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Woher kommt der Krebs?

In der Gemeinde Bothel haben überdurchschnittlich viele Menschen Krebs. Die niedersächsische Landesregierung untersucht nun den Zusammenhang zwischen der erhöhten Blutkrebsrate und der Erdgasförderung

Von Marco Carini

Eine epidemiologische Studie hat die erhöhte Krebsrate in der Samtgemeinde Bothel, in der Nähe von Erdgasförderstätten im Kreis Rotenburg, bestätigt. In der Gemeinde Bothel und in der benachbarten Kreisstadt Rotenburg sind nach einer Auswertung des Krebsregisters von 2003 bis 2012 tatsächlich überdurchschnittlich viele Personen an Leukämie und Lymphomen erkrankt.

Eine Befragung hatte bereits 2017 eine erhöhte Neuerkrankungssrate bei sogenannten hämatologischen Krebserkrankungen von Männern ergeben. Neun statistisch zu erwartenden Erkrankungen standen 23 tatsächliche Krebsfälle gegenüber. Die Vermutung damals: Die erhöhte Krebsrate könne mit nahe an dem Wohnort der Erkrankten gelegenen Bohrschlammgruben zusammenhängen. Diese wurden von der Förderindustrie angelegt, um darin Abfälle aus Erdgasbohrungen zu sammeln.

Den Zusammenhang zwischen Krebshäufigkeit und der Nähe des Wohnorts der Erkrankten zu den Bohrschlammgruben bestätigte die Untersuchung jedoch nicht. Und auch in anderen niedersächsischen Erdgas- und Erdölförderregionen konnte die Ende 2017 vom Gesundheitsministerium in Auftrag gegebene „Abstandsstudie“ keine Auffälligkeiten feststellen.

In der Studie, die das Institut für Arbeits-, Sozial-, und Umweltmedizin der Uniklinik München verfasste, wurden im Auftrag des Ministeriums Krebsfälle in 15 niedersächsischen Landkreisen in einem vom Emsland bis nach Lüchow reichenden Gebiet untersucht. Mit dabei sind etwa Celle, Cloppenburg, Gifhorn oder Lüchow-Dannenberg; alles Landkreise, in denen Erdöl und Erdgas gefördert wird. Doch in keinem dieser Vergleichsgebiete fanden die GutachterInnen auffällige Krebshäufungen. „Ein genereller Zusammenhang zwischen den Auftreten von Krebserkrankungen und der Wohnortnähe zu Erdöl- und Erdgasförderanlagen konnte nicht festgestellt werden“, fasst das Gesundheitsministerium die Ergebnisse der Untersuchung zusammen.

Warum das in Bothel anders ist, was die Studie erneut – und diesmal auch für Frauen – bestätigte, darauf gibt es keine Antwort. Zufall, Gasförderung oder ganz andere Faktoren – noch sei alles denkbar, betont das Ministerium. Deshalb gibt es für die Behörde Bedarf an weiteren Untersuchungen, die einen möglichen Zusammenhang zwischen Erdgasförderung und Krebserkrankungen unter die Lupe nehmen sollen. Sie werden jetzt in Auftrag gegeben.

Für den Bürgermeister der Samtgemeinde Bothel, Dirk Eberle, gibt das Ergebnis der nun veröffentlichten Studie erst einmal „unseren Befürchtungen recht, dass es tatsächlich einen Zusammenhang gibt“. Jetzt müsse dringend wissenschaftlich geklärt werden, was die Erhöhung der Krebsrate in der Samtgemeinde auslöse. Auch die CDU-Landtagsabgeordnete Elke Holsten fordert weitere Untersuchungen. Man „brauche Gewissheit, dass es keine auslösenden Faktoren gibt, die noch nicht beseitigt wurden“.

Genau in diese Richtung zielt eine vom Gesundheitsministerium in Auftrag gegebene Analyse, in der untersucht wird, wie stark Menschen in der Nähe von Förderstätten und Gruben gesundheitlich belastet sind. Denn bei den aufgetretenen Krebsarten bricht die Krankheit oft erst Jahrzehnte nach ihrer Verursachung aus. „Viele Menschen, die in der Nähe von Förderanlagen wohnen, sind besorgt und das kann ich verstehen“, erklärte Gesundheitsministerin Carola Reimann (SPD) bei der Präsentation der Studie. „Wir wollen ausschließen, dass es auslösende Faktoren gibt, die noch nicht beseitigt wurden.“ Die ersten Ergebnisse der Folge-Studie sollen im kommenden Jahr vorliegen.

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