zusammen. Wenn wir echten Naturschutz betreiben wollen, brauchen wir die Landwirte. Deren Arbeit muss sich aber auch rentieren“, meint Steven. Deswegen kooperiert der Nabu mit Landwirten aus der Region. Seit über dreißig Jahren kauft der Naturschutzbund Weideflächen auf und versucht, diese mit Hilfe von Landwirten naturnah zu bewirtschaften.

So zum Beispiel die Grön Breike in Südbrookmerland. Das ehemalige Niedermoor ist zum Glück schwer zu finden. An dieses Ende der Welt verirrt sich kein Tourist. Vor 30 Jahren war die intensiv genutzte Fläche so gut wie tot. „Wir haben zuerst die natürlichen Meedenlandschaft hergestellt. Das heißt, Sträucher und Bäume wurden entfernt. Dann haben wir die Bewässerung reguliert, damit wir je nach Bedarf be- oder entwässern können“, erklärt Steven. Heute ist die Grön Breike eine typische Wiesenlandschaft. Hier gibt es noch die endlose Weite. Und es gibt wieder Wiesenvögel, die brüten. Und die Brut überlebt.

„Wir reden mit den Bauern und sprechen mit ihnen ab, wann sie mähen dürfen. Wir markieren die Nester, um die dann großzügig herumgemäht wird. Wir organisieren Subventionen“, sagt Steven. Ihm ist klar, dass die Nabu-Flächen das Artensterben nicht aufhalten können. Sie würden aber Modelle liefern. Grundsätzlich, meint er, müsse sich die Landwirtschaft allgemein verändern, wollte man ein Artensterben aufhalten. Das sei aber noch lange nicht in alle Köpfe gedrungen. Heute freut er sich erst mal über die zwölf Brutpaare von Schnepfen und die Kiebitzbrutpaare. Und als sei sie extra bestellt: Eine Feldlerche schirrt in der Luft und macht sich lautstark bemerkbar.

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