piwik no script img

Empfindsam, poetisch, energiegeladen

Der erst 27-jährige Pianist Guy Mintus bedient sich beim Jazz ebenso wie bei den jüdischen Musikkulturen und Bachs Kontrapunktik. Eine solche Fusion, die Punkte unserer vielschichtigen Identitäten und kulturellen Prägungen verbindet, ist geradezu therapeutisch

Von Katrin Wilke

Hört man ihn spielen oder reden, sowie seit geraumer Zeit auch hier und da singen – live und nun auch erstmals auf Platte –, dann klingt das nach so viel mehr als nur 27 Lebensjahren. Reflektiert und wohldosiert, empfindsam und poetisch, neugierig und energiegeladen sind Guy Mintus’ Spiel und Musik. Für die mehrheitlich eigenen Kompositionen schöpft er aus altem wie zeitgenössischem Jazz, den diversen jüdischen Musikkulturen, aus Flamenco und den rhythmisch komplexen Traditionen Indiens, der osmanischen Makam-Musik oder aber Bach’scher Kontrapunktik.

Dass der Nachfahre irakischer, marokkanischer und polnischer Juden in künstlerischer wie persönlicher Hinsicht überall und nirgends zu Hause zu sein scheint, merkt man den zehn neuen Stücken wie auch dem restlichen Repertoire an. Im Jazz als Verkehrssprache vernimmt man auch seine Klassiksozialisation und die Nähe zum musikkulturell vielgestaltigen Mittelmeer.

In dessen unmittelbarer Nähe, in der Stadt Hod haScharon, wurde er auch geboren. Als Kind vollführte er seine ersten Tastenspiele auf einem Farfisa-Keyboard, im Elternhaus konnte man sich kein Piano leisten. So spielte er „Round Midnight“, sein allererster, zunächst noch unterbewusster Link zum Jazz.

Guy Mintus kannte nach eigener Aussage nichts als dieses eine Stück von Thelonious Monk; wusste ganz vage von dieser Sache namens Jazz. Als er eines Tages mit seinem Vater in einen Plattenladen ging, schnappte er sich dort sämtliche CDs mit jener emblematischen Komposition: gespielt von Miles Davis, Dexter Gordon, Dizzy Gillespie und natürlich von Monk selber. Dessen Album „Thelonious Himself“ von 1957 entfesselte schließlich bei dem damals 13-Jährigen die Liebe zum Jazz und dessen Freiheitsgeist.

Dass es ihn als Youngster von Rock und E-Gitarre ein für allemal in diese Welt zog, hin zum Jazzpiano, das schiebt Guy Mintus jedoch vor allem Amit Golan in die Schuhe. Der 2010 jung verstorbene Pianist und Lehrer legte den Grundstein für den Erfolg vieler international renommierter junger Jazzmusiker Israels. Und so wie einst Golan musste Mintus auch irgendwann ins Jazz-Mekka New York, wo sich das Gros der israelischen Diaspora-Jazzer tummelt.

Als er mit 21 Jahren dort ankam und sich bei der Manhattan School of Music einschrieb, war er schon bestens gerüstet: mit solider, vielseitiger, auch klassischer Ausbildung und bereits etlichen eingeheimsten Preisen. Kaum zu glauben, dass seither nur gut sechs Jahre vergangen sind – verfolgt man seinen von Stipendien gepflasterten Weg.

Schlaksiger Sympathieträger

Der so fleißige wie spiel- und reiselustige, schlaksige Sympathieträger hat diese Zeit offenkundig mehr als gut genutzt und neben dem Studieren jede Menge Liveerfahrung gesammelt. Beachtlich und vor allem stilistisch weitschweifig seine bisherigen Zusammenarbeiten: von Trilok Gurtu, Jon Hendricks bis hin zu Arturo O’Farrill und dessen Afro Latin Jazz Orchestra. Da kam es schon vor, dass er last minute für die Uraufführung eines großes Bigband-Werks engagiert wurde und sich in wenigen Tagen dessen üppige, komplexe Partitur raufschaffen musste.

Doch „wenn da Liebe ist, gibt es immer einen Weg“, resümiert Mintus das Meistern solcher Herausforderungen. Latinjazzer O’Farrill, mit dessen Trompete spielenden Sohn Adam der israelische Pianist zusammen studierte, ­bezeichnete seinen jungen Kollegen als mad scientist. Das liebevoll- augenzwinkernde Kompliment trifft es ganz gut bei dem so akribischen wie abenteuerlustigen, „fröhlichen Wissenschaftler“.

Nicht nur musikalisch auch geografisch ein Nomade, stimmt die Angabe von New York als Homebase in seiner Künstlerinfo inzwischen nur noch bedingt. Er ist im Grunde aktuell ohne festen Wohnsitz, dieser nicht zuletzt als Netzwerker begabte Weltenbummler, der wenige Tage vor dieser Europatour noch die Türkei und Kasachstan bereiste. Und er konzertiert in allen nur denkbaren Konstellationen und Formationen – immer wieder auch gerne solo.

In jüngster Zeit immer wieder auch in klassiknäheren Orchesterprojekten, für die der zwischen seinen Landsleuten und den Arabern musikalisch vermittelnde Pianist teils abendfüllende Werke komponiert hat. „A Home Between“ hieß denn auch in jeder Hinsicht passend das 2017 erschienene, erste Trioalbum, das viel Wohlwollen bei Kritik und Publikum erntete. Und auch der Name des Nachfolgers „Connecting the dots“, der sich erneut aus ganz unterschiedlichen, teils jazzfernen Welten speist (darunter die Lieder der libanesischen Sängerin Fairouz), offenbart etwas von Mintus’ über seine Arbeit hinausreichende Art zu sein und zu denken. So lesen sich seine selbst verfassten Linernotes fast wie die eines altersweisen Philosophen.

Dort heißt es, dass es geradezu therapeutisch sei, die Punkte unserer vielschichtigen Identitäten und unterschiedlichen Kulturen zu verbinden. Die Musik zeige, wie viel mehr alles miteinander assoziiert ist als oft angenommen, und ist somit eine Einladung zum Ausbau dieser Verbindungen. Diese wird das Berliner Publikum mit Kusshand annehmen.

Zudem ist für den charmanten Pianisten, der gelegentlich auch zur Melodica greift, dieser und noch ein, zwei weitere Jazzclubs schon eine Art Heimstatt. So präsentierte er z. B. schon ein mediterranes Liedprogramm mit der befreundeten deutsch-türkischen Jazzsängerin Defne Şahin. Eine Berlin-Premiere ist dagegen diese Formation mit dem US-amerikanischen Bassisten Dan Pappalardo und dem niederländischen Drummer Philippe Lemm, beides Freunde aus New York.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen