: Alles nur ein Missverständnis?
Eine Journalistin und ihr Team werden in einem Flüchtlingscamp in Bangladesch angegriffen. Sie drehten für den Kinderkanal. Der Botschafter spielt den Fall herunter. Das zuständige ARD-Büro ist verärgert
Von René Martens
Die Filmemacherin Stefanie Appel kennt Bangladesch recht gut, sie hat dort für Arte eine Dokumentation über die Modedesigerin Bibi Russell gedreht und 2017 für die Kinderkanal-Reihe „Schau in meine Welt“ die Folge „Fatema, das Surfergirl von Cox’s Bazar“. Derzeit schneidet Appel einen weiteren Film für die Kika-Reihe – über die neunjährige Bushra, die im Rohingya-Camp Kutupalong lebt, dem im südöstlichen Bangladesch gelegenen größten Flüchtlingslager der Welt.
Was man in dem Film nicht sehen wird: dass die vom HR beauftragte Autorin, ihr Kameramann und ihr Tonmann bei den Dreharbeiten beinahe getötet worden wären – von „einem organisierten Mob von 200 Männern zwischen 16 und 50“, wie Appel sagt. Das TV-Team befand sich zu dem Zeitpunkt mit Bushra und ihrer Mutter auf einem Markt, der zum Camp gehört
Appel spricht gegenüber der taz von „versuchtem Totschlag“. Peter Gerhardt, Leiter des ARD-Studios Neu-Delhi, sagte im Deutschlandfunk, die Kolleg*innen wären „vielleicht gelyncht“ worden, hätten nicht bangladeschische Polizisten eingegriffen. Örtliche Medien veröffentlichten ein Foto des HR-Kameramanns, es zeigt dessen Rücken mit Spuren von Schlägen.
Obwohl es sich um einen der brutalsten Angriffe auf deutsche Journalisten in jüngerer Zeit handelt, hält sich die Berichterstattung hierzulande in Grenzen. Der deutsche Botschafter Peter Fahrenholtz sprach auf Twitter von einem Missverständnis: „It happened because of a misunderstanding. They are well and safe now.“
Alles nur ein Missverständnis? Das sei ja wohl ein „bizarres Wording“, antwortete ARD-Mann Gerhardt daraufhin. Die ARD-Leute vermuten, dass das Gerücht vom „Missverständnis“ auf aus dem Tätermilieu gestreuten Informationen beruht, die Angreifer hätten die TV-Leute für Kindesentführer gehalten. Stefanie Appel sagt dazu: „Wir waren mit Equipment vor Ort, haben unsere Presseausweise gezeigt, hatten eine Drehgenehmigung. Wir hatten einen Muttersprachler dabei – und Bushras Mutter hat die Situation ebenfalls erklärt.“
Das Team war zum Zeitpunkt des Angriffs bereits sieben Tage im Camp – „jeden Tag zehn Stunden lang“, wie Appel sagt. „Wir waren bekannt in diesem Viertel des Camps, haben dort auch in der Moschee gedreht. Wir sind bei der Familie ein und aus gegangen. All das wird man auch in dem Film sehen.“ Appel betont, ihre Protagonistin sei „in engster Abstimmung“ mit der UNHCR und dem Bangladesh Rural Advancement Committee, einer der weltweit größten NGOs, ausgewählt worden. „Ich habe mir noch eine Sondergenehmigung für bestimmte Teile des Camps geholt, um auch in einem Frauenhaus drehen zu können, wo Bushra mit ihrer Mutter hingeht.“ Appel wollte sichergehen, dass der Kameramann dort seiner Arbeit nachgehen kann. „Wir haben keinen Schritt ohne doppelte Absicherung gemacht“, betont die Filmemacherin.
In Südasien komme es, so Appel, häufiger vor, dass über WhatsApp gezielte Falschinformationen verbreitet werden, um massenhafte Angriffe auszulösen – so war er offenbar auch in diesem Fall. Elf Verdächtige wurden kurz nach dem Angriff verhaftet.
In Bangladesch berichteten die Medien, anders als in Deutschland, ausführlich über den Angriff. Zwei Delegationen deutscher Parlamentarier, die kurz danach im Land eintrafen, bekamen davon aber allenfalls wenig mit. Zwei Tage nach dem Angriff traf eine dreiköpfige Delegation ein, angeführt von Claudia Roth, eine weitere folgte am Montag darauf – angeführt von Tobias Pflüger (Die Linke), Vorsitzender der Parlamentariergruppe Südasien.
Roth habe „von dem Vorfall einige Tage später während ihres Besuchs in einem anderen Landesteil erfahren“, sagt eine Sprecherin der Grünen-Politikerin. „Da ihr Besuchsprogramm einen anderen thematischen Schwerpunkt hatte, gab es keine Möglichkeit, sich über die Details zu informieren.“ Roths Parteikollege Frithjof Schmidt, der ebenfalls dieser Gruppe angehörte, sagt: „Unsere Gesprächspartner haben das Thema nicht erwähnt, obwohl wir mit einem breiten Spektrum von Personen Kontakt hatten.“ Auch der deutsche Botschafter, „der uns einen Tag lang begleitet hat“, habe das Thema nicht erwähnt. Informiert war dagegen Pflüger, der besagtes Flüchtlingscamp besuchte. Er meint, man sollte den Vorfall „nicht überdramatisieren“. Mit Stefanie Appel hat er allerdings nicht gesprochen.
Die Filmemacherin ärgert sich auch über eine unzureichende Betreuung durch die Botschaft. Der Angriff geschah an einem Donnerstag. An den zwei Tagen danach seien die örtlichen Diplomaten für sie und ihre Kollegen nicht erreichbar gewesen, auch nicht über eine Notfallnummer. In Bangladesch ist am Freitag und Samstag Wochenende. HR-Sprecher Christian Bender sagte dazu gegenüber der taz, das Verhalten der Botschaft „sei nicht wirklich hilfreich“ gewesen. Da es sich um „keinen eklatanten Regelverstoß“ handle, wolle man aber diesbezüglich „keine weiteren Schritte“ unternehmen.
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