Dokumentarfilm über das Kosmosviertel: „Einen positiven Vibe reinbringen“

Man kann auf den Müll halten oder auf den Balkon im Sonnenschein, sagt Alexandra Weltz-Rombach. Sie hat einen Film über das Kosmosviertel gemacht.

Frau unterwegs am Kosmosviertel

„Kosmos Berlin“: Ein Viertel, wie im Filmstill zu sehen, mit ganz schön viel Grün drumherum Foto: parkafilm

taz: Frau Weltz-Rombach, Sie haben einen Imagefilm über das Kosmosviertel gedreht. Warum?

Alexandra Weltz-Rombach: Ich habe früher schon einen Film mit Jugendlichen über die Carl Legien Siedlung in Prenzlauer Berg gedreht und einen weiteren über den Ernst-Thälmann-Park – von daher war ich schon etwas im Thema drin. Die Anfrage für einen Werbefilm über das Kosmosviertel kam von einer gemeinnützigen GmbH, die mit Jugendlichen Medienarbeit organisiert. Für die habe ich schon oft Filme gemacht und war da immer die Person für die etwas kniffligeren Sachen. Deswegen bin ich gefragt worden, ob ich Lust hätte, eine filmische Gegendarstellung über das Kosmosviertel zu machen.

Eine Gegendarstellung wozu?

Die Menschen dort waren sehr unglücklich damit, wie sie vergangenes Jahr in einer Dokumentation im Privatfernsehen dargestellt wurden. Es muss da richtige Schockwellen unter den Bewohnern gegeben haben. Auch viele Kinder im Viertel waren entsetzt und getroffen davon. Weil es natürlich um sie geht und sie mit der Dokumentation so stigmatisiert wurden. Deswegen fand ich eine Gegendarstellung eine gute Idee. Ich komme selbst aus der Gropiusstadt, von daher hatte ich schon ein Verhältnis zum Plattenbau.

Was war Ihr erster Eindruck vom Kosmosviertel?

Wenn man jetzt aus dem Lala-Land Gräfekiez kommt, dann ist das natürlich eine andere Welt. Es ist auch manchmal hart, auf was für Szenen man so trifft. Ich muss aber sagen, dass die Leute mir sehr nett begegnet sind, und ich Glück hatte, in dem schönen langen Sommer letztes Jahr dort drehen zu können. Das war manchmal fast ein Capri-Gefühl.

Hatten Sie vorab schon eine Vorstellung, wie der Film aussehen sollte?

Ich kam in dem Nachbarschaftstreff dort an. Nach dem ersten Gespräch mit den Leuten hatte ich direkt Lust, etwas im Stil von „Der Himmel über Berlin“ zu machen. So habe ich angefangen. Da hatte ich schon eine Filmbrille auf und wollte hoch auf die Balkone. Außerdem haben mir alle sofort erzählt, was es im Viertel so gibt. Die Linedance-Gruppe, die Medienetage, der Abenteuerspielplatz. Wir wollten uns diese Dinge erst einmal angucken. Das Kosmosviertel ist halt auch eine Siedlung wie alle anderen.

Aber die dokumentarische Herangehensweise an einen vorurteilsbehafteten Ort ist schon anders?

Ich hatte vorher mit einem Bekannten gesprochen, der bei einem Tanzprojekt in Hoyerswerda mitgemacht hat. Da wurde „Le sacre du printemps“ von Strawinsky mit den Bewohnern von einem Plattenbau aufgeführt. Es ging auch darum, über die Zukunft zu sprechen und darüber, wer man eigentlich sein will. Also darum, sich eben nicht an Stereotypen abzuarbeiten, sondern Deutungsmacht über sich selbst zu gewinnen. Das war auch ein Gedanke, mit dem ich ins Kosmosviertel gefahren bin.

Trotzdem könnte man sagen: Der Film blendet alles Negative aus.

Es war ja mein Auftrag, einen Imagefilm zu machen. Es stimmt schon, dass der eine Menge auslässt. Ich glaube, man spürt noch ein bisschen etwas von den negativen Seiten. Aber der Film thematisiert nicht die Mietpreissteigerungen wegen der energetischen Sanierungen, er bildet bestimmte Konflikte nicht ab. Er versucht eben, weniger Hässlichkeit darzustellen. Ich habe mir Mühe gegeben, die Probleme im Viertel nicht isoliert darzustellen, sondern sie über die Leute zu erzählen, die sich darum kümmern.

Engagement anstelle von Aussichtslosigkeit?

Genau. Die Leute engagieren sich ja aus einem bestimmten Grund. Man sagt dort nicht nur „das und das ist Scheiße“, sondern nimmt die Sachen in die Hand. Für diese Perspektive habe ich mich bewusst entschieden. Ich habe mich auf die Leute konzentriert, die hier einen positiven Vibe reinbringen und gebe denen eine Plattform.

Also Good Films, so wie Good News?

Der Ort:

Das Kosmosviertel ist eine Plattenbausiedlung im südöstlichen Berliner Stadtteil Altglienicke mit knapp 5.700 Einwohner*innen. Anfang 2018 sorgte eine Dokumentation des Fernsehsenders Vox für Aufregung, die den Ort als „sozialen Brennpunkt“ und „Problemviertel“ darstellte.

Der Protest:

Über das Viertel wurde vermehrt wegen geplanter Mieterhöhungen und energetischer Sanierungen berichtet. Mieter*innen organisierten und wehrten sich. Im Februar konnten die betroffenen Häuser von der städtischen Wohnungsgesellschaft Stadt und Land zurückgekauft werden.

Der Film:

„Kosmos Berlin“ von Alexandra Weltz-Rombach ist im Rahmen des Projekts „Kiezfilm der Möglichkeiten“ entstanden, das unter anderem von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung gefördert wird. Zu sehen ist der 14-minütige Film auf Youtube.

Mir liegt es einfach eher, etwas über Menschen zu machen, die ich gut finde. Ich mache keinen investigativen Journalismus und versuche Dinge auszugraben, die Menschen lieber verschweigen wollen. Ich betrachte mich gerne als positive Verstärkerin.

Wie hat die Zusammenarbeit mit den Bewohner*innen funktioniert?

Die Leute sind mir schon sehr bewusst begegnet. Bei manchen habe ich gemerkt, dass da sehr viel Vertrauen zerstört wurde. Ich wurde gefragt: Wer bist du denn? Warum machst du das jetzt überhaupt? Was soll das alles? Viele hatten auch keine Lust, gefilmt zu werden. Ich war sehr vorsichtig damit, einfach Leute auf der Straße zu filmen, und habe niemanden ungefragt aufgenommen. Das merkt man dem Film auch an, es wirkt oft nicht sehr belebt.

Waren die Menschen Ihnen gegenüber misstrauisch?

Mich hat schon erstaunt, wie sehr ich dort ein Alien war. Nicht unbedingt weil ich aus Kreuzberg kam, sondern als Filmemacherin. Die Leute hatten gar kein Konzept davon, was das ist. Das ist krass, weil natürlich alle die ganze Zeit auf ihrer Facebook-Timeline rumschrubben. Wir alle sehen die Welt da draußen den ganzen Tag über Videos und Fotos auf Social Media. Gleichzeitig haben wir oft keine Vorstellung davon, wie die Leute aussehen, die das alles machen. Das ist wie so eine graue Wolke, die im schlimm­sten Fall eine vorurteilsbeladene Doku auf einen abfeuert. Und dann weiß man nicht einmal, wo man sich darüber beschweren kann. Gleichzeitig möchten wir uns repräsentiert fühlen und das eigene Bild mitgestalten, auch weil wir ständig online sind. Aber es fehlt das Verständnis dafür, wie das alles funktioniert.

Alexandra Weltz-Rombach

Jahrgang 1973, arbeitet als Filmemacherin und Producer. In ihrem nächsten Projekt beschäftigt sie sich mit dem Mauerfall, den neunziger Jahren und Antifaschismus als Jugendkultur.

Wessen Verantwortung ist es, zu erklären wie das geht?

Meine. Unsere. Ich war im Kosmosviertel total damit konfrontiert, meine Arbeit zu erklären. Es ist wichtig, den Leuten einen Moment zuzuhören und ihnen den Raum zu lassen zu entscheiden, ob sie mitmachen wollen oder nicht.

Wie ist der Film entstanden?

Ich habe mich über sechs Wochen einmal die Woche mit Interessierten getroffen, die Lust hatten, Teil des Projekts zu sein. Ich habe versucht, meine Ideen zu zeigen und anzubieten, aber auch zu schauen, was gegeben ist. Wir haben diskutiert und Brainstormings gemacht, wer alles im Film vorkommen soll, was alles passieren soll.

Also war das ein Gemeinschaftsprojekt? Als Zuschauerin erfährt man das ja nicht.

Ich wollte das zu einem Teil des Films machen und habe dann keinen Platz mehr dafür gefunden. Ich habe den Film einmal vor Ort gezeigt und danach haben wir die Diskussion mit den Anwohnern gefilmt. Aber dann kam der Film schon so gut zusammen, dass wir auf dieses Material verzichtet haben. Und die Diskussion hätte man ehrlich gesagt auch wieder inszenieren müssen.

Wir nehmen ja oft an, ein Dokumentarfilm wäre keine Inszenierung, sondern die Realität.

Klar, das stimmt ja auch ein Stück weit. Aber allein in welche Richtung du die Kamera hältst, ist entscheidend. Ob du den Mülleimer filmst, der nicht geleert wurde, oder den schönen Balkon im Sonnenschein.

Da hängen die Erwartungen doch total schief?

Ich denke, dass sich da in den letzten 20 Jahren beim Publikum ein viel stärkeres Bewusstsein entwickelt hat. Natürlich gibt es Fälle, wo am Bild manipuliert wurde oder wo die Geschichte so erzählt wird, wie man sie selbst nicht sieht. Es ist eben nicht die eine Wahrheit. Natürlich will immer jemand etwas damit sagen.

Was bedeutet das für den Dokumentarfilm?

Den Dokumentarfilm, wie er in den 50er, 60er und 70er Jahren verstanden wurde – also als ethnografischer Film, für den man irgendwo hinfährt und etwas vermeintlich Reines betrachtet – gibt es fast nur noch als akademische Disziplin. Dann sieht man im Fernsehen nichts mehr, was ohne Kommentar auskommt. Es sind ja nur noch die großen Kunstfilme, in denen man auf die Erklärstimme verzichtet. Und natürlich gibt es eine lebhafte Diskussion darüber, wie man sich als Dokumentarfilmer zu seinem Subjekt verhält.

Inwiefern?

Ich war letztes Jahr bei der DOK-Leipzig, als „Lord of the Toys“ gezeigt wurde. Mich hat schockiert, wie Nazis da einfach ihr Geseiher ablassen konnten und niemand ihnen jemals widerspricht. Die Realität braucht eben oft Einordnung, und das haben die Filmemacher in dem Fall nicht hinbekommen. Dann zu sagen: Wir zeigen nur die Realität, halte ich für schwierig. Ich denke, es gibt einen großen Bedarf darüber zu sprechen. Wie schafft man es, ein Anliegen ohne moralischen Zeigefinger zu präsentieren, sodass es eine gewisse Ambivalenz behält? Auch im Kontext des Storytelling, wo alles im Sinne der Heldenreise immer so zugespitzt ist.

Also müssen auch Dokumentarfilme diesen Popcorn-Bedürfnissen gerecht werden?

Das hat eben mit Aufmerksamkeit zu tun. Klar gucke ich mir auch lieber einen spannenden Film an, aber ich hab auch gelernt, dass man sich manchmal auf Zeitlichkeit einlassen muss, zum Beispiel bei Videokunst. Es ist wie bei allen Dingen: Entweder man nimmt die Popcornversion mit oder man hat Bock auf ein bisschen mehr und arbeitet sich ein.

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