: Lilly, Laura oder Birgit
Unser Kolumnist gräbt sich durch den Boden Brandenburgs, wird von seiner Nachbarin mit Suppe beschenkt und denkt über die Kartoffelbefehle von Friedrich dem Großen nach
Von Philipp Maußhardt (Text) und Karoline E. Löffler (Illustration)
Richtig wohnen kann man in unserem Haus in Brandenburg noch nicht. Es gibt keine ordentliche Küche und weder Heizung noch Wasser. Nur aus einer Gartendusche fließt es, und aufs Klo gehe ich in der öffentlichen Bücherstube in der Schloßscheune gegenüber. An manchen Tagen baue ich ein wenig am Haus herum, lege ein Rohr oder wechsle ein Fenster aus. So wird das vermutlich noch viele Jahre gehen.
Parkt mein Auto vor der Tür, kommt oft einer der Dorfbewohner vorbei. Manche sehen die kleinen Veränderungen und loben mich, manche schauen mich mitleidig an. Unsere nächste Nachbarin heißt Heidrun. Manchmal sitzt sie auf einer Bank vor ihrer Haustüre und raucht. Es ist zu weit bis zu ihrem Haus, um „Hallo“ zu rufen, und so winke ich meist nur hinüber, wenn ich sie sehe. Letzte Woche konnte Heidrun nur meine Hand sehen, wie sie hin und her wedelte. Der Rest meines Körpers war in der Erde verschwunden, wo ich mit dem Spaten einen Graben für die Gasleitung grub.
Eine halbe Stunde später, es war gegen Mittag, stand Heidrun plötzlich oben am Graben und hielt mir eine Tupperschüssel entgegen. „Is ne Kartoffelsuppe drin mit Bockwurst“, rief sie herunter, „is noch warm.“ Erst wärmte ich meine kalten Hände an der Schüssel, dann setzte ich mich im Haus neben einen Elektroofen und löffelte die herrliche Suppe. Ich schleckte den Teller ab und beschloss, dieses Haus nie fertig zu bauen.
Die perfekte Konsistenz
Die Suppe hatte nicht nur die perfekte Konsistenz, sie schmeckte auch so viel würziger als die Kartoffelsuppen, die ich kannte. Allerdings kenne ich auch nicht viele Kartoffelsuppen. Denn da, wo ich herkomme, gilt die Kartoffel bis heute eher als Nahrung für die Schweine. Bis auf ihren Kartoffelsalat essen die Schwaben sie nur im Notfall, sollte das Mehl für die Spätzle einmal im Schrank fehlen. „Ich bin doch keine Sau“, sagte mein Onkel regelmäßig, wenn man ihm Salzkartoffeln als Beilage reichte.
An meiner neuen Wirkungsstätte, im westlichsten Teil Brandenburgs, muss ich meine Essgewohnheiten umstellen. Zumindest, wenn ich außer Haus essen gehe. Man kennt dort keine Beilage außer der Kartoffel. Sauerfleisch – mit Bratkartoffeln. Knieperkohl – mit Salzkartoffeln. Hirschbraten – mit Kartoffelklößen. Wer auch immer deutsche Menschen als „Kartoffel“ bezeichnet, er muss die Brandenburger meinen. Hier hallt der „Kartoffelbefehl“ des alten Preußenzausels Friedrich des Großen bis heute nach.
Der hatte insgesamt 15 Kartoffelbefehle erlassen, um seinen Landeskindern die im 18. Jahrhundert aus Amerika eingeführte Ackerfrucht schmackhaft zu machen. Die wollten das neumodische Zeug erst gar nicht essen. Aber die Preußen waren brave Untertanen, und wenn es der König befahl, dann schluckten sie schließlich auch diese Knolle, die der Herr von Sanssouci noch als „Tartoffel“ bezeichnete, was dem italienischen „Tartuffo“ – also Trüffel – immerhin phonetisch nahe steht (geschmacklich leider nicht).
Zutaten
½ kg Kartoffeln
1 l Fleischbrühe
50 g Butter
4 Bockwürste
1 Zwiebel
½ Stange Lauch, grob geschnitten
Liebstöckel, Salz, Pfeffer, ein Lorbeerblatt, 5 Pimentkörner, Essig
Zubereitung
Die Kartoffeln schälen, würfeln, in Wasser zusammen mit Liebstöckel, Lorbeer, Lauch und den Pimentkörnern 25 Minuten kochen. Währenddessen die Zwiebel klein schneiden und in der Butter anrösten.
Die Kartoffeln abgießen und ohne die Gewürze zerstampfen. Den Stampf und die Zwiebeln mit der Brühe aufgießen, den Lauch hinzugeben, die Bockwürste in Scheiben schneiden und ebenfalls zufügen. Kurz aufkochen lassen. Mit Salz und Pfeffer würzen und einen Schuss Essig dazugeben.
In den sandigen Böden Brandenburgs wächst eben auch nicht alles. Die Kartoffel stellt wenig Ansprüche und kann Staunässe – wenn Wasser nicht sofort versickert und sich auf dem Boden sammelt – besser vertragen als Getreide. Auf gut 10.000 Hektar sprießen hier die Nachtschattengewächse, wobei die allermeisten Knollen gleich in den Stärkefabriken landen und zu Kartoffelmehl verarbeitet werden.
Trotz aller Kartoffeltradition sind die Brandenburger keine Kartoffeltraditionalisten. Ich suchte in der Prignitz nach alten Sorten, wurde aber noch nicht fündig. „Bamberger Hörnchen“, eine eher kleine, längliche Sorte mit nussigem Geschmack, fand ich ebenso wenig wie „Blaue Schweden“. Bei Netto, meinem nächstgelegenen Supermarkt, schaute mich die Verkäuferin nur fragend an, als ich nach dem Sortennamen der angebotenen Kartoffeln fragte.
Dann kaufe ich meine Kartoffeln doch lieber in der Tankstelle. Die Raiffeisen-Tankstelle von Lenzen ist nämlich viel mehr als eine Verteilstation für Sprit und Zigaretten. In einem Extraregal bieten die Kleingärtner von Lenzen ihre selbst erzeugten Produkte an: Gurken, Petersilie, selbst gemachte Marmelade – und eben auch Kartoffeln. Namen stehen keine dabei, aber bei meinem letzten Einkauf glaubte ich an der ovalen, gleichmäßigen Form die Sorte „Wendy“ zu erkennen. Klingt wie Mandy, so werden hier ja auch viele Frauen gerufen. Laut einer Liste des Landwirtschaftsministeriums Brandenburg heißen die beliebtesten Sorten Lilly, Goldmarie, Laura oder Birgit. Da hat sich offenbar noch kein Gender-Beauftragter beschwert, dass Männer bei der Benennung von Kartoffeln benachteiligt werden.
Meine Lieblingssorte heißt ab sofort aber Heidrun. Ich werde in den kommenden Tagen wieder an meinem Graben weitergraben, hoffentlich sieht meine Nachbarin mich dabei und bringt wieder Kartoffelsuppe. Wenn nicht, muss ich wohl den 16. Preußischen Kartoffelbefehl erlassen.
Ein Schwabe in der Prignitz
Kulinarisch wurde unser Autor in Frankreich und Süddeutschland sozialisiert. An dieser Stelle berichtet er einmal im Monat, wie er sich die Lebensmittelrealität Brandenburgs erschließt.
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