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Vereint gegen Mietenwahnsinn

Zehntausende fordern bezahlbare Mieten, 15.000 unterschreiben das Volksbegehren für die Enteignung großer Immobilienkonzerne. Die Besetzung des ehemaligen Gemüseladens Bizim Bakkal wird gewaltsam geräumt

Aktivisten des Volksbegehrens sammeln bei Auftakt der Mietenwahnsinn-Demonstration am Alexanderplatz Unterschriften Foto: Christian Mang

Von Malene Gürgen

Rosa Schick kommt nicht vom Fleck. Die 29-Jährige trägt eine lila Warnweste über dem hellen Pullover, darüber hat sie sich ihre Bauchtasche und den Turnbeutel geschnallt. Die Sonne knallt um kurz nach halb eins am Samstagmittag am Alexanderplatz vom Himmel, als wäre es schon Sommer. Eigentlich würde Schick gern weiterlaufen, ein Plätzchen suchen, wo es mehr Schatten gibt. Aber das geht nicht: Mehrere Menschen stehen Schlange, um ihre Unterschrift auf das Blatt Papier zu setzen, das Schick auf einem Klemmbrett vor sich hält. Gerade kommt wieder eine Frau dazu: „Kann man hier endlich für die Enteignung unterschreiben? Ich suche schon die ganze Zeit.“

Eine Stunde zuvor: Während auf dem Alexanderplatz noch die Bühne für die Auftaktkundgebung der Mietendemonstration aufgebaut wird, die hier gleich beginnen soll, haben sich rund 50 Menschen im Schatten eines Gebäudes an der Ostseite des Platzes versammelt, alle tragen lila Westen. Vor ihnen steht Clara Eul, die 22-Jährige mit den kinnlangen braunen Haaren ist Teil der Initiative hinter dem Volksbegehren zur Enteignung von Immobilienkonzernen. Sie hat ein Megafon in der Hand, durch das sie Anweisungen durchsagt: „Ihr braucht Klemmbretter, Kugelschreiber, Briefumschläge und die Listen, nehmt so viel Material, wie ihr tragen könnt.“

Rosa Schick hört aufmerksam zu, gemeinsam mit einem Freund bildet sie eins der Teams, die heute auf der Demonstration Unterschriften für das Volksbegehren sammeln sollen. Gut 120 Menschen haben sich dafür vorher bei den Initiatoren des Volksbegehrens gemeldet, vor Ort kommen weitere dazu. Gearbeitet wird in zwei Schichten, die vollen Listen können zwischendurch am Lautsprecherwagen des Enteignungsblocks auf der Demonstration abgegeben werden.

Als Clara Eul mit den Durchsagen fertig ist, wuselt die Gruppe durcheinander: Wer braucht noch ein Klemmbrett, ist noch irgendwo eine Weste? Viele unterschreiben erst mal gegenseitig auf ihren Listen – schließlich ist heute der erste Tag, an dem es überhaupt möglich ist, seine Unterschrift für das Volksbegehren abzugeben.

Dann geht es los. Rosa Schick und Lukas Pappert, 28 Jahre alt, kennen sich aus dem Urbanistik-Studium, heute wollen sie gemeinsam Unterschriften sammeln. Auf dem Weg zur Auftaktkundgebung der Demonstration, die mittlerweile begonnen hat, üben sie noch mal schnell die Sätze, die sie gerade gelernt haben. „Haben Sie schon für gerechtere Mieten unterschrieben?“ ist so ein Satz, den sie zum Einstieg sagen können, wurde ihnen erklärt.

Als sie angekommen sind, wird nach ein paar Minuten klar: Solche Türöffnersätze sind nicht nötig. Die Menschen kommen von allein auf die beiden zu, sobald sie die Klemmbretter sehen, viele wissen bereits bestens über das Volksbegehren Bescheid. Viele wollen noch Listen mitnehmen, um selbst Unterschriften zu sammeln. „Ich habe am Dienstag Seniorenclub, das sind 60 Leute, die wollen alle unterschreiben“, sagt eine Frau.

Schick und Pappert kommen kaum hinterher. Nach 30 Minuten bringt Pappert den ersten Stoß voll geschriebener Listen weg, 30 Unterschriften hat er allein in dieser Zeit gesammelt. Klar, die Demonstration ist ein Heimspiel, trotzdem hätten die beiden mit so viel Andrang nicht gerechnet: „Wir müssen überhaupt nichts machen, das läuft komplett von allein“, sagt Schick lachend.

Als sich die Demonstration um kurz nach 13 Uhr schließlich in Bewegung setzt, mehrere Zehntausend Menschen haben sich inzwischen hier versammelt, ist das wie eine kleine Verschnaufpause: Im Enteignungs-block, wo die beiden mitlaufen sollen, haben die meisten Menschen schon unterschrieben, Zeit, mal eine Zigarette zu drehen. Über Freunde habe sie von der Sammelaktion erfahren, erzählt Schick. „Ich finde, es geht bei dem Volksbegehren nicht nur um hohe Mieten, sondern um die Frage, in was für einer Stadt wir eigentlich leben wollen“, sagt sie.

„Dieses Volksbegehren ist eine Kampfansage“, schallt es derweil vom Lautsprecherwagen. Im strahlenden Sonnenschein zieht die Demonstration über die Karl-Marx-Allee, wo aus den Häuserblöcken rechts und links der Straße seit Monaten unzählige rote und orangefarbene Tücher aus den Fenstern hängen: ein Zeichen des Protests der hiesigen Mieter gegen den Verkauf ihrer Häuser an den Immobilienkonzern Deutsche Wohnen.

Die Initiative will bis Juni 50.000 Stimmen sammeln. Das wird wohl kein Problem

Rund 40.000 Menschen nehmen nach Angaben der Veranstalter an der Demonstration teil, von der Berliner Polizei gibt es keine Zahlen. Viele Mieterinitiativen sind gekommen und haben eigene Transparente mitgebracht, unter den Demonstranten sind ältere Menschen, es gibt aber auch einen Jugend- und einen Rave-Block.

Später, in Kreuzberg, verbreitet sich dann ein Gerücht auf der Demonstration: In der Wrangelstraße wurde ein Laden besetzt! Tatsächlich: Es handelt sich um das leer stehende Geschäft in der Nummer 77, das früher den Gemüseladen Bizim Bakkal beherbergte. Im März 2016 gab der ehemalige Inhaber den Laden auf, vorangegangen war ein zwar erfolgreicher, aber kräftezehrender Kampf gegen eine Kündigung, die er im Februar 2015 erhalten hatte, zu seiner Unterstützung hatte sich damals die bis heute bestehende Initiative Bizim Kiez gegründet.

Die Besetzung wird nach kurzer Zeit unter Einsatz von Gewalt von der Polizei geräumt. Auf einem Video ist dokumentiert, wie auch die grüne Bundestagsabgeordnete Canan Bayram, die als parlamentarische Beobachterin vor Ort ist, von der Polizei abgedrängt wird. Die Initiative #besetzen sprach von „massiver Gewalt“ während der Räumung. Es sei während der Besetzung aber deutlich geworden, „dass eine Mehrheit der Bevölkerung unser Anliegen unterstützt, in dem seit Jahren leer stehenden Laden ein unkommerzielles Nachbarschaftszentrum einzurichten“, sagt Pressesprecherin Jona Sommer.

Dass die Demonstration mit dieser Räumung geendet habe, sei „frustrierend“ gewesen, sagt Rosa Schick später. Die Unterschriftensammlung allerdings war ein großer Erfolg: Rund 15.000 Unterschriften seien bereits an diesem Tag gesammelt worden, gibt das Volksbegehren-Bündnis am Abend bekannt. Die 50.000 Unterschriften bis Juni, die sich die Initiative selbst als Ziel gesetzt hat – schon das mehr als erforderlich – sollten kein großes Problem werden.

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