: Ohne Fahrer auf leeren Straßen
Für die Hamburger Verkehrswende setzen die Grünen verstärkt auf autonomes Fahren. Die Vision: individuelle Mobilität in öffentlichen, selbst fahrenden Fahrzeugen
Von Marco Carini
Schöne neue Verkehrswelt. Die fortschreitende Entwicklung autonomer, sich selbst steuernder Fahrzeuge bietet für Hamburg die Chance für eine umfassende Verkehrswende und den schmerzfreien Abschied vom eigenen Auto. Zu diesem Ergebnis kommt ein von den Hamburger Grünen und mehreren anderen grünen Landtagsfraktionen in Auftrag gegebenes Gutachten des auf Verkehrsfragen spezialisierten Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB).
Die Wissenschaftler entwickeln in ihrer 53-seitigen Studie die Vision einer großen öffentlichen Flotte autonomer Fahrzeuge, die jederzeit verfügbar und schnell an der Haustür sind, um Jedermann preisgünstig von A nach B oder zum nächsten Bus oder zur Bahnstation zu bringen oder dort abzuholen. Durch die Taxis ohne Fahrer soll „mehr Mobilität mit viel weniger Fahrzeugen“ entstehen. Denn ein normaler Privat-PKW steht 95 Prozent der Zeit nur rum. „Aus Fahrzeugen sind längst Stehzeuge geworden“, klagt der grüne Verkehrsexperte Martin Bill. „Hamburgs 800.000 Privatwagen parken eine Fläche zu, die Ottensen, St.Pauli, dem Stadtpark, der Binnen- und Außenalster zusammen entspricht“, hat Grünen-Fraktionschef Anjes Tjarks errechnet. Bei einer kompletten Umstellung auf autonome Fahrzeuge könnte die Zahl der Fahrzeuge in Hamburg auf ein Zehntel des heutigen Standes sinken, der freiwerdende Parkraum für den Öffentlichen Nahverkehr, Fußgängerinnen und RadfahrerInnen genutzt werden.
Allerdings ist laut Einschätzung der Autoren der Studie vollautonomes Fahren und damit die Umsetzung dieser Zukunftsvision erst in frühestens 20 Jahren möglich. Zeit genug die rechtlichen Rahmenbedingungen für ein solches System zu schaffen und die Umsteuerung voranzubringen. Die Idee: Wenn die autonomen Fahrzeuge ausgelastet sind, wird Mobilität billiger als das eigene Auto – und das ohne großen Zeitverlust für den Einzelnen.
„Wir müssen diese Systeme politisch wollen und jetzt anfangen politisch zu steuern“, sagt Tjarks. Denn die Autoindustrie verbindet mit den autonom fahrenden Fahrzeugen durchaus andere Ziele: Vollautomatisch normierte Abstände zwischen diesen Autos könnten dazu führen dass noch mehr private Fahrzeuge sich gleichzeitig im Straßenverkehr bewegen können. „Wenn Massen an privaten autonomen Fahrzeugen die Straße fluten, ist ein Verkehrskollaps unausweichlich“, warnt Bill. Deshalb fordern die Berliner Forscher in ihrer Studie „einen Abbau der Privilegien für das private Auto“.
Anjes Tjarks, Vorsitzender der Grünen Bürgerschaftsfraktion
Doch zuvor müssen die autonom fahrenden Prototypen noch einige Millionen Testkilometer absolvieren, um verkehrstauglich und vor allem sicher zu werden. Auf Hamburger Straßen wird bereits geprobt: VW stellte am Mittwoch eine neun Kilometer lange Teststrecke von den Messehallen über Dammtor, den Baumwall bis nach St. Pauli vor, auf der ab sofort fünf Elektro-Golfs vollautomatisiert unterwegs sein sollen. Die Fahrzeuge fahren aufgrund ihrer Programmierung zwar autonom, aus Sicherheitsgründen sitzt aber bei jedem Einsatz ein Fahrer hinterm Lenkrad.
Zudem ist der Einsatz von autonom fahrenden Kleinbussen in der Hafencity ab Herbst geplant – zunächst nur auf einer 700 Meter langen Strecke mit Sicherheitsfahrer, aber noch ohne Fahrgäste. Eine weitere Teststrecke zwischen Messegelände und Elbphilharmonie ist bereits geplant.
Im Oktober 2021 wird Hamburg den Weltkongress Intelligente Verkehrssysteme und Services ausrichten. Bis dahin will die Stadt etwas vorzuweisen haben. „Wir werden Hamburg als Modellstadt für intelligente Mobilität etablieren und der Weltöffentlichkeit 2021 viele innovative Mobilitätsprojekte vorstellen“, kündigte Wirtschaftssenator Michael Westhagemann (parteilos) am Mittwoch an.
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