Spiritueller Jazz aus Großbritannien: Mysteriöse Kometenmelodien
Das britische Trio The Comet Is Coming feiert den Kollektivgeist des Jazz. Es dockt mit seinem Sound an die Londoner Dancefloor-Szene an.
Euphorisch, mitfühlend, egoauflösend, ermächtigend, nuanciert, nahrhaft, transzendent. Nur einige der Adjektive, mit denen die britische Jazzcombo The Comet Is Coming ihr neues Album beschreibt, das heute veröffentlicht wird. „Trust In The Lifeforce Of The Deep Mystery“, sein Titel, klingt nach SciFi-Roman und Zukunftsforschung à la Erich von Däniken, auch die Gedankenwelt des Spiritual Jazz der späten sechziger Jahre liegt nicht fern. Man denke an die US-Harfenistin Alice Coltrane und ihren Mann, den Tenorsaxofonisten John Coltrane.
The Comet Is Coming bleiben als Band aber unkategorisierbar. Denn ihre Jazzerdung wird im elektronischen Teilchenbeschleuniger mit Elementen aus Funk, Dub und Grime zu einem erweiterten Klanguniversum. Der Londoner Guardian versucht es mit dem Begriff „Hardcore-Jazz“.
Eine schottische Zeitung wollte gar einen Einfluss der Deutsch Amerikanischen Freundschaft ausgemacht haben. Die Vorstellung, The Comet Is Coming könnten im Übungskeller den Sequenzerbass von DAFs „Der Mussolini“ studiert haben, ist amüsant, aber nicht grundfalsch. Genau wie der schroffe NdW-Punk des Düsseldorfer Duos ist der brachiale Sound der drei Briten auf Tanzbarkeit ausgerichtet – ohne sich dabei simpler kommerzieller Vermarktbarkeit hinzugeben.
Der Hüne mit der Kanne in der Hand
The Comet Is Coming fanden 2013 zusammen. Shabaka Hutchings war da bereits eine etablierte Größe der jungen britischen Jazzszene. Der 35-jährige Saxofonist tourte mit Kollegen wie dem Äthiopier Mulatu Astatke und sein Quartett Sons of Kemet kreierte mit Tuba, Saxofon und zwei Drumkits einen vibrierenden Mix aus Jazz, Funk und afrokaribischer Folklore. Derweil tobte sich das Duo Soccer 96 – Schlagzeuger Maxwell Hallett alias Betamax und Keyboarder Dan Leavers alias Danalogue – mit seinem trippigen Synth-Jazzrock in Lagerhallen und besetzten Häusern der Stadt aus. Und Shabaka Hutchings wurde zu seinem Fan: „Wir bemerkten oft diese Schattengestalt bei Konzerten“, erinnert sich Betamax. „Irgendwann stand der Hüne am Bühnenrand, und schwenkte sein Saxofon. Shabaka will schließlich mit jedem spielen. Wir ließen uns darauf ein, und sobald wir gemeinsam loslegten, entlud sich eine Energiewelle, die uns betäubte.“
Hutchins nennt sich bei The Comet Is Coming „King Shabaka“, eine Anspielung auf die Etymologie seines Vornamens, den er in Anlehnung an den letzten nubischen Pharao angenommen hat. Auf ihren Bandnamen stießen The Comet Is Coming dagegen, als sie ein Stück gleichen Namens unter alten Mitschnitten des BBC-Radiophonic-Workshop hörten. In den ElektronikproduzentInnen, die noch mit analogen Synthesizern Soundtracks für SciFi-Serien wie „Doctor Who“ komponierten, entdeckten die drei jungen Londoner Geistesverwandte.
Drummer Betamax erklärt den retrofuturistischen Ansatz folgendermaßen: „Wir versetzen uns zurück in die siebziger Jahre und stellen uns die Musik der Zukunft vor – so, wie man sie damals gespielt hätte. Wir erforschen neue Klangwelten und lassen all das Musikalische außer Acht, das für unsere Zwecke ungeeignet ist.“
So laut wie ein Orkan
Die Musik von The Comet Is Coming genießt man am besten im Konzert, wenn Shabaka Hutchings dank Zirkularatmung auf seinem Saxofon orkanartige Lautstärke entfacht, die die HörerInnen in einen glückseligen Zustand versetzen kann. „Trust In The Lifeforce Of The Deep Mystery“ setzt keineswegs nur auf ungestüme Attacke. Das Ambient-Intro mutet wie eine hippieske Fusion von Sun Ra und Brian Eno an. „Birth Of Creation“ wird, verglichen mit den üblichen Highspeed-Dub-Tracks des Trios, geradezu im Zeitlupentempo gespielt. „Summon the Fire“ ist wiederum grandioser elektronischer Funk mit vertrackten Grooves und ultratiefen Bässen, die tatsächlich nach DAF klingen. „Timewave Zero“ hat gleichermaßen Anklänge an Fusion-Jazz und die Postdubstep-Klangpallette von Mount Kimbie.
The Comet Is Coming: „Trust In The Life Force Of The Deep Mystery“ (Impulse!/Universal)
live: 8. 4., Berlin, „Bi Nuu“; 9. 4., Frankfurt, „Zoom“; 10. 4., Köln, „Stadtgarten“; 12. 4., München ,„Strom“
Wie schon beim letztjährigen Album von Shabaka Hutchings’ Band Sons of Kemet liegt auch dem The-Comet-Is-Coming-Werk ein Essay bei. Der Schriftsteller Ben Myers stellt in seinem Manifest die Frage: Wie viel Vertrauen können Individuen ihren Regierungen noch entgegenbringen in Zeiten, in denen die reiche Elite an Einfluss gewinnt?
Rief Hutchings mit Sons of Kemet und dem hochgelobten „Your Queen Is a Reptile“ unterrepräsentierte weibliche Aktivistinnen der afrikanischen Diaspora mit Songtiteln in Erinnerung, gibt er auf „Trust …“ der Londoner Rapperin Kate Tempest eine Bühne. Tempest, die in ihren Songs und Gedichten Gesellschaftskritik mit Alltagsbeobachtungen verknüpft, sprechsingt in der Nummer „Blood of the Past“ von Schuld und der alltäglichen Sinnlosigkeit einer Existenz im Kapitalismus. Aufstehen, Duschen, Kaffee, Pendeln, online sein – „never stop!“ Am Ende steht ein düsteres Fazit der derzeitigen britischen Geisteshaltung, unmittelbar vor dem Brexit: „Too proud, unable to listen / Unable to notice ourselves, unable to stop / And unwilling to learn.“
Rassismus und Esoterik
„Leidenschaft und Wut – Kate Tempest verkörpert das in ihrem Bühnenvortrag“, merkt Keyboarder Danalogue an. Auch Shabaka Hutchings, aufgewachsen auf Barbados, gibt sich unversöhnlich, vor allem, wenn es um das Thema Rassismus geht und die blinden Flecken in dessen historischer Aufarbeitung. Bei The Comet Is Coming hält er sich aber zurück. Schon das Cover des Albums wirkt kitschig. Das Gemälde mit lila-rotem Farbverlauf hat Esoterik-Anmutung. Die titelgebende „Lifeforce“ sei auf die Sinnsuche im Unbegreiflichen fokussiert. „Diese Kraft betrachtet die Wahrheit in der Existenz einer Urenergie“, so der Saxofonist. Da das Interview per E-Mail geführt wird, bleibt offen, ob Ironie in diesem Statement mitschwingt. „In unserer musikinduzierten Trance gewinnen wir neue Einblicke in diese Lebenskraft. Dadurch können wir über die Stellung von uns Menschen vor dem Hintergrund der epischen Weite des Weltraums nachsinnen.“
Drummer Betamax wird ein bisschen konkreter: „Wir werden allmählich zu Cyborgs. Künstliche Intelligenz und die Verschmelzung von Hirn und Computer werden uns noch lange beschäftigen. Also lasst uns wenigstens inneren Frieden finden, damit wir dabei kluge Entscheidungen treffen.“
In Londons Clubs wird seit längerem nicht nur zu elektronischem Dancefloor getanzt, sondern auch zu Jazz. Und genau an dieser Schnittstelle kommen The Comet Is Coming ins Spiel. Mit einer rohen, zutiefst körperlichen Energie, die auf die Eingeweide zielt. Ermächtigend und egoauflösend – durch Fusion-Sounds, die mit dem virtuosen Gefummel der siebziger Jahre nur noch am Rande zu tun haben. „Unser Album ist keine Reaktion auf die Vergangenheit, es ist eine Feier der Gegenwart“, so Hutchings. „Die Verhältnisse sind düster, umso wichtiger sind Menschen, die der Kraft der Fantasie vertrauen.“
Kate Tempest trübt diese spirituelle Feier allerdings. Ihr Gastbeitrag „Blood of the Past“ kommt als achtminütiger Höllentrip mit dunklen Synth-Bässen und Keyboards daher, die so harsch klingen wie Metalgitarren. Hutchings’ Saxofon klingt nach Tempests Sprechgesang unbarmherziger denn je und scheint geradewegs in kosmische Höhen aufzusteigen. Doch zuvor wirkt da noch diese finstere Zeile von Kate Tempest, eine schlichte Metapher, die doch viel über das Großbritannien im Frühjahr 2019 aussagt: „These windows don’t open / They were designed to stay closed.“
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