… und danke für den Fish

Wie schnell, scheint derzeit etwas unklar. Dass er aber kommen wird, der Brexit, das ist klar. Ein Effekt: Viele Brit*innen wollen Norddeutsche werden, und nicht wenige sind schwer enttäuscht von ihren Landsleuten. Und auf der Nordsee kehrt überwunden geglaubter Wettbewerb zurück43–45

Draußen der Union Jack, drinnen im Hamburger Rathaus hielt beim Matthiae-Mahl 2016 David Cameron eine unverschämte Rede mit Forderungen an die EU Foto: Lukas Schulze/dpa

Von Alexander Diehl

Schleswig-Holstein haben sie geformt und das moderne Niedersachsen, damals nach dem Krieg, und sehr viel früher zeitweise gleich mitregiert im Welfenreich. Der Nord(west)deutsche Rundfunk? Eingerichtet nach dem Vorbild der British Broadcasting Corporation! Und fangen wir gar nicht erst an mit der Anglophilie, mit der in Hamburg mancher Wachsjackenträger den ihm ureigenen Klassendünkel verwechselt.

Küstennähe und Kaufmannsgeist prägen hier wie da Herzen und Handeln, und für beider Regionen Küche bringen Franzosen respektive Süddeutsche bestenfalls Mitleid auf. Dass also der angekündigte Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union in Norddeutschland ganz besonderen Widerhall haben wird: Das anzunehmen hat durchaus seine Berechtigung.

Ein Indiz? Seit im Juni 2016 eine nicht eben atemberaubende Mehrheit der dazu Berechtigten für den „Brexit“ votierte, bemühen sich immer mehr britische „Expats“ um den deutschen Pass – und nicht wenige davon schimpfen auf die ihnen fremd gewordenen Landsleute, auf deren Unvernunft und das „Chaos“, das sie verbreiteten. Schon 2017 wurden signifikante Sprünge in Bremen verzeichnet, in Niedersachsen war zuletzt die Rede von einem Zuwachs um fast 50 Prozent. Und gerade erst teilte Hamburgs Senat mit: Seit dem Referendum haben Brit*innen an der Elbe mehr als 1.000 Einbürgerungsanträge gestellt – davor waren 50 im Jahr schon auffällig viele.

Ob am Ende die Trennung ohne Deal oder mit einem noch zu findenden kommt: Komplizierter dürfte das Leben werden, einerseits für Brit*innen in Norddeutschland – so wie für jenen Hamburger Ladenbesitzer, der fest eingeplant hatte, als Pendler auch seine greise Mutter in Ascot mit zu versorgen. Aber auch für Menschen, die einfach nur Geschäfte machen wollen (oder müssen) – über eine Grenze hinweg, die doch so überwunden schien: In Schleswig-Holstein hat die Industrie- und Handelskammer den Posten eines Brexit-Beraters geschaffen, denn rund jedes zweite Unternehmen im nördlichsten Bundesland befürchtet Beeinträchtigungen vor allem durch bürokratische Hürden. Und wussten Sie, dass der Ausstieg mit den derzeit noch so nebulösen Bedingungen sogar 51 Mitarbeiter*innen der schleswig-holsteinischen Landesverwaltung betrifft?

In Niedersachsen ist Ende Februar eine „bundesweit einzigartige“ Hotline freigeschaltet worden – für ganz normale Bürger*innen mit brexitbezogenen Sorgen. Der Wirtschaft wiederum macht die hannöversche Europaministerin Birgit Honé (SPD) nur wenig Hoffnung: Von einer London-Reise jedenfalls sei sie gerade ziemlich ernüchtert zurückgekehrt, sagt sie im taz-Interview: Niedersachsens zweitwichtigster Handelspartner sei tief gespalten – und völlig unklar, „wie diese Wunde einmal heilen soll“.

Erste Kutter-Scharmützel – noch ohne norddeutsche Beteiligung – nähren die Sorge, dass auf der Nordsee sehr alte Streitigkeiten wieder an Brisanz gewinnen könnten, um Fische und Fanggebiete, Quoten und Tarife. Dass das einst so Vereinigte Königreich dabei mehr zu verlieren haben dürfte als Kontinentaleuropa, tröstet da kaum irgendwen.