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Patienten sollen mitentscheiden

Am Kieler Uniklinikum sollen PatientInnen künftig mit über die richtige Therapie entscheiden dürfen

Von Esther Geißlinger

„Ärzte haben es gut: Sind sie mit ihrem Latein am Ende, bleibt ihnen immer noch Altgriechisch.“ So beschrieb Eckart von Hirschhausen, Kabarettist und selbst Mediziner, bei der Auftaktveranstaltung des Projektes „Share to Care“ in Kiel ein Grundübel der Heil-Zunft: PatientInnen verstehen oft nicht, was ÄrztInnen ihnen sagen. Und viele trauen sich nicht, ärztliche Entscheidungen in Frage zu stellen. Wie es anders gehen kann, will das Universitätskrankenhaus Schleswig-Holstein (UKSH) zeigen. Mit dem bundesweit einmaligen Projekt sollen Kranke stärker einbezogen werden und über ihre Therapie mitentscheiden.

„Viele Ärzte gehen motiviert in ein Patientengespräch, haben aber wenig Zeit und sind nicht immer gut vorbereitet“, sagte der Psychologe Friedemann Geiger, der das Programm leitet. Bei den Kranken entstehe der Eindruck, nicht gehört und verstanden zu werden. Für die Ärzt­Innen sei das ebenso „frustig“, berichtete Daniela Berg, Leiterin der Klinik für Neurologie am UKSH: „Wir möchten den Leuten helfen, aber sie halten sich nicht an unseren Rat, nehmen die Medikamente nicht – oft, weil sie uns einfach nicht verstehen.“ Aktuell landet etwa die Hälfte aller verschriebenen Medikamente im Müll. Die Krankenkassen sind daher an der Einbeziehung der Patient­Innen interessiert.

Schutz vorübergriffiger Medizin

Alle MedizinerInnen des UKSH in Kiel sollen geschult werden. Dafür werden sie bei Gesprächen mit Kranken gefilmt, hinterher werden die Fehler besprochen. „Das ist sehr konkret und bringt schnellen Erfolg“, so Geiger. Auch die Pflegekräfte werden geschult.

Am wichtigsten sind aber die Angebote für die Kranken: Das UKSH stellt Informationen über Krankheiten wie Nierenversagen oder Krebs und einen Überblick über Behandlungsmethoden ins Netz. Und die PatientInnen bekommen einen Leitfaden mit simplen, aber wichtigen Fragen an die Hand. Moderator Hirschhausen nannte einige: „Wo ist der Nutzen einer Behandlung, welchen Schaden könnte es geben, und was passiert, wenn wir abwarten?“ Denn oft bringe eine Behandlung mehr Leiden als Erleichterung: „Wir müssen die Menschen vor übergriffiger Medizin schützen.“ Im Grunde gehe es um etwas Einfaches: „Den Leuten zuhören und anerkennen, dass sie Experten für ihr eigenes Leben sind.“

Mit dem Programm setzt die Klinik das Patientenrechtegesetz von 2013 um: Danach haben Kranke einen Anspruch auf vollständige Information und eine gemeinsame Entscheidung. Praktiziert wird das bisher aber selten. ÄrztInnen, die sich lange Zeit fürs Reden nehmen, werden sogar indirekt bestraft – schließlich wird ein Aufklärungsgespräch kaum bezahlt. „Wir sind dafür, das Gespräch besser zu honorieren“, sagte Hendrik Brunkhorst von der Techniker Krankenkasse. Die Kassen entscheiden mit, welche Leistungen in den Katalog bezahlter Angebote kommen.

„Share to Care“ wird vom Gemeinsamen Bundesausschuss mit 14 Millionen Euro gefördert. Erprobt wurde ein ähnliches Konzept bereits in Norwegen, aber das Kieler Klinikum ist das erste, das komplett umstellt. UKSH-Vorstandschef Jens Scholz sagte: „Wenn es hier in diesem schwierigen Umfeld klappt, kann es überall funktionieren.“ Für die ÄrztInnen sei es keine große Umstellung: „Wir beraten schließlich jetzt schon im Team das beste Vorgehen. Nun wird der Patient mit einbezogen.“

Neu sei das ja nicht, sagte eine Zuhörerin bei der Veranstaltung im Kieler Schloss: Mit dem „mündigen Patienten“ habe sie sich schon in ihrem eigenen Studium befasst. „Das ist 30 Jahre her, und seither ist es eher schlechter geworden.“

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