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Unerschöpfliche Moderne

Das Bauhaus wird 100 Jahre alt – ein Thema auch für das Museum für Photographie in Braunschweig. Zentrale Frage: Ist die Kamera dem menschlichen Auge überlegen?

Von Bettina Maria Brosowksy

Auch das Braunschweiger Museum für Photographie leistet nun einen Beitrag zum 100-jährigen Jubiläum der Bauhausgründung 1919 in Weimar. Während im Sprengel-Museum Hannover noch bis zum 12. Mai das Werk eines, wenn man so will, echten Bauhausfotografen, nämlich Umbo, zu entdecken ist, dienen in Braunschweig Architekturen der Moderne und des Bauhauses als Bildanlässe für unterschiedliche fotografische Interpretationen vorwiegend jüngerer, internationaler Künstler. Ihre Bildwerke werden mit bauzeitlicher Fotografie konfrontiert.

Der Rundgang durch die beiden gegenüberliegenden Torhäuschen bietet eine konzeptionell zwar äußerst vage, ästhetisch aber interessante Mischung aus großformatiger, aktueller, farbiger Fotografie und konzentrierter Schwarz-Weiß-Lichtbildnerei der 1920er-Jahre. Allerdings wird so die Chance vertan, das große und wirkungsreiche Experiment der Fotografie am Bauhaus selbst sowie seine Bildproduktion einmal mit fachlicher Expertise unter die Lupe zu nehmen.

Ein fotografischer Impuls brach sich in Weimar Bahn, etwa in Gestalt von László Moholy-Nagy. Das ungarische Multitalent hatte ab 1923 unter anderem die Metallwerkstatt zu leiten, mit einer „glücklichen Naivität“, wie der Entwerfer der legendären Bauhaus-Leuchte, Wilhelm Wagenfeld, im Rückblick feststellte. Zudem alles Technische bewundernd, setzte Moholy-Nagy neben eine schnörkellos sachliche Fotografie der 1920er-Jahre, beispielsweise eines Albert Renger-Patzsch, den unverstellten, subjektiven Bildzugriff.

Er sah die Kamera dem menschlichen Auge überlegen, das visuelle Eindrücke stets mit kognitiven Erfahrungen abgleiche. Nur die Fotografie mitsamt ihrer Verzerrungen und Verkürzungen liefere das wahre zweidimensionale „rein optische Bild“, war sich Moholy-Nagy sicher. Er verfolgte zudem surreale Tendenzen in der Bildkomposition, grafische Anwendungsformen der Montage mit Schrift und Farbe, direkt belichtete Fotogramme oder dreidimensional kinetische Licht-Raum-Experimente.

Weitere Bauhäusler*innen griffen, sichtlich inspiriert, gleichfalls autodidaktisch und nicht weniger beherzt zur Kamera: Die Metallgestalterin Marianne Brand fertigte Fotocollagen, Florence Henri Por­trät- und Objektfotografie mit Spiegeleffekten, Ré Soupault unternahm Versuche im abstrakten Filmstill. Und Ise Gropius wurde auch bilddokumentarische Chronistin des Bauhauses. Es scheint zudem, dass das noch recht neuartige, nicht durch eine lange, männlich dominierte Kunsttradition belastete Medium beliebtes Betätigungsfeld der Bauhausfrauen wurde.

In der Braunschweiger Ausstellung vertritt Lucia Moholy die Bauhausfotografie. Sie war die einzige professionelle Fotografin am frühen Bauhaus, wenngleich ohne offiziellen Lehrbefugnis, denn sie war, ähnlich Ise Gropius, nur die Frau eines Bauhausmeisters. Allerdings gehören ihre zahlreichen Aufnahmen des Dessauer Bauhausgebäudes und der dortigen Meisterhäuser zum kollektiven Bildgedächtnis der Institution. Indirekt wirkte sie also durchaus prägend ins Bauhaus, zudem als neusachlich konzise Gegenposition zu ihrem experimentierfreudigen damaligen Ehemann. Als 1929 dann eine Abteilung für Fotografie am Bauhaus eingerichtet wurde, übernahm, wie nicht anders zu erwarten, ein Mann die Leitung, Walter Peterhans.

Zu Moholy stellen sich sachbezogene Fotografien verschiedener, auch anonymer Bildautoren der Zwischenkriegsjahre, die den Niederschlag einer vom Bauhaus inspirierten architektonischen Moderne von Berlin bis hinein in entlegene Regionen Thüringens dokumentieren. Auch hier gilt das Paradox, dass es bis 1928 ja keine offizielle Architekturlehre am Bauhaus gab, die unterrichtenden Meister in der Regel bildende Künstler waren, sein Impuls aber neben anderen Strömungen eine progressive Baukunst Europas befeuerte. Mit der Auflösung des Bauhauses 1933 migrierten viele seiner Protagonisten, Ideen und pädagogischen Konzepte, neben den USA fand sich in Israel ein aufnahmebereites Kulturklima.

Ein Abkommen zwischen Deutschem Reich und britischen Mandatsträgern ermöglichte zwischen 1933 und dem Zweiten Weltkrieg über 50.000 Juden die Einwanderung, zusammen mit Vermögenswerten von mehreren Millionen Deutschen Reichsmark. Dieser Human- und Finanztransfer löste einen Bauboom aus, der sich in der sogenannten Weißen Stadt von Tel Aviv in 4.000, nicht nur von Bauhausarchitekten geplanten Gebäuden niederschlug.

Seit 2003 zum Unesco-Welterbe gehörend, nahmen gleich drei Bildautoren der Ausstellung ihre gleichermaßen fotogenen wie mittlerweile von morbidem Verfall gezeichneten Bauten ins Visier. Zum ersten ist es Itzhak Kalter, der als bauzeitlicher Architekturfotograf die gerade fertiggestellten, makellosen Realisierungen von Arieh Sharon, Erich Mendelsohn und anderen Baumeistern ablichtete. Zum zweiten sind es Auszüge aus der systematischen Bestandsaufnahme von über 650 Bauten der Weißen Stadt, die Irmel Kamp, sie ist Jahrgang 1937, zwischen 1988 und 1993 in klassisch sachlicher Schwarz-Weiß-Fotografie erstellte. Zum dritten ist es Christof Klute. Der jüngste der Dreien wurde 1966 geboren und geht in großen, farbigen Digitalbildnissen den Spuren jahrzehntelanger Benutzung der Bauten nach.

Trägt die Utopie einer sozialorientierten Moderne noch, fragen seine Fotografien. Man möchte bejahen, denn gerade entstellende Aneignungen, Verwitterung und fehlender Bauunterhalt scheinen ja ihr physisches, humanes wie kulturelles Reservoir nicht erschöpfen zu können.

Ausstellung „Visionen der Moderne heute. Bauhausarchitektur im Bild zeitgenössischer Fotografie mit historischen Bezügen“: bis 30. Juni, Braunschweig, Museum für Photographie

Symposium „Inspiration Bauhaus. Aspekte zu kulturhistorischen und bildnerischen Wirkungsgeschichte“: 18. und 19. Mai. Weitere Informationen zu Programm und Referenten unter www.photomuseum.de, kostenfreie Anmeldung unter info@photomuseum.de

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