piwik no script img

Irgendwie alles,und davon viel

Im HKW startete das Programm „Das Neue Alphabet“, das sich vor allem der aufAlgorithmen basierenden Gegenwart widmet. Input gibt es viel, teils fehlt der rote Faden

Von Julia Wasenmüller

„Wir geben unseren Robotern viel Freizeit. Sie sollen miteinander spielen, experimentieren und sich eine Identität aufbauen.“, erklärt KI-Forscher Luc Steels am Samstag im Berliner Haus der Kulturen der Welt (HKW). Auf dem großen Screen hinter ihm zeigt ein Video zwei Roboter, die gemeinsam ein eigenes Vokabular erlernen, ganz ohne menschlichen Input. „Wadoba“, sagt der eine Roboter und zeigt auf einen gelben Klotz. „Wadoba“, wiederholt der zweite. Ein Roboter blickt in einen Spiegel und betrachtet sich. Die großen Fragen, die das HKW mit dem Langzeitprojekt „Das Neue Alphabet“ stellt, stecken in dieser kurzen Szene bereits drin: Was passiert mit Sprache, wenn Maschinen sie lernen? Sind Algorithmen, der Binärcode und die DNA das Alphabet von heute?

Dabei ist der Beginn von „Das Neue Alphabet“ zugleich der ­Abschluss einer Trilogie von Projekten (zuvor gab es „Das ­Anthropozän“ und „100 Jahre Gegenwart“), die zur Analyse der Gegenwart beitragen sollen. Bis 2021 wird es um die Veränderung von Wissens- und Sprachsystemen und ethische Fragen technischer Entwicklung gehen. Das Auftaktprogramm am Donnerstag, kuratiert von Ale­xander Kluge, dauerte siebeneinhalb Stunden – eine ausgedehnte Einführung mit der Fragestellung: Digitalität, was ist das überhaupt? Der Abend bereitet darauf vor, was man in den folgenden vier Tagen am HKW präsentiert bekommt: irgendwie alles, und davon viel. Divers und interdisziplinär. Der rote Faden geht dabei jedoch teilweise verloren.

120 Künstler*innen und Wis­senschaftler*innen und Tausende Besucher*innen näherten sich während des Eröffnungswochenendes vom 10. bis zum 13. Januar in Diskussionen, Filmen, Installationen und Performances sowohl den Utopien als auch den Dystopien unserer Zeit an.

So schlägt die Filmemacherin Hito Steyerl in einem 30-minütigen Vortrag einen Bogen vom Klang zerberstender Fensterscheiben über KI hin zur notwendigen Umverteilung öffentlicher Arbeit. Ganz schön abstrakt. In den Reihen des Auditoriums sitzen vornehmlich junge Menschen. Es wird oft zustimmend genickt, wenn Steyerl eine neue Theorie oder einen weiteren Namen in den Raum wirft.

Etwas lebensweltlicher sind da schon Luc Steels’ sprechende Roboter. „Wenn man mich fragt, warum ich Experimente mit Robotern mache, dann antworte ich: Einfach so. Ohne bestimmte Intention. So läuft Forschung. Wir lernen dabei viel über uns selbst.“ Es handele sich um einen Test der eigenen Theorien und Vorstellungen von der Gegenwart. „Roboter, die plötzlich sprechen können, zeigen, dass die Welt sich ständig verändert. Und so muss auch unser Gehirn ein hochdynamisches System sein und immer wieder neue Kategorien und Konzepte finden.“

Das HKW versteht sich als Bindeglied zwischen Kunst, Wissenschaft und Aktivismus. Wer an dem Programm, das viel voraussetzt, teilhaben kann, ist jedoch fraglich.

Tatsächlich überzeugen vor allem jene Projekte, die man sonst eher nicht in solchen Kontexten findet. Im Zwischengeschoss, quasi dem Mainfloor des HKW, wird mit der Installation „(Un)learning Place Szenographie“ vom Raumlabor Berlin die Eröffnung der New Alphabet School markiert. Acht Berliner Kollektive und 80 internationale Stipendiat*innen beteiligen sich an einem kollektiven Prozess zur Entwicklung künstlerischer, kuratorischer und aktivistischer Strategien.

Die Installation erinnert an eine Spielwiese, die gerne genutzt wird. Babys krabbeln über den dunklen Teppichboden. Mütter sitzen auf niedrigen Hockern in Pastellrosa und blättern im Veranstaltungsflyer, an Stehtischen diskutieren kleine Grüppchen bei Sekt und Wurststulle über das Gesehene. Auf manchen Tischen liegen Stifte, Papier und die Aufforderung zum Mitdenken und Ideensammeln bereit.

Inmitten dieser Szenerie hat der Weddinger Verein Each One Teach One (EOTO) e. V. eine Bücherstation implantiert, mit der die Geschichte und Gegenwart Schwarzer Menschen dokumentiert wird. Autobiografien von Malcolm X, Gedichtbände von May Ayim oder die gesammelten Flyer zum ersten Black History Month in Deutschland Anfang der 90er erinnern daran, welches Wissen immer wieder verdrängt wurde und wird.

Nelly Yaa Pinkrah formuliert auf dieser Grundlage in ihrem Talk eine postkoloniale Kritik an der nur scheinbaren Vernetzung der Welt durch das Internet. Tatsächlich würden durch die Dominanz kolonialer Sprachen in digitalen Räumen Machtverhältnisse reproduziert. Die Autorin und Medientheoretikerin ruft dazu auf, sich an die poetische Kraft alter Sprachen zurückzuerinnern, sich diese künstlerisch wieder anzueignen.

Zur Programmauflockerung hat Helge Schneider zu seinem Auftritt am Donnerstagabend ein paar Instrumente und nur absurde Forderungen mitgebracht: Im Alphabet seien große Ungleichheiten zu beklagen. Das Y zum Beispiel werde völlig unverhältnismäßig wenig gebraucht. Klare Schlussfolgerung: „Wir brauchen eine Quote für das Y.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen