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Wie Major Taylor einen Antritt gegen den Hass suchte

Er war der beste Radrennfahrer seiner Epoche. Seriensieger, Spitzenverdiener und Weltmeister wurde Major Taylor aus Indianapolis. Aber mit den Erfolgen nahm auch der Rassismus zu: Hotels wiesen ihn ab, Konkurrenten drohten ihm. Er starb arm und einsam

Aus New York Sebastian Moll

Major Taylor war in der besten Stimmung seines Lebens, als er im Mai 1904 mit dem Dampfer am Embarcadero von San Francisco anlegte. Bei ihm waren seine erst einen Monat alte Tochter Sydney und seine Frau Daisy, zu seinem Gepäck gehörte neben seinen Rennmaschinen eine ganze Kiste Trophäen als Souvenirs an eine unvergessliche Reise.

Beinahe zwei Jahre war der 25 Jahre alte Radprofi aus In­dia­na­polis unterwegs gewesen, hatte die Massen in Frankreich, Belgien, Holland, Deutschland, England, Australien und Neuseeland begeistert und hatte die Champions der Welt alle besiegt. Er war in den Edelsuiten von Grandhotels abgestiegen, hatte Honoratioren und Politiker empfangen und unermüdlich Interviews gegeben.

Doch die Rückkehr war ernüchternd. Anders als etwa in Adelaide, wo Militärkapellen und Tausende von Fans ihn empfangen hatten, wartete in San Francisco niemand auf Taylor. So richtig begannen die Ärgernisse erst, als er mit seiner Familie ein Hotel suchte. Überall warf man sie raus, sein Manager musste schließlich ein Privatquartier organisieren. Ein Tisch in einem Restaurant war auch nicht zu bekommen, und so war es Taylor auch kaum zu verdenken, als er einem Mann einen Kinnhaken verpasste, der auf der Straße seine vergleichsweise hellhäutige Frau beleidigte, weil sie mit einem schwarzen Mann zusammen war.

Doch Major Taylor kannte so etwas schon von der Rückkehr von seiner ersten Europa-Tournee 1901. Schon damals hatte er erlebt, was Afroamerikaner aus allen Sparten bis heute durchmachen. Im Alltagsleben der USA bleibt ein Schwarzer ein Bürger zweiter Klasse, wenn überhaupt – ganz gleich, was er in der Welt erreicht hat.

So wurde Taylor nach seiner 1901-Tour noch stärker angefeindet als vorher. Man wollte ihm zeigen, dass es hier in Amerika nicht zählt, was er im Berliner Sportpalast oder im Pariser Prinzenpark geleistet hat. In den USA belegte man Taylor mit Bußgeldern für die verpassten Rennen. Und in jedem Meeting rotteten sich seine Gegner zusammen. Einer seiner größten Neider, Floyd MacFarland, beschimpfte jeden, der „gegen den verdammten Nigger“ verlor.

Wie anders war es ihm da in Paris ergangen. 25.000 Zuschauer feuerten Major Taylor an, als er den französischen Meister Edmond Jacquelin knapp besiegte. Und der erhob nach dem Rennen ein Glas Champagner auf seinen amerikanischen Rivalen.

Schon, als er im Alter von 17 Jahren in Indianapolis den Sprintweltrekord über die halbe Meile brach, „war ich schon auf dem Weg in der Kabine den schlimmsten Anfeindungen ausgesetzt“, heißt es in seinen Memoiren. Die USA waren in den 1890er Jahren noch lange nicht für einen afroamerikanischen Athleten bereit, und schon gar nicht auf einen, der das Zeug dazu hatte, seine Disziplin weltweit zu dominieren. Der Bürgerkrieg war gerade einmal dreißig Jahre her. Und nach einer anfänglichen Phase der Emanzipation für Afroamerikaner hatte eine starke Gegenbewegung eingesetzt, die „Reconstruction“. Auch wenn es die Sklaverei nicht mehr gab, lebten Afroamerikaner im Süden unter den rassistischen „Jim-Crow-Gesetzen“. Im Norden war es nicht ganz so schlimm, Schwarze mussten in der Regel keine Lynchmorde befürchten. Doch volle Bürgerrechte und die volle Teilhabe an der Gesellschaft blieben ihnen verwehrt.

Wenn Schwarze Sport trieben, dann nur unter sich. Jesse Owens und Joe Louis’ Triumphe sollten erst in den 30er Jahren passieren. Der legendäre Jackie Robinson durchbrach erst in den 40er Jahren im Baseball die „Color Barrier“ und erkämpfte sich das Recht, in der obersten Profiliga zu spielen.

Major Taylor hatte seinen Einstieg in den Sport und seine Entdeckung einer Reihe von Zufällen zu verdanken. Sein Vater, der im Bürgerkrieg in einer schwarzen Einheit für den Norden gekämpft hatte, arbeitete als Kutscher und Stallmeister für eine wohlhabende Indus­triel­len­fa­mi­lie in Indianapolis. Wie es sich fügte, war die Familie, die ­Southards, aufgeklärt und freundlich. Ihr Sohn war im gleichen Alter wie Major Taylor, die beiden waren von klein auf enge Freunde. Taylor ging im Haus der Southards ein und aus, als gehöre er zur Familie. Er genoss die Annehmlichkeiten des Reichtums sowie eine gehobene Bildung. Und als sein Freund ein Fahrrad geschenkt bekam, bekam er auch eins.

Taylor zeigte sich überaus geschickt auf dem Rad, und als er im örtlichen Fahrradgeschäft den Kunden zu deren Freude Tricks vorführte, fragte ihn der Besitzer, ob er nicht für ihn arbeiten möchte. Der erste Schritt zu seiner großen Karriere war getan. Durch die Arbeit dort kam der junge Taylor mit Radrennfahrern in Kontakt und bald nahmen sie den Jungen mit zu den Rennen. Es war eine Welt, die ihn nicht mehr losließ.

Radrennen waren Ende des 19. Jahrhunderts die große Sensation. Fahrräder mit Kettenantrieb wurden erst seit Kurzem in Serie gefertigt, und sie erlaubten es, Geschwindigkeiten zu erzielen und Dis­tanzen zu erreichen, die bis dahin unvorstellbar gewesen waren. Sechstagerennen in New York zogen Zehntausende von Zuschauern an.

Zum Start in seine Rennkarriere verhalf Taylor wiederum ein wohlgesonnener Mentor. Einer der Rennfahrer im Hay and Willis Bicycle Shop von Indianapolis, „Birdie“ Munger, ermutigte den erst 15 Jahre alten Taylor, doch einfach einmal ein Rennen auszuprobieren. Taylor stand Todesängste durch, wie er sich später erinnert, doch er gewann. Überlegen.

Birdie Munger ermutigte Taylor auch 1896, als Taylor gerade einmal 18 war, sich für das Sechstagerennen im Madison Square Garden anzumelden. Die sechs Tage in New York sollten Taylors Leben verändern. Der Neuling wurde in dem Rennen, das damals noch wortwörtlich sechs Tage lang nonstop dauerte, Achter. In den Zwischensprints hatte er den amerikanischen Sprint-Champion Eddie Bald besiegt.

In den kommenden Jahren stieg Taylor rasant zum Superstar der neuen Disziplin auf. Er brach einen Weltrekord nach dem anderem, flog über die Bahnen von New York bis Chicago – und überall, wo er auftrat, kamen die Massen, um ihn zu sehen. 1898, mit 19, errang er den verdienten Weltmeistertitel in Montreal. Im Jahr danach wurde er dann auch endlich Champion der USA.

Das Publikum liebte ihn, seine Rivalen hassten ihn. Im Zweifel wurde er einfach in die Bande gedrückt. Der Verband, der keine schwarzen Mitglieder duldete, erteilte ihm nur zähneknirschend eine Sonderlizenz. Und zum Wintertraining im warmen Florida ließ man ihn nicht.

So zeigte Taylor nach seiner zweiten Welttournee nur noch wenig Lust, in den USA Rennen zu fahren. In den Jahren 1905 und 1906 pausierte er völlig. Erst als er 1907 ein erneutes Angebot aus Frankreich erhielt, nahm er noch einmal das Training auf. Kurz danach stellte er dann endgültig sein Rad in die Ecke.

Im Leben nach der Radrennbahn kam Major Taylor niemals richtig an. Als Unternehmer in der Autobranche scheiterte er mehrfach, Ende der 20er Jahre hatte er das bescheidene Vermögen aus seinen Rennfahrerzeiten aufgebraucht. Es war der Beginn einer Abwärtsspirale. Seine Ehe zerbrach, er wurde schwer krank. In seinen letzten Tagen ging Taylor in Chicago von Tür zu Tür und versuchte, seine Memoiren zu verkaufen, für die sich niemand mehr interessierte. Er verstarb 1932 völlig vereinsamt in Chicago, wo er auf einem städtischen Armenfriedhof begraben wurde.

Erst in den vergangenen Jahren erinnert man sich wieder an den großen Pionier des amerikanischen Sports. Zwei Biografien wurden verfasst, derzeit wird ein Film gedreht. Anfang der 2000er Jahre wurden die Major Taylor Iron Riders gegründet, ein US-weiter Radklub, der Afroamerikanern den Zugang zu dem Sport ebenen soll. Ein dringend notwendiges Projekt, denn derzeit haben gerade einmal drei Afroamerikaner eine Profilizenz. Der erste international erfolgreiche schwarze Rennfahrer nach Major Taylor war Nelson Vails, der 1984 olympisches Silber im Bahnsprint gewann.

Vails war ein Radkurier aus Harlem und kam, wie Major Taylor, nur durch Zufall zum Rennsport. Ansonsten bleibt der Radsport in den USA beinahe genau so, wie er zu Mayor Taylors Zeiten war – durch und durch weiß.

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