: Die Macherinnen von St. Paula
Von der Türsteherin bis zur Polizeirevierleiterin: Mit „Sankt Paulis Starke Frauen – Reeperbahner*innen“ hat der Filmemacher Rasmus Gerlach einen Film über den Hamburger Stadtteil gedreht, der statt eines voyeuristischen Blicks auf Kiez-Klischees dessen weibliche Protagonistinnen in den Fokus rückt
Von Wilfried Hippen
Ein Film über Frauen auf St. Pauli, in dem keine einzige Prostituierte zu sehen ist? Dieser blinde Fleck ist so überdeutlich, dass die Botschaft gar nicht mehr ausformuliert werden muss. Die Dokumentation „Sankt Paulis Starke Frauen – Reeperbahner*innen“ ist ein Gegenentwurf zu den vielen, vielen Filmen über den Hamburger Kiez, in denen oft mit einem voyeuristischen Blick auf die „schweren Jungs und leichten Mädchen“ geschaut wird.
Obszön sind hier höchstens die Backwaren in der „Süßen Manufaktur St. Paula“, denn dort gibt es neben Totenköpfen aus Marzipan auch kleine rosa Kuchen in der Form von Brüsten. Die Burlesque-Performerin Eve Champagne erzählt von einer etwas derben Abfuhr, die sie einigen Machogockeln in einer heißen Sommernacht mit blankem Hinterteil verpasste, aber ansonsten spielt Sex in diesem Film kaum eine Rolle. Dies soll aber nicht heißen, dass es hier nicht um St. Pauli als Vergnügungsviertel geht. Die Klofrau und die Türsteherin, die Fremdenführerin und die Hotelchefin, sie alle verdienen an den Tausenden von Gästen, die nach St. Pauli kommen, weil sie etwas erleben wollen. Und dass die Zeiten sich langsam aber deutlich ändern, kann man daran erkennen, dass inzwischen sogar die Revierleitung der Davidswache von einer Frau übernommen wurde.
Auch die Quartiersmanagerin wurde interviewt, dazu eine im Viertel ansässige Politikerin und die Nonne Irmela, die sich zusammen mit vier weiteren Mutter-Teresa-Schwestern um die Bedürftigen und Obdachlosen auf St. Pauli kümmert. Sie alle werden in kurzen Szenen bei ihrer Arbeit sowie in kurzen Interviewsequenzen vorgestellt. Stilistisch ist dies eher konventionell, aber Gerlach hat den Film so temporeich und assoziativ geschnitten, dass er erstaunlich kurzweilig ist.
Und dann wird auch der Mythos vom Hamburger Starclub ein wenig feministisch korrigiert. Ja, dort waren in den 1060er-Jahren die Beatles, die Rattles und Jimi Hendrix aufgetreten – aber auch die Liverbirds. Auch sie kamen aus Liverpool, aber sie waren die erste weibliche Rock’n’Roll-Band, und sie blieben lange in Hamburg. Eine der Entdeckungen des Films ist ein Ausschnitt aus einer der ersten Beat-Club-Sendungen von Radio Bremen, in dem die vier Musikerinnen vor überraschend manierlich tanzenden Beatfans ihren Hit „Peanutbutter“ zum Besten geben.
Später im Film begibt sich die ehemalige Bassistin der Band Mary Dostal zusammen mit der Hamburger Musikerin Bernadette La Hengst auf St. Pauli auf Spurensuche, etwa nach der Stammkneipe, die sie mit den Beatles teilten. Dort erzählt Dostal Geschichten wie jene, als ihr einmal auf der Bühne eine Basssaite riss, worauf sie in Tränen ausbrach und Bill Wyman von den Stones ihr seine eigene Bassgitarre reichte. Zu diesen Reminiszenzen kommt der Film immer wieder zurück. Sie bilden einen dramaturgischen Rahmen des Films: Mit ihnen beginnt und endet er.
Gerlach nutzt auch ältere Filmaufnahmen von der inzwischen verstorbenen Schlagzeugerin der Band, er lässt Mary Dostal davon erzählen, dass sie damals viele männliche Groupies hatten, und einmal singen Dostal und Bernadette La Hengst zusammen einen der Hits der Liverbirds. Gerlach weiß, dass er hier eine gute Geschichte, bisher noch kaum gehörte Musik und zwei interessante Protagonistinnen hat, und so ist etwa ein Drittel des Films ihnen gewidmet.
Ohne würde der Film denn auch längst nicht so geschlossen wirken und in seine Einzelteile zerfallen. Denn er ist auch eine Kompilation von Kurzfilmen, die Gerlach für die Ausstellung „Starke Frauen“ im St. Pauli-Museum gedreht hat. Diese Kurzporträts von Frauen, die auf St. Pauli leben und arbeiten, waren als Dokumente in der Tradition der Oral History konzipiert, und dazu gehörte, dass von den Protagonistinnen in den Interviews ein festgelegter Fragebogen abgearbeitet werden sollte. Entsprechend trocken und uninspiriert sind auch einige von ihren Antworten.
Dafür konnte Gerlach, wie er selber sagt, „mit dem kleinen Geld für die Museumsfilme“ nach der Ausstellung seinen Film ganz nach seinem Geschmack fertigstellen. Dies bedeutete auch, dass er die strenge Regel, dass nur Frauen im Film das Sagen haben, zumindest einmal brechen konnte. Der im vergangenen Herbst verstorbene Hamburger Dokumentarfilmer Klaus Wildenhahn war ein alter Freund und ist ein offensichtliches Vorbild für Gerlach. Und so wird er als einziger Mann im Film namentlich erwähnt und hat einen kleinen eigenen Auftritt (bei einer Vorführung seiner Filme in einer Kneipe). Zudem sind einige Ausschnitte aus Wildenhahns auf St. Pauli gedrehten Filmen zu sehen, in denen starke Frauen etwa in der Fankurve im Millerntor bei einem Spiel vom FC St. Pauli gefeiert werden.
Auch der Schriftstellerin Christine Garelly, die in den 1990er-Jahren auf St. Pauli die ersten Slam-Poetry-Vorlesungen veranstaltete, gedenkt Gerlach, indem er Teile aus seinem eigenen experimentellen Porträt „Hamburg ist Slamburg“ aus dem Jahr 2017 in den Film integriert – darunter auch die Schilderung ihres Todes bei einem tragischen Unglücksfall.
Gerlach recycelt offensichtlich gerne sein Filmmaterial. So nutzt er hier auch Aufnahmen aus seiner Dokumentation „Der Gipfel, Performing G20“, um eine Aktivistin in die Reihe der starken Frauen von St. Pauli einzureihen, die bei den Demonstrationen gegen den G20-Gipfel auf einen Räumungspanzer geklettert war und dann von der Polizei brutal mit Pfefferspray und später (nicht auf Film dokumentiert) mit Schlägen malträtiert wurde.
Premiere mit Musik von Livebirds-Originalmitgliedern und Musikerinnen der Band „Die Braut haut ins Auge“: So, 13. 1., 20 Uhr, Hamburg, Abaton
Weitere Aufführungen: 17. 1., Hamburg, Lichtmesz 18. 1., Hamburg, Knust; 20. 1., Brake, Centraltheater; 21. 1., Hamburg, Abaton-Kino
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