piwik no script img

Abschied nehmen

Eigentlich sollte das C&A-Gebäude in der Mönckebergstraße bloß modernisiert werden, aber dann fanden sie in einigen Zwischendecken Asbest, mit dem Brandschutz ist es auch nicht weit her. Nun wird der ganze Komplex vielleicht abgerissen. Ein Blick zurück

Von Katrin Seddig

Als ich nach der Wende das erste Mal ein westdeutsches Warenhaus betrat, nämlich das C&A auf dem Ku’damm in Berlin, war ich überwältigt von den wunderbaren, modischen Kleidern. Überwältigt auch davon, dass ein wunderbarer modischer Pullover zum Beispiel 20 Mark kostete. Das war sie also, die fantastische westdeutsche Warenwelt. Und ich sah die ganzen westdeutschen Menschen jetzt mit anderen Augen. Mit solchen Möglichkeiten könnten sie doch eigentlich viel besser gekleidet sein, oder nicht?

In den fast 30 Jahren die inzwischen vergangen sind, habe ich kaum einen Mann gekannt, der keine „Angelo-Litrico-Unterhose“, also eine Unterhose der Hausmarke von C&A, sein eigen nannte. C&A steht für mich am allermeisten für eine bundesdeutsche Einstellung zur Kleidung. Ich selbst kaufe dort manchmal Kniestrümpfe.

Ich kaufe auch Kniestrümpfe bei Karstadt. Aber die von C&A tun es auch. Kniestrümpfe gibt es bei C&A, Unterwäsche, Nachthemden, sogar ein paar billige Dessous. C&A ist immer noch günstig, aber es gibt günstigere Läden, KIK oder Primark. Primark oder H&M sind außerdem viel modischer als C&A. Noch billiger und modischer. Wer geht also noch zu C&A? Wie sieht es aus mit dem Bundesdeutschen, der gerne günstig einkauft oder einkaufen muss? Kauft er noch bei C&A?

Sieht man sich in den Läden um, dann bemerkt man eigentlich kaum einen Unterschied zu anderen Ketten. Es hängen ungefähr dieselben Pullover da, dieselben Jacken, es ändert sich monatlich, die Mode ist ja ein Wettlauf, aber dennoch scheint C&A immer ein wenig altbackener, ein wenig langsamer, ein wenig gemütlicher zu sein. Es rasen weniger Jungmädchengruppen zwischen den Ständern mit den Klamotten herum. Es gibt immer noch große Schlüpfer bei C&A. Die gibt es sonst nur noch bei Karstadt. Es gibt große, weiße Büstenhalter. Es gibt die ewigen Snoopy-Shortys zum Schlafen, aber auch die Dame um die 70 findet ein langes Nachthemd in Pastellfarben. So etwas gibt es bei Primark nicht.

C&A ist auch für ältere Kunden. Älteren Kunden bleibt sonst ja fast nur noch der Einzelhandel, und das ist vielleicht die einzige Rettung für den Einzelhandel, dass man dort große Schlüpfer kaufen kann. Es soll ja alles klein und sexy sein. Wenn nämlich der jugendliche Käufer um die 14 einen großen Schlüpfer sieht, kriegt er einen großen Schreck und weiß sofort, dass er an einem uncoolen Ort ist.

Jetzt soll das große Gebäude an der Mönckebergstraße abgerissen werden, wegen des Asbests, auch so eine Sache, die mich meine ganze Kindheit hindurch begleitet hat

Als sie das C&A an der Wandsbeker Chaussee abrissen, ein Flachbau, eine Neonhalle, da war ich direkt etwas sentimental, weil ich da ja ab und an dort meine Kniestrümpfe gekauft hatte. Und unten, im Untergeschoss, habe ich Strumpfhosen und Regenhosen für die Kinder gekauft.

Es hatten ja fast alle Kinder in unserem Stadtteil Regenhosen von C&A an. Dunkelblau und gelb. Genau solche Dinge kaufte man bei C&A. Strumpfhosen, Regenhosen, Unterhosen von Angelo Litrico. Vielleicht hat mir dieses Kaufhaus auch aus sentimentalen Gründen gefallen, weil es etwas so Unprätentiöses hatte, wie die DDR.

Jetzt soll das große Gebäude an der Mönckebergstraße abgerissen werden, wegen des Asbests, auch so eine Sache, die mich meine ganze Kindheit hindurch begleitet hat. Mein Vater schnitt die Asbestplatten zur Dachdämmung auf dem Hof mit der Säge zurecht. Asbest war normal, war überall. Aber jetzt nicht mehr. Alles ändert sich. Alles passt sich einer neuen Wirklichkeit an. Ich kaufe mehr Secondhand ein, mehr Bio-Kleidung. Aber manchmal gehe ich immer noch in die Wäscheabteilung von C&A und kaufe Kniestrümpfe.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen