: Verdrängte Erinnerung
Die Investorenpolitik des Senats verdrängt laut einem Bündnis einen Gedenkort jüdischer Zwangsarbeit
Von Peter Nowak
Für einen Gedenkort in der Kreuzberger Fontanepromenade demonstrierten am Samstag erinnerungspolitische Gruppen. „Fontanepromenade 15 – obdachloser Gedenkort“ stand auf einem Transparent, das direkt vor der ehemaligen „zentralen Dienststelle für Juden beim Berliner Arbeitsamt“ hing. Von dort aus wurden Jüdinnen und Juden zwischen 1938 und dem Ende des Zweiten Weltkriegs unter Anderem in die Rüstungsindustrie gezwungen.
Auch anlässlich des Internationalen Tages des Gedenkens der Opfer des Holocaust am 27. Januar hat die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) – Bund der Antifaschist*innen sowie stadt- und erinnerungspolitische Gruppen zur Kundgebung aufgerufen.
Seit Mai 2018 habe der Bremer Eigentümer des historischen Gebäudes Räume an Start-ups vermietet, die eigentlich als Gedenk- und Erinnerungsort geplant waren. Dafür hatte das Berliner Abgeordnetenhaus im Haushaltsplan für 2018/19 rund 100.000 Euro vorgesehen. Das Protestbündnis macht den Senat dafür verantwortlich, dass das Geld jedoch nie abgerufen wurde. Die Initiativen kritisieren, dass die Investorenpolitik Gedenken an den Rand dränge.
Lothar Eberhardt, der die Kundgebung angemeldet hat, weist auf eine 2013 durch bürgerschaftliches Engagement errichtete Tafel vor dem Gebäude hin, die an die Historie des Ortes erinnert. Nach der Sanierung steht sie allerdings nicht mehr direkt am Eingang, sondern am Rand des Gebäudes.
„Die Fontanepromenade muss ein Denkort werden, in dem über autoritäre Bürokratie nachgedacht wird, die das NS-Regime am Laufen hielt“, sagte Philipp Sonntag von der Organisation Child Survivors Deutschland (CSD), in der sich Nachkommen von NS-Verfolgten zusammengeschlossen haben. Er überbrachte Grüße von Horst Selbiger, den Beamte in der Fontanepromenade 15 in die Zwangsarbeit trieben. Wie viele damals Betroffene nennt er den Ort Schikanepromenade.
Auch Georg Daniels vom Verein Gedenkort Fontanepromenade 15 kritisiert: „Wir halten es für einen absoluten Skandal, dass ein solcher Geschichtsort der Immobilienspekulation geopfert wird und nicht als Gedenkort zur jüdischen Zwangsarbeit und zum Holocaust öffentlich genutzt wird“.
Frieder Böhne von dem Bündnis kündigte weitere Aktionen für die Schaffung und den Erhalt von Gedenkorten für die NS-Verbrechen an. Böhne erinnerte an die zahlreichen NS-Zwangsarbeiterlager, die es in ganz Berlin gegeben hat.
Ende März ist eine Fahrradtour zu verschiedenen Standorten geplant, die für weitere Erinnerungsorte in Frage kommen. Das ehemalige Postscheckamt an der Möckernstraße soll ebenso besucht werden, wie Amerika-Gedenkbibliothek am Halleschen Tor. Dort befand sich bis 1945 die Dienststelle, die für den Einsatz von Kriegsgefangenen in Berlin und Umgebung zuständig war. Eine vor Jahren angebrachte Gedenktafel ist nicht mehr zu entziffern. Die Aktist*innen fordern eine rasche Erneuerung der Tafel.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen