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Herzlich, deine B-Schwester

Lebendiger Mikrokosmos des DDR-Lebens in den Sechzigern: Brigitte Reimanns Briefe an ihre und von ihren drei Geschwistern

Von Katharina Granzin

Sie starb 1973 mit nur 39 Jahren an Krebs: Brigitte Reimann, die in der DDR schon mit Anfang 20 als Autorin so erfolgreich war, dass sie ihr Leben lang als freie Schriftstellerin arbeiten konnte. Neben ihrem Output „beruflicher“ Texte, zu denen Drehbücher und Hörspiele ebenso gehörten wie Erzählungen, Romane und Reportagen, muss sie auch privat unablässig geschrieben haben. In Zeiten, als es in den meisten Haushalten noch nicht einmal Telefon gab (und danach waren Ferngespräche teuer), waren Briefe die einzig mögliche Kommunikationsform über weitere Entfernungen.

Der Aufbau Verlag, der bereits mehrere Bände mit Briefen herausgebracht hat, legt nun einen weiteren Band mit privater Korrespondenz vor: die Geschwisterbriefe. Sowohl Reimanns Schrei­ben an ihre drei Geschwister sind hier versammelt als auch deren Briefe an sie. Außerdem ist der „Fami­lien­rund­schrieb“ enthalten, den Vater Reimann regelmäßig verfasste und an seine vier Kinder schickte.

Der älteste Bruder Ludwig, genannt Lutz, war nur eineinhalb Jahre jünger als Brigitte und stand ihr von allen Geschwistern am nächsten. Der Briefwechsel zwischen diesen beiden ist der interessanteste – nicht zuletzt deshalb, da Lutz 1960 in den Westen ging. Das war ein Schritt, den Brigitte Reimann lange Zeit nicht nachvollziehen oder auch nur entschuldigen konnte. In Briefen dieser frühen Jahre tragen die zwei Geschwister harte weltanschauliche Auseinandersetzungen aus, gefolgt von einer langen Phase beiderseitigen Schweigens. Das Drama der deutschen Teilung, das heute schon so weit entrückt scheint, wird hier schlaglichtartig noch einmal so ausgeleuchtet, dass die politischen Gräben und Grenzen, die einst Menschen trennten, schmerzlich sichtbar werden.

In den letzten Jahren von Brigitte Reimanns Leben dagegen wird Lutz derjenige unter den Geschwistern sein, mit dem sie brieflich die größte Innigkeit verbindet – der Einzige auch, dem gegenüber sie während ihrer langen Krankheitsphasen und ihrer Ehekrisen auch ihre oft tiefe Verzweiflung offenbart. Die Beziehung zur zehn Jahre jüngeren Schwester Dorothea war auf einer anderen Ebene sehr eng. Zwar enthalten die Briefe weniger persönlich Dramatisches – es wird darin eher eine Menge „Weiberkram“ besprochen; dafür war Dorothea häufig bei der Schwester zu Besuch und unterstützte sie in Krisen tatkräftig. Die Beziehung Brigittes zum jüngeren Bruder Ulrich wiederum scheint nicht ganz so eng gewesen zu sein – allerdings war Ulrich offenbar kein fleißiger Briefeschreiber, überließ er diese Aufgabe doch gern auch mal seiner Gattin.

Wohnungsnot ist ein Thema

Brigitte Reimann: "Post vom schwarzen Schaf. Geschwisterbriefe". Aufbau Verlag, Berlin 2018. 416 Seiten, 24 Euro

Dieser Briefsammlung liest sich keineswegs nur für Reimann-Fans fesselnd, durch ihre Multiperspektivität eröffnet sie zudem einen ganzen Mikrokosmos der DDR-Gesellschaft der ersten Jahrzehnte. Politische Hoffnungen und Enttäuschungen werden sichtbar, die damals die Menschen umtrieben, daneben Alltagssorgen und -nöte, von denen die gefeierte Autorin (beinahe) ebenso betroffen ist wie andere auch.

Wohnungsknappheit ist ein riesiges Thema: Schwester und Schwager etwa müssen, obgleich verheiratet und berufstätig, lange im Wohnheim ausharren und bekommen erst durch die (heimliche) Intervention der Schriftstellerschwester eine kleine, unansehnliche Wohnung zugewiesen. Bücher und Schallplatten sind begehrte, oft rare Güter, die von West nach Ost, aber auch in umgekehrter Richtung versendet werden. Brigitte schickt Thomas-Mann-Bände nach Hamburg und bestellt beim Westbruder Jazzschallplatten und Belletristik, die sie, um zu verhindern, dass das kostbare Gut beim Zoll abgefangen wird, an den Schriftstellerverband adressieren lässt. (Und tatsächlich enthielten etliche Pakete auch Bananen!)

Ergreifend am Ende die Munterkeit, die Brigitte Reimann immer noch in ihre Briefe zu legen imstande ist, als sie schon längst weiß, dass ihre Lebenserwartung gering ist – und dass sie ihren großen Roman „Franziska Linkerhand“ nicht mehr beenden kann, an dem sie bis zuletzt gearbeitet hat.

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