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„Mit Föderalismus können viele wenig anfangen“

Die baden-württembergische Kultusministerin Susanne Eisenmann fürchtet eine Zentralisierung der Bildungspolitik. Lieber sollen die Länder stärker kooperieren

Weiß, welche Sorgen die Schulen im Ländle haben: Kultusministerin Susanne Eisenmann (rechts) besucht die Gemeinschaftsschule und Realschule Althengstett Foto: Sebastian Gollnow/dpa/picture alliance

Interview Anna Lehmann

taz: Frau Eisenmann, was haben Sie dagegen, wenn sich der Bund in der Bildung engagiert?

Susanne Eisenmann: Man muss immer abwägen, was dadurch besser wird. Beim Thema Breitbandausbau hat der Bund die Federführung, da tut sich gar nichts. Ich kann nicht erkennen, dass eine Zentralisierung in der Bildungspolitik etwas verbessert. Ich glaube, es wird eher schwieriger, wenn der Bund sowohl für die Grundschule in Neukölln als auch für das Gymnasium am Starnberger See verantwortlich ist.

Der Bildungsföderalismus ist doch kein Selbstzweck. Wie kann es gelingen, dass die Schulen vergleichbarer werden und Eltern, Schüler und Lehrer der Wechsel von einem Bundesland in ein anderes leichter gemacht wird?

Da haben Sie recht, die Länder müssen an der Vergleichbarkeit arbeiten. An der Vergleichbarkeit von Standards, an vergleichbaren Abschlüssen. Da müssen föderale Systeme zeigen, dass es natürlich gemeinsam geht. Da haben wir Nachholbedarf. Ich bin aber froh, dass wir jetzt daran arbeiten.

Sie fordern einen Staatsvertrag. Der soll Schulabschlüsse oder die Ausbildung von LehrerInnen regeln. Wie viel Einheitlichkeit, wie viel Vielfalt braucht der Föderalismus?

Ziel ist es, durch einen Staatsvertrag zu mehr Vergleichbarkeit zu kommen. Es gibt ja auch Handlungsbedarf: Nehmen wir das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Medizinstudium. Das Gericht hat unter anderem das hohe Gewicht des Abiturs bei der Zulassung deshalb kritisiert, weil das Abitur nicht vergleichbar sei. Das ist interessant. Es geht aber nicht nur um das Abitur, sondern auch um die anderen Abschlüsse. Weitere Themen, die wir uns vorgenommen haben, sind gemeinsame Standards für Schulabschlüsse, Schulleistungsstudien, Lernen in der digitalisierten Welt. Es gibt übrigens durchaus Beschlüsse für ein einheitliches Vorgehen aus den letzten Jahren, etwa was die Vergleichbarkeit von Schulabschlüssen angeht. Die werden nur zu wenig umgesetzt. Das muss man selbstkritisch sagen.

Derzeit können sich die Bundesländer doch nicht mal auf eine gemeinsame Bezeichnung für die Oberschule einigen. Bei Ihnen in Baden-Württemberg heißt sie Werkrealschule, in Berlin Sekundarschule – der Abschluss ist der gleiche. Bei der derzeitigen Verfasstheit des Föderalismus wird es schwierig, zu mehr Gleichklang zu kommen. Oder kann das alles künftig per Staatsvertrag geregelt werden?

Die Bezeichnung ist eines der Themen, die wir gerade angehen, weil da häufig Verwirrung herrscht. Nun ist die Frage: Müssen wir Benennungen ändern oder müssen wir benennen, was der Schulabschluss bedeutet, auch wenn er anders heißt? Wir bearbeiten diese Themen jetzt in einzelnen Arbeitsgruppen und ziehen im Sommer in der Kultusministerkonferenz (KMK) eine Zwischenbilanz. Wenn möglich, soll der Staatsvertrag schon Mitte oder Ende 2020 in Kraft treten. Der Wille in der KMK ist 16 Mal sehr stark ausgeprägt, auch weil wir den Handlungsbedarf sehen. Wenn man sich in zentralen Themen wie Abschlüssen und Standards verständigen kann und eine Annäherung erzielt, wäre das schon ein großer Schritt, der auch überfällig ist. Und dieser Beschluss ist einmütig gefasst.

Und wo sollten die Bundesländer weiterhin ihr eigenes Ding machen?

In Baden-Württemberg haben wir das starke System der beruflichen Gymnasien, die es in anderen Ländern so nicht gibt. Dieses System wollen wir erhalten. Andere Länder haben sechsjährige Grundschulen, auch diese gewachsenen Strukturen müssen erhalten bleiben. Es geht darum, dass die Ergebnisse am Ende vergleichbar sind, der Weg dahin kann vielfältig sein.

Handeln Sie als KultusministerInnen auch getrieben von der öffentlichen Meinung und unter dem Druck der drohenden Grundgesetzänderung?

Susanne Eisenmann

ist Ministerin für Kultus, Jugend und Sport in Baden-Württemberg. Sie gehört dem Präsidium der Kultusministerkonferenz an.

Wir haben die ersten Beschlüsse schon vor über sechs Monaten gefasst, packen das also auch unabhängig und mit hoher zeitlicher Wucht an. Das ist kein Prozess, der jetzt durch den Digitalpakt angestoßen wird. Klar, mit dem Konstrukt des Föderalismus können viele Leute wenig anfangen, es herrscht das Gefühl, das ist zu unterschiedlich. Aber wenn sie die gleichen Leute fragen, ob sie wollen, dass in Berlin über die Grundschule in Leutkirch entschieden wird, dann wollen sie das auch nicht. Es ist also unsere Aufgabe, deutlich zu machen, wie Bildungsföderalismus gelebt wird und was er im Alltag konkret bedeutet.

Sie sagen, Sie haben sich längst auf den Weg gemacht, tatsächlich brauchte die Kultusministerkonferenz fast 70 Jahre für diese Einsicht.

Das ist richtig, aber besser spät als nie.

Muss nicht auch die KMK reformiert werden? Bisher müssen sich alle Länder immer einstimmig und damit auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen.

Ich glaube schon, dass wir uns das auch anschauen müssen. Wir müssen ein Stück weit aktueller und flexibler arbeiten und uns auch hinterfragen. Aber das kriegen wir hin, so erwachsen sind wir.

Anfang des Jahres haben drei ehemalige Bildungsstaatssekretäre ebenfalls für einen Bildungsstaatsvertrag plädiert. Sie forderten einheitliche Regeln für den Beginn der Schulpflicht, für G8 oder G9 und die Besoldung von Lehrern. Geht Ihnen das zu weit?

Am Thema Schulpflicht arbeiten wir in der KMK auch. Das Thema Besoldung ist schwierig. In Baden-Württemberg sind 98 Prozent der Lehrer verbeamtet, in anderen Ländern sind sie vor allem angestellt. Den Grundduktus des Plädoyers halte ich aber für richtig.

Macht ein Staatsvertrag eine Änderung des Kooperationsverbots im Grundgesetz obsolet?

„Der Staatsvertrag soll Mitte oder Ende 2020 in Kraft treten“

Susanne Eisenmann

Das eine hat für uns mit dem anderen nichts zu tun.

Doch. Im Koalitionsvertrag steht sinngemäß, dass eine Grundgesetzänderung Voraussetzung für den Digitalpakt ist.

Aber der Bund sagt ja auch, dass es ihm nicht um Qualität und Standards geht. Das Thema Finanzbeziehungen müssen die Ministerpräsidenten verhandeln. Wir wollen da nichts blockieren. Wir Kultusminister machen unsere Hausaufgaben und sorgen für mehr Vergleichbarkeit, bei Bewahrung der regionalen Besonderheiten.

Bundesbildungsministerin Anja Karliczek hat deutlich gesagt, erst Grundgesetzänderung, dann Digitalpakt. Dauert es noch zwei Jahre, bis der Digitalpakt startet?

Wir haben uns über den Digitalpakt schon im Frühjahr 2018 geeinigt. Inwieweit Digitalpakt und Grundgesetzänderung entkoppelt werden, wird jetzt Aufgabe des Vermittlungsausschusses sein. Aber wenn 16 Bundesländer sagen: „Stopp“, dann hat der Bund offensichtlich nicht alles richtig gemacht.

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