wie machen sie das?
: Der Schild-krötenmann

taz am wochenende: Herr Laufer, Sie haben ein Buch über Schildkröten geschrieben, sagen aber, Sie hätten keine Ahnung von ihnen. Wie machen Sie das?

Peter Laufer: Indem ich mir neugierig etwas angucke, es analysiere und Geschichten darüber schreibe. Ich mache das, was ein Journalist machen soll. Ich habe ein Buch über Menschen und Schildkröten geschrieben und wie diese miteinander in Beziehung stehen.

Was lernt, wer keine Ahnung von Schildkröten hat, wenn er ein Buch über sie schreibt?

Man lernt, dass es Leute gibt, die gute Sachen machen, etwa Schildkröten schützen. Und dass es Leute gibt, die sie quälen, schmuggeln, verkaufen, essen.

Sie haben sich also mit der Schildkröten- und der Menschenwelt befasst?

Ja. Schildkröten sind aus verschiedenen Gründen in Gefahr, zum einen durch ökologische Zerstörung ihrer Lebensräume. Zum anderen aus Gier. Traditionell stehen Schildkröten für Langlebigkeit, Weisheit und Fruchtbarkeit, vor allem in Asien. Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung, etwa in China und Vietnam, haben mehr Menschen die finanziellen Ressourcen, um diese traditionellen Vorstellungen wieder aufleben lassen und sich Schildkröten zu beschaffen, sie als Symboltiere zu halten, in der Medizin zu verwenden, als Aphrodisiakum zu benutzen oder zu verspeisen.

Was ist das Problem?

Weil die Nachfrage größer ist als das Angebot und Umweltgesetze die Vermarktung von Schildkröten vielfach nicht erlauben, hat sich ein Schwarzmarkt, der zur Ausrottung von Schildkröten beiträgt, etabliert; sie werden aus den USA, aus Südamerika, aus Afrika geschmuggelt. Man kann also am Beispiel der Schildkröten viel über die globalisierte Ökonomie lernen.

Sie haben selbst eine Schildkröte. Warum?

Als ich mit dem Buch begann, riet mir ein Santería-Priester auf Kuba, selbst mit einer zu leben. Von Auge zu Auge. Ich fand die Schildkröte im Tierheim. Sie half mir, innerlich langsam zu werden.

Geht es also eigentlich um Kontemplation?

Schildkröten gibt es, seit es Dinosaurier gibt. Wenn sie jetzt in Gefahr sind, was sagt das? Man erfährt, wenn man sich mit Schildkröten befasst, viel über den Menschen. Warum will jemand unbedingt etwas, das illegal ist und auch unmoralisch. Woher kommt diese Gier, diese Lust? Woher kommt diese gnadenlose Arroganz, Macht über etwas haben zu wollen? Warum wird Moral, Ethik, Respekt vor der Umwelt weggewischt, wenn es um Geld geht?

Isst, wer Schildkröten isst, in Wirklichkeit die Zeit?

Er isst zumindest das Gedächtnis der Erde. Und wenn die Schildkröten ausgerottet sind, dann kann man sagen, ist die historische Zeit, die sich hinüberretten konnte in die Gegenwart, tatsächlich nicht mehr da.Interview: Waltraud Schwab