Dämonen in Eis und Schnee

Denis Côtés „Répertoire des villes disparues“ schwelgt in geheimnisvollen Landschaften (Wettbewerb)

Robert Naylor spielt Jimmy in „Répertoire des villes disparues“ Foto: Lou Scamble/Berlinale 2019

Von Eva-Christina Meier

Der Teaser zu Denis Côtés jüngstem Spielfilm „Répertoire des villes disparues“ (Ghost Town Anthology) zeigt die Filmcrew auf grobkörnigem Schwarzweiß-Material fröstelnd im Schneesturm. Man sieht Adele, eine der Darstellerinnen im Skianzug, wie sie vor den Augen der übrigen Schauspieler von einem Kran in die Luft gehoben wird.

Ein fast heiter anmutendes Making-of zu Côtés fantastisch düsterer Filmerzählung, die mit dem plötzlichen Autounfall des 21-jährigen Simon Dubé auf winterlicher Landstraße beginnt. Kleine maskierte Gestalten mit Mützen und Ponchos nähern sich dem Verunglückten, um bald wieder im Schnee zu verschwinden.

In blassen Farben und auf 16 Millimeter Filmmaterial festgehalten inszeniert der 1973 geborene Filmemacher leinwandfüllend die unwirtliche Schneelandschaft Québecs. Aus diesem irreal wirkenden Setting heraus versucht der Frankokanadier, die Film­adaption des gleichnamigen Mystery-Romans von Laurence Olivier in stimmungsvollen Bildern, aber mit nur vage angedeuteten Handlungssträngen zu entwickeln.

Dort, im verschlafenen Irénée-les-Neiges zeigt sich allmählich, dass der unaufgeklärte Tod des jungen Simon nicht nur das Leben seiner Familie nachhaltig belastet, sondern auch den Alltag der übrigen Bewohner des 215-Seelen-Dorfs durcheinanderbringt.

Für Simons Mutter ergibt ein Selbstmord des Sohnes eindeutig keinen Sinn, der ältere Bruder Jimmy (Robert Naylor) weiß es jedoch besser und repariert weiter stoisch Motoren in der Werkstatt. Kurz nach Silvester entflieht sein Vater der bedrückenden Atmosphäre zu Hause und kehrt vom Zigarettenholen vorerst nicht mehr zurück.

Währenddessen fällt bei der ängstlichen, etwas labilen Adele (Larissa Corriveau) plötzlich der Strom aus und das zurückgezogen lebende, alles kommentierende Rentnerpaar stapft in Schneeschuhen durch den Wald.

Immer häufiger tauchen die maskierten Kinder nun sichtbar in der eisigen Landschaft auf. Gleichzeitig begegnet Simons Familie mehrfach dem verstorbenen Sohn.

Die Ereignisse in dem von Geistern der Vergangenheit heimgesuchten Dorf mit seinen verschrobenen Protagonisten – allen voran die starrköpfige Bürgermeisterin (Diane Lavallée) – erinnern zuweilen an Lars von Triers Fernsehserie „Hospital der Geister“. Kämpferisch ruft die zierliche Dorfautorität zur Einheit und zum Widerstand der schrumpfenden Gemeinde auf. Ebenso vehement wehrt sie jede Unterstützung aus dem Département zur psychologischen Bewältigung des Trauerfalls ab.

Mit offensichtlichem Vergnügen spielt Denis Côté, der zuletzt 2016 mit „Boris sans Beatrice“ im Wettbewerb der Berlinale vertreten war, in „Répertoire des villes disparues“ mit Filmelementen aus dem populären Mystery-Genre und findet dafür im dörflichen Ambiente von Irénée-les-Neiges reizvolle Bilder für eine fantastisch aufgeladene Atmosphäre.

Doch scheint der Regisseur, der für ein eher formalistisches Kino bekannt ist, zu übersehen oder vielleicht auch ignorieren zu wollen, dass eine geheimnisvoll angelegte Geschichte am Ende erst durch eine überraschende Auflösung inhaltlich überzeugen kann. Aber das wäre wohl zu einfach gewesen.

12. 2., 9.30 Uhr Friedrichstadt-Palast, 12. 2., 18 Uhr Friedrichstadt-Palast, 14. 2. 18.30 Uhr Odeon, 17. 2., 16 Uhr Haus der Berliner Festspiele