: Gewalt und Gegengewalt in Kameruns Westen
Der Bürgerkrieg in den beiden anglofonen Provinzen Kameruns treibt immer mehr Menschen in die Flucht. Die Zivilbevölkerung sitzt in der Falle zwischen Armee, echten und falschen Rebellen. Eine Befriedung ist nicht in Sicht
Aus Abuja Katrin Gänsler
Für die junge Frau, die ein schickes weißes Kleid trägt, sollte es neben einer beruflichen Weiterbildung eine kurze Auszeit in Nigerias Hauptstadt Abuja werden. Doch zu Ruhe kommt die Kamerunerin nicht. „Ich bin ständig in Gedanken bei meiner Familie“, sagte sie. Ihren Namen möchte die Leiterin einer kleinen nichtstaatlichen Organisation nicht nennen. Zu groß ist das Risiko, dass ihr oder ihrer Familie etwas angetan wird. Es gab bereits die Androhung einer Entführung.
Sie stammt aus Kameruns Region Nordwest, eine der zwei anglofonen Provinzen des gut 25 Millionen Einwohner großen Landes. Dort kommt es immer häufiger zu Kämpfen zwischen Polizei und den sogenannten Amba-Boys – bewaffnete Separatisten, die die Spaltung des Landes und einen eigenen Staat „Ambazonien“ wollen, aktuell aber auch selbst Ängste innerhalb der Bevölkerung schüren. Das Geld für den Aufstand, so wird in der Region erzählt, soll aus dem Ausland stammen.
Ende März hat das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) geschätzt, dass in der Region 437.000 Menschen auf der Flucht sind. Am stärksten betroffen ist die Region Südwest. Mittlerweile haben weitere 35.000 Menschen im Nachbarland Nigeria Asyl beantragt. Zur Versorgung seien aktuell 184 Millionen US-Dollar nötig, wovon 35,4 Millionen für dringende lebensrettende Maßnahmen gebraucht würden, fordert das UNHCR. Es fehle an Unterkünften sowie Gesundheits- und Sanitäreinrichtungen. Auch sei vor allem für Frauen, Kinder und Behinderte die Sicherheit nicht gewährleistet. Neben Angriffen komme es zu Folter, Vergewaltigung und Missbrauch.
Für die junge Frau in Abuja sind Entführungen aktuell das größte Sicherheitsrisiko. Deshalb ist sie aus dem Dorf, aus dem ihre Familie kommt, in die Provinzhauptstadt Bamenda gezogen. Ihr Bruder wurde bereits entführt und kam gegen ein Lösegeld in Höhe von umgerechnet gut 1.500 Euro wieder frei. „Wer hinter der Entführung steckt, wissen wir nicht. Es gibt so viele falsche Amba-Boys“, sagt sie. Das sind Banditen, die die unsichere Lage in der ganzen Region ausnutzen und neben Entführungen auch Überfälle verüben. Bei einem hat die Familie 26 Kühe verloren, eine wichtige Lebensgrundlage. „In den Städten sind zwar Sicherheitskräfte, nicht aber in den Dörfern.“
Doch auch die Städter sind nicht vor Entführungen sicher. Erst am 20. März gelang es Bewaffneten, das Fußballteam der Universität von Buea, Hauptstadt der Provinz Südwest, zu entführen. Bereits im vergangenen Jahr waren immer wieder Schüler und Studenten gekidnappt worden. Zwei Tage später kamen die Spieler frei. Anfang November sorgte eine Massenentführung von 80 Schülern ebenfalls für Aufsehen.
Im Kampf gegen die Rebellen verüben auch die staatlichen Sicherheitskräfte massive Menschenrechtsverletzungen. Am Donnerstag berichtete Human Rights Watch, seit Oktober seien mindestens 170 Zivilisten bei Kämpfen getötet worden. „Regierungsstreitkräfte in Kameruns anglofonen Regionen haben in den vergangenen sechs Monaten Dutzende Zivilisten umgebracht, unverhältnismäßige Gewalt angewendet und Hunderte von Häusern angezündet“, so die Menschenrechtsorganisation.
Die schlechte Sicherheitslage und das fehlende Vertrauen in den Staat macht auch die aktuelle Umfrage von Afrobarometer deutlich. Sechs von zehn Bewohnern der anglofonen Regionen sagten, dass sie Polizei und Armee „überhaupt nicht trauen“. Jeder vierte vertrat die Meinung, es würde „überhaupt keine Demokratie“ in dem Land geben. Seit Ende Januar ist etwa Oppositionsführer Maurice Kamto in Haft. Dessen Anhänger gehen nicht von einem fairen Prozess aus.
Dass sich die Lage im anglofonen Teil in absehbarer Zeit wieder bessern wird, davon geht die junge Frau nicht aus. „Im Busch halten sich so viele Amba-Boys versteckt. Wenn sich nichts ändert, werden sie noch mehr zerstören.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen