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Venezuelas Militär lässt keine Hilfslieferungen zu

Der selbst ernannte Interimspräsident Juan Guaidó scheitert mit der Einfuhr politisierter Hilfsgüter. Bei Auseinandersetzungen in Grenzorten gibt es fünf Tote und 300 Verletzte

Auf der Grenzbrücke zwischen Venezuela und Kolumbien in Cucuta desertieren drei venezolanische Polizisten (vorn) Foto: Rafael Hernandez/dpa

Von Jürgen Vogt, Buenos Aires

Dicke Rußwolken ziehen über den Grenzfluss Táchira. Auf der Brücke Francisco de Paula Santander zwischen der kolumbianischen Stadt Cúcuta und dem venezolanischen Ureña brennt am Samstagnachmittag ein Lkw. Freiwillige haben mit einem Konvoi aus drei Lkws voll Hilfsladungen gerade versucht, die Sperren der Armee auf venezolanischer Seite zu durchbrechen. Gummigeschosse und Schrotkugeln schwirren umher, Steine fliegen, Tränengas wabert über die Brücke. Während der Lkw ausbrennt, werden die beiden anderen nach Cúcuta zurückgebracht.

Venezuelas selbst ernannter Interimspräsident Juan Guaidó ist mit seinem Transport von Hilfsgütern gescheitert. Guaidó hatte den 23. Februar als Stichtag für die Einfuhr humanitärer Hilfen wie Medikamente und Nahrungsmittel ausgerufen. „Si o Si, van a entrar – Ja oder Ja, sie werden hereinkommen“, hat er seit Tagen verkündet. Auf dem Landweg über die Nachbarländer Kolumbien und Brasilien sowie auf dem Seeweg von der Antilleninsel Curaçao sollten die vor allem aus den USA stammenden Container mit Hilfsgütern nach Venezuela gebracht werden. Armee und Nationalpolizei befahl er, die Transporte nicht zu behindern.

Dagegen hatte Staatschef Nicolás Maduro angekündigt, keine Transporte ins Land zu lassen. Am Donnerstagabend ordnete er die Schließung der Grenze zu Brasilien an und am Freitagabend die teilweise Schließung der Grenze zu Kolumbien. Zuvor hatte er den kompletten See- und Luftverkehr zu dem Antilleninseln sperren lassen. Armee und Nationalpolizei habe den Befehl, keine Hilfslieferungen ins Land zu lassen.

Ähnliche Szenen wie die auf der Santander-Brücke werden von anderen Grenzübergängen gemeldet, ebenso Auseinandersetzungen zwischen Protestierenden und Uniformierten aus den venezolanischen Grenzorten selbst. Auf der Brücke Simón Bolívar, die Cúcuta mit dem venezolanischen San Antonio del Táchira verbindet, stehen sich Freiwillige und Uniformierte zunächst friedlich gegenüber. Die einen wollen die anderen davon überzeugen, die Hilfstransporte durchzulassen.

Als ein Lkw auf der Brücke Richtung Venezuela fährt, eskaliert auch dort die Gewalt. In der Grenzstadt Ureña kommt es zu gewaltsamen Zusammenstößen von protestierenden EinwohnerInnen und Uniformierten. Tränengasschwaden ziehen durch den Ort, ein Linienbus wird in Brand gesteckt. Um die Lage zu beruhigen, ordnet Kolumbiens Präsident Iván Duque am späten Samstagabend die vorübergehende Schließung der vier Brücken bei Cúcuta sowie der Grenzübergänge in der Provinz Norte de Santander an.

Nach einer ersten Bilanz werden an der Grenze zu Kolumbien knapp 300 Menschen verletzt. Fünf Todesopfer werden von der Grenze zu Brasilien gemeldet. Bereits am Freitag seien zwei Menschen bei Auseinandersetzungen mit dem venezolanischen Militär ums Leben gekommen. Am Samstag seien drei weitere in der venezolanischen Grenzstadt Santa Elena de Uairén von Schüssen getötet worden. Dort hätten 35 Menschen Schussverletzungen erlitten, sagt Alfredo Romero, Direktor der venezolanischen Menschenrechtsorganisation Foro Penal.

Dass Kolumbiens Außenministerium das Überlaufen von 60 venezolanischen Militärs allein am Samstag bekannt gibt, fällt nicht ins Gewicht. Streitkräfte und Nationalpolizei stehen weiter hinter Maduro. Er lässt sich in Caracas von seinen Anhängern als Sieger feiern.

Maduro lässt sich feiern, sein Rivale Guaidó will den internationalen Druck erhöhen

„Der Staatsstreich ist gescheitert“, ruft der Staatschef einer versammelten Menge zu. Guaidó sei „ein Clown, ein Hampelmann, eine Marionette des US-Imperialismus“. Markige Worte richtet er auch ans Nachbarland: „Wir können nicht weiter tolerieren, dass sich kolumbianisches Gebiet für eine Aggression gegen Venezuela hergibt.“ Maduro kündigt den Abbruch der diplomatischen Beziehungen an. Kolumbiens Diplomaten hätten 24 Stunden Zeit, die Heimreise anzutreten. Am Ende macht Maduro noch ein Tänzchen mit der Primera Dama Cilia Flores auf der Bühne.

Ließ sich Guaidó beim Start der ersten Lkws noch siegesgewiss mediengerecht ablichten, war er später um Schadensbegrenzung bemüht. Trotzdem sei eine erste Hilfslieferung aus Brasilien nach Venezuela gekommen. „Das ist ein großer Erfolg, Venezuela!“, twittert er. Das Wo, Was und Wann lässt er aber offen.

Am Abend richtet er sich aus Kolumbien an seine Landsleute: „Wer mit einem solchen Sadismus die Verhinderung der Einfuhr der humanitären Hilfe feiert, verdient nicht, dass man ihm gehorcht.“ Er kündigt eine härtere Gangart an: „Die heutigen Ereignisse haben mich dazu gezwungen, eine Entscheidung zu treffen: auf formale Weise der internationalen Gemeinschaft vorzuschlagen, dass wir uns alle Optionen offenhalten, um dieses Land zu befreien.“ Bereits am Montag werde er sich in Bogotá mit US-Vizepräsident Mike Pence und der Lima-Gruppe treffen, der 14 lateinamerikanische Staaten angehören.

Auch bei der US-Regierung sitzt der Frust tief. „Was für ein kranker Tyrann stoppt Nahrung für hungrige Menschen?“, twittert Außenminister Mike Pompeo. Jetzt sei „Zeit zum Handeln“, um dem „verzweifelten venezolanischen Volk“ zu helfen. „Die USA werden Maßnahmen gegen jene ergreifen, die sich der friedlichen Wiederherstellung der Demokratie in Venezuela widersetzen“, so Pompeo. „Wir sind solidarisch mit denen, die ihren Kampf für die Freiheit fortsetzen.“ Konkrete Schritte nennt er nicht.

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