Film „Drei Gesichter“ von Jafar Panahi: Wo die Vorhaut begraben liegt

Was macht ein Filmemacher, wenn er unter Hausarrest steht? Der iranische Regisseur Jafar Panahi spielt in seinem Roadmovie sich selbst.

Jafar Panahi mit Schauspielerin Behnaz Jafari

So lange verbotene Filme im Iran heimlich geguckt werden, juckt es das Regime nicht Foto: Weltkino

„Drei Gesichter“ ist bereits der vierte Film Jafar Panahis, den der iranische Regisseur heimlich dreht und zur Aufführung außer Landes schmuggelt. 2010 wurde Panahi wegen seiner Kritik am Mullah-Regime ins Evin-Gefängnis in Teheran gesteckt. In einem Schauprozess bekam er eine Haftstrafe von sechs Jahren. Er wurde zudem mit einem 20-jährigen Berufs- und Ausreiseverbot belegt.

Dennoch gab er nicht auf und gewann 2015 mit „Taxi Teheran“ den Goldenen Bären der Berliner Filmfestspiele. Das iranische Regime wirkt mitunter ein wenig bizarr: Es versucht die künstlerische Opposition im Inland totzuschweigen. Solange die verbotenen Filme heimlich gesehen werden, juckt es nicht groß. Gegen jede offen politische und umstürzlerische Bewegungen geht das Regime jedoch weiterhin frontal und brutal vor.

Doch wie dreht man im Iran unter Hausarrest? Panahis „Drei Gesichter“ geben eine humorvolle, gelassene, aber auch bissige Antwort darauf. Zunächst hat sich Panahi von der Tochter aus Frankreich eine empfindliche Kamera schicken lassen. Mit der hat sich der 1960 geborene Regisseur sodann als sein eigener Hauptdarsteller ins Auto gesetzt. Und sich zusammen mit der berühmten iranischen Schauspielerin Behnaz Jafari, der zweiten Hauptdarstellerin von „Drei Gesichter“, filmen lassen, wie sie zu einem Roadtrip in den Nordwesten des Landes aufbrechen.

„Drei Gesichter“. Regie: Jafar Panahi. Mit Behnaz Jafari, Jafar Panahi u. a. Iran 2018, 100 Min.

Genauer gesagt in die Provinz Mianeh, aus der Panahi, seine Eltern und Großeltern kommen. Die Schauspielerin Jafari, Regisseur Panahi und die Bewohner dreier Dörfer spielen sich in der Handlung des Films quasi selbst. Sie bleiben dennoch fiktive, sind keine „wirklichen“ Figuren, auch wenn sie bei ihren tatsächlichen Namen angesprochen werden. Panahi mischt selbstironisch die dokumentarischen mit den fiktionalen Ebenen.

Zwischen Archaik und Moderne

Die Kamera fängt in „Drei Gesichter“ die spröde Schönheit der Landschaft und ihrer Bewohner*innen im kärglichen Nordwesten ein. Es sind stille, doch sehr starke, erzählerische Bildern aus fast jeder Tages- und Nachtzeit. Jeder Satz, jede Einstellung, jeder Blick erscheint wie ein lapidar hingeworfener Kommentar zur gegenwärtigen Situation in der Islamischen Republik. Oder eben auch nicht. Der Schauspieler Panahi wirkt souverän, friedfertig, freundlich und interessiert am Leben anderer.

Diese Parabel zeigt eine Provinz, dominiert von Hundegeheul und Schafsgeblök, mit ungepflasterten Straßen, in denen aber auch Smartphone und Fernseher selbstverständlich sind. Rätselhaft bleibt insbesondere für westliche Zuschauer, was sich hinter der überall zur Schau gestellten Höflichkeit und Gastfreundschaft auf dem Land tatsächlich verbirgt. Man hat oft das Gefühl, die Stimmung könnte schnell umschlagen, was den Film eine fortwährende Spannung verleiht.

Jeder Satz, jede Einstellung, jeder Blick wirkt wie ein Kommentar zur Situation im Iran

Im Kern von „Drei Gesichter“ geht es um den zäh ausgetragenen Stellungskrieg zwischen Mann und Frau, zwischen Archaik und Moderne im ländlichen Iran. Männer pochen, insbesondere vor den anderen Männern, stramm auf ihrer Führer- und Vorherrschaft gegenüber Frauen, obwohl sie Seite an Seite mit diesen leben und es zu Hause oft ein wenig anders aussieht. Das Patriarchat ist im Iran keineswegs so unangefochten und stark, wie die Mullahs sich das wünschen. Und dennoch gerade auf dem Land allgegenwärtig.

Cholerisch randalierende Männer und ihre Mütter

In Panahis Drehbuch gibt es viele gegenläufige Bewegungen: Da ist die junge Marzieh, die im fernen Teheran Schauspiel studieren will. Um dies zu erreichen, hat sie Behnaz Jafari und Jafar Panahi mit einem digital gefilmten (vorgetäuschten?) Selbstmord in ihr Dorf gelockt, aus dem sie unbedingt weg will – was der männliche Teil ihrer Familie auf ­keinen Fall zulassen will.

Behnaz Jafari und Jafar Panahi erleben bei ­ihrer Suche nach der toten (oder noch lebenden) Marzieh – für deren möglichen Selbstmord sie sich wegen Klassen­arroganz mit verantwortlich fühlen – cholerisch randalierende Männer. Diese müssen von den Müttern in Schach gehalten und theatralisch weggesperrt werden. Die Laiendarsteller spielen dabei sehr authentisch. Jafar Panahis Film bewegt sich in Differenz zu ihnen, vermeidet aber elitären Hochmut.

Und noch ganz andere Parallelwelten werden sich auftun, hier in der absoluten iranischen Einöde. Am Rande des Dorfes und verstoßen von der örtlichen Männergesellschaft sowie der islamistischen Revolution lebt die einst berühmte Schauspielerin „Scharzad“. Und während die Alten den Söhnen die Vorhaut nehmen, sie auf fremdem Terrain verbuddeln, sitzt diese Scharzad in freier Natur. Sie malt ein Gemälde – ihren Rücken den Betrachter*innen zugewandt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.