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Mehr Notstand als Klima

Wenn es nach den Osnabrücker Grünen geht, ruft die niedersächsische Stadt, wie auch schon Konstanz, den Klimanotstand aus. Das klingt dramatisch, ist aber halb so wild

Von Harff-Peter Schönherr

Da ist es wieder, dieses Wort: Klimanotstand. Nach Konstanz findet die verbale Endzeit-Warnung auch in Osnabrück Widerhall. „Wir sind zu langsam! Wir schaffen unsere Ziele nicht!“ Osnabrück brauche „einen Weckruf“, findet Volker Bajus, Vorsitzender der Ratsfraktion der Grünen. Die Stadt habe „gute Gründe, ebenfalls den Klima-Notstand zu erklären“, ist er sicher. Ende Mai will Bajus im Rat der Stadt den Notstand zum Thema machen. Allerdings nur, wenn sich vorher eine Mehrheit abzeichnet.

Der Grünen-Politiker erhofft sich von einem Notstands-Beschluss eine „starke Signalwirkung“ und mahnt an, dann müsse aber auch „ein echter Maßnah­menkatalog her“.

Das Wort Notstand mag dramatisch klingen, aber tatsächlich ist alles nur halb so wild. „In der Tat, damit ist keine direkte Verpflichtung verbunden“, sagt Tobias Langer vom Fachbereich Umwelt und Klimaschutz der Stadt. Es sei „als ein Appell an Bund und Land zu verstehen“, Rahmenbedingungen zu schaffen, die es ermöglichen, Klimaziele der Stadt zu erreichen. „Das ist nicht wie ein Haushaltsnotstand zu sehen, der darin resultiert, dass man ab sofort nichts mehr ausgeben darf“, so Langer. Es komme vor allem darauf an, wie der Rat dies ausgestalte. Auch Sven Jürgensen, Pressesprecher der Stadt, plädiert dafür, die Ratssitzung am 28. Mai abzuwarten. Bis dahin sagt er: „Ich verstehe das eher als eine unverbindliche Absichtserklärung, als eine Art Selbstverpflichtung, deren Ausgestaltung jeder Stadt selber überlassen ist.“

Als „Wortgeklingel“ und Wahlkampfmanöver bezeichnet Andreas Peters, Vorsitzender des Naturschutzbunds Osnabrück (Nabu), die grüne Notstands-Idee. Ein „Umsteuern im allgemeinen Stadtplanungs- und Alltagsgeschehen“ sei gefordert, „keine Showveranstaltung, kein Lippenbekenntnis“.

Osnabrück hatte 2010 als eine von 19 Kommunen den „Masterplan 100 Prozent Klimaschutz“ angestoßen. Dieser sieht eine Senkung der CO2-Emissionen um 95 Prozent und des Energieverbrauchs um 50 Prozent bis zum Jahr 2050 vor – im Vergleich zu 1990. Tatsächlich scheint die Stadt aber ziemlich hinterher zu hinken, was die eigenen Klimaziele angeht. Vier Beispiele, die zeigen warum:

Die (un)grünen Finger

Die „Grünen Finger“, von Osnabrück sind Wald-, Agrar- und öffentliche Grünflächen, die den Stadtkern mit der freien Landschaft verbinden sollen. Doch da gibt es die gewaltigen Gebäude und Parkplätze der Spedition Koch, die die Kuppe des Grünen Fingers „Piesberg-Haster Berg“ kappen oder die Kartbahn des stadtwerkeeigenen Nettebads, mitten im „Nettetal“. Tabuzonen sind die Finger also nicht, gegen wirtschaftliche Begehrlichkeiten haben sie keine Chance.

Müder Radverkehrsplan

Der Masterplan verspricht Verbesserungen im Radverkehr, doch im „Fahrradklimatest 2018“ des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) schneidet Osnabrück mit der Gesamtnote 4,2 erneut unterdurchschnittlich ab. Der ADFC-Kreisverband Osnabrück spricht von „ungenügender Infrastruktur“, von „diskriminierenden Ampelschaltungen“. Daniel Doerk, Radaktivist und Blogger, sagt: „Immerhin haben wir den ‚Radverkehrsplan 2030‘. Aber es geht superschleppend voran. Wenn wir so weitermachen, haben wir vielleicht in 60 bis 100 Jahren ein durchgehendes Netz guter Radwege.“

Auf Kohle setzen

Die Stadtwerke Osnabrück AG, eine hundertprozentige Tochter der Stadt, investiert zwar auch in nachhaltige Energien, setzt aber weiterhin auf die Kohlekraft. Vor anderthalb Jahren hat sie ihren Anteil am Trianel-Steinkohlekraftwerk in Lünen aufgestockt. Nabu-Chef Peters: „Dadurch haben sich Ratsmehrheit und Stadtwerke endgültig aus jeder glaubwürdigen Klimaschutzpolitik verab­schiedet.“

A33-Dilemma

Das Neubauprojekt A33 Nord bei Osnabrück, 9,4 km lang, 150 Millionen Euro teuer. Die Osnabrücker Ratsmehrheit unterstützt den Bau. Er würde innerstädtische Verkehrsemissionen in ein Naherholungsgebiet transportieren, das teils unter FFH-Schutz steht. Ein „nicht nur ökologisches Drama“, sagt Rainer Comfere, Sprecher der örtlichen „Arbeitsgemeinschaft 'Besseres Verkehrskonzept’“.

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