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Die Bilderbauer

Rainer Ludwigs‘ Firma Image Building produziert in Ottersberg dreidimensionale Animationen und Imagefilme. Sein neustes Projekt: eine schräge Serie über die Märchenfiguren Hase und Igel – voller boshaftem Witz

Von Wilfried Hippen

Ein großer Fisch schwimmt, nein: schwebt durch die Straßen eines Dorfes in Niedersachsen. Ein Pfau, ein Elefant, ein Löwe, ein Elch und ein Känguru stehen in einer Steppenlandschaft friedlich in einer Reihe, als würden sie auf Einlass in Noahs Arche warten. Man sieht, wie der Jazzschlagzeuger Art Blakey ein Solo spielt, und seine Bewegungen dabei sind absolut synchron, obwohl es gar keine Filmbilder von dieser Plattenaufnahme gibt.

Diese Bilder hat Rainer Ludwigs am Computer gebaut, und so ist der Name seiner Firma „Image Building“ klug gewählt. Er hat aber noch eine zweite Bedeutung, denn Ludwigs hat sich auch mit Imagefilmen einen Namen gemacht. Und er kann mit der gleichen Begeisterung davon reden, wie er für einen wissenschaftlichen Dokumentarfilm „den Urknall visualisieren“ sollte und wie bei einem Industriefilm über „100 Jahre Stahl“ die Strahlungswärme des flüssigen Stahls in einem Hochofen so groß war, dass ihm die Akkus der Kamera „wegschmorten“.

Filmemachen ist fast immer Teamarbeit und dies gilt insbesondere für die sehr arbeitsaufwendigen Animationsfilme. Doch Ludwigs arbeitet lieber allein in dem kleinen Studio in seinem Häuschen in Ottersberg, wo für einen zweiten Arbeitsplatz gar kein Platz wäre. Seine Lebenspartnerin Tetyana Chernyavska ist für die Produktion und Organisation zuständig. Und natürlich dreht er seine Realfilme mit einem Ton- und einem Kameramann. Aber im Grunde ist Ludwigs ein Bastler, der am liebsten viele Stunden am Computer entwirft, gestaltet, zeichnet und formt, bis er schließlich mit einer meist nur wenige Sekunden langen Sequenz zufrieden ist.

Doku-Mischformen

Dabei scheint kein grundsätzlicher Unterschied zwischen Auftragsarbeiten und eigenen Werken zu bestehen. Eine von Ludwigs künstlerisch überzeugendsten Arbeiten waren die Animationssequenzen für den Dokumentarfilm „It must schwing“ von Eric Friedler über das Jazzplattenlabel Blue Note.

Zwei Jahre lang hat Ludwigs an diesen Bildern gearbeitet, in denen er etwa die Atmosphäre in den Tanzsälen vom Berlin der 20er-Jahre oder bei Auftritten von Jazzgrößen wie Billie Holiday heraufbeschwor. Um Bild und Ton bei den Musikstücken zu synchronisieren, machte er Aufnahmen von Musikstudenten, die die historischen Soli so gut einüben mussten, dass sie sie auf den Takt genau nachspielen konnten. In der Motion-Capture-Technik wurden dann so viele ihrer Bewegungen wie möglich aufgezeichnet und auf diesen Daten basierten dann die Animationen etwa von Art Blakeys Spiel auf dem Schlagzeug.

Auf solche Mischformen von Dokumentarfilm und Animation, die sich seit dem Erfolg von „Waltz with Bashir“ immer mehr durchsetzten und die bis dahin allgegenwärtigen, oft amateurhaften und manipulativen Reenactment-Sequenzen ersetzten, hat Ludwigs sich spezialisiert.

Und auch in Ludwigs eigenem Kurzfilm „Leonids Geschichte“ werden Originalfilmaufnahmen mit Animationssequenzen vermischt. Diese Arbeit aus dem Jahr 2011 ist Ludwigs bislang erfolgreichstes Werk, es wurde auf Filmfestivals in Seoul, Melbourne, Tokio, Rio de Janeiro und Mexico City ausgezeichnet. Mit diesem Film begann seine Zusammenarbeit mit Tetyana Chernyavska. Die Ukrainerin hatte ihn auf die Geschichte einer Familie aufmerksam gemacht, die bei Tschernobyl lebte, die Katastrophe dort aus äußerster Nähe miterlebte und zu den wenigen heute noch Überlebenden aus dieser Region zählt.

Immer weiter basteln

Im Gegensatz zu Ludwigs sonst üblichem fotorealistischem Animationsstil ist „Leonids Geschichte“ gezeichnet und sein Strich ist dabei immer deutlich erkennbar. Vieles bleibt fragmentarisch oder schemenhaft. Der Film hat eine große poetische Kraft und war auch deshalb so erfolgreich, weil er in den Tagen der Nuklearkatastrophe von Fukushima herauskam und so genau der Stimmung dieser Zeit entsprach.

Ludwigs kommt vom Zeichnen. An der Bremer Hochschule für Künste studierte er Grafikdesign. Als Kind hatte er schon mit seiner ersten Super-8-Kamera seine Stofftiere mit dem Stop-Motion-Trick animiert. Nach dem Studium begann er für die internationale Werbeagentur Grey zu arbeiten, danach war er Geschäftsführer der Filmproduktionsfirma Bock Film in Bremen. Doch da er dort zunehmend delegierte und immer weniger selbst kreierte, verzichtete er auf die sichere Führungsposition und machte sich stattdessen mit seiner kleinen Firma selbstständig, in der er selber wieder an den Filmen basteln konnte. Mit Imagefilmen unter anderem für Airbus, Daimler und Thyssenkrupp kam Geld in die Firma. Für einen Zeichentrickfilm mit dem Titel „Familie Fürchterlich“ bekam er den ersten Preis eines internationalen Filmwettbewerbs zur Verhinderung von Kinderunfällen.

Doch anders als die meisten anderen Animationsfilmer machte Ludwigs nie Filme für Kinder. Auch sein neustes Projekt, eine Serie über die Märchenfiguren „Hase und Igel“ ist nicht niedlich, sondern schräg und voller boshaftem Witz. Die beiden computeranimierten Tierchen haben das berühmte Wettrennen längst hinter sich gelassen und sind nun zwei alte, typisch norddeutsche Landbewohner, die sich auf Buxtehuder Platt (mit hochdeutschen Untertiteln) in jeweils drei Minuten langen Sketchen etwa über die auf der Autobahn platt gefahrene Verwandtschaft des Hasen unterhalten.

Bis jetzt hat noch kein Fernsehsender Interesse angemeldet, die Serie ins Programm zu nehmen, aber Ludwigs bastelt auch ohne Geld weiter daran. Er baut eben gerne Bilder.

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