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Kochen für die Integration

Der Verein „Über den Tellerrand“ organisiert regelmäßig Kochnachmittage, Musikveranstaltungen, Filmvorführungen und Sprach-Cafés. Er stellt Kontakt zwischen Geflüchteten und Deutschen her

Von Laila Oudray

Abdullah Alfaha ist sichtlich nervös. Es ist die erste Kochveranstaltung, die der Geflüchtete aus Syrien als Ehrenamtlicher leitet. Er steht in der Mitte des Raums: „Hallo und willkommen und bei unserer Veranstaltung: It’s waffle time“, sagt er in die Runde. Etwa 20 junge Menschen stehen um ihn herum. Sie sind an diesem verregneten Sonntag in den Vereinsräumen von „Über den Tellerrand“ in Berlin-Schöneberg zusammengekommen. Sie wollen Waffeln backen.

Der Verein „Über den Tellerrand“ versteht sich als Begegnungsstätte für Menschen mit und ohne Fluchterfahrung. In mittlerweile 30 Städten organisieren Ehrenamtliche und Festangestellte regelmäßig Kochnachmittage, Musikveranstaltungen, Filmvorführungen und Sprach Cafés. Sie bieten Tandems und Mentorate an, um Geflüchtete beim Ankommen zu helfen und einen Kontakt zwischen ihnen und Deutschen herstellen. Mit dieser Idee wurde der gemeinnützige Verein 2013 gegründet.

Zwei Jahre später kam es zum Höhepunkt der sogenannten „Flüchtlingskrise“. Die damaligen Bilder gingen um die Welt: Jeden Tag kamen hunderte Menschen an deutschen Bahnhöfen an. Schnell haben sich viele Ehrenamtliche bereit erklärt zu helfen. Sie gingen zu den Bahnhöfen, begrüßten die Menschen und versorgten sie mit dem Nötigsten. Auch heute, drei Jahre danach, sind es vor allem die Ehrenamtliche, die dafür sorgen, dass aus „Wir schaffen das“ Realität wird. 19 Prozent der Bevölkerung engagieren sich für Geflüchtete. Das ist das Ergebnis einer Studie im Auftrag des Bundesfamilienministeriums.

Doch die Art der Hilfe und die Bedürfnisse der Geflüchteten haben sich geändert: Während es in der deutschen und der europäischen Politik hauptsächlich um Aufnahmeregelungen, Abschiebungen und Quoten geht, gerät der Aspekt der tatsächlichen Integration der Geflüchteten in den Hintergrund. Dabei sollte das der Fokus sein. Es geht nicht mehr um das Meistern einer akuten Situation, sondern um das Eingliedern in die Gesellschaft. Dabei reichen Sprachunterricht, Integrationskurse oder berufliche Integration nicht aus – es braucht den Austausch miteinander. So einen Kontakt möchte „Über den Tellerrand“ herstellen.

Während Abdulah Alfaha den Anwesenden das Prozedere der heutigen Veranstaltung erklärt, legen Katja Elsner und Abo Hiba die letzten Handgriffe an. Sie holen die restlichen Zutaten zusammen und verteilen sie an die vier Kochinseln, die für das Event zur Verfügung stehen. Abo Hiba legt über sein Handy arabische Musik auf und verteilt Namensschilder. Abo Hiba heißt eigentlich Ahmad Nassar, doch alle im Verein kennen ihn unter seinem Spitznamen. Der 30-Jährige stammt aus der syrischen Stadt Salamiyya, etwa 40 Kilometer von Homs entfernt. Ende 2015 floh er nach Deutschland. Über deren Patenprogramm „Building Bridges“ kam er 2017 zu „Über den Tellerrand“.

Seit diesem Jahr ist er als Bundesfreiwilliger ein festes Mitglied des Vereins und kümmert sich um die Veranstaltungsorganisation und -durchführung. Das könnte er sich auch für die Zukunft vorstellen: „Ich bin eigentlich Tierarzt, doch mir macht das Organisieren Spaß“, erzählt er und verteilt Früchte an die Teilnehmer*innen. Diese backen an den verschiedenen Kochstationen belgische Waffeln, niederländische Poffertjes und Falafelwaffeln.

Katja Elsner sitzt an einem Tisch und beobachtet die Gruppe. Sie ist die Ehrenamt- und Communitymanagerin von „Über den Tellerrand“. Sie hatte 2015 als Ehrenamtliche beim Verein angefangen, seit diesem Jahr arbeitet sie fest dort. Sie kennt fast alle, die an dem Tag dabei sind. Viele haben sie zur Begrüßung umarmt, es ist eine herzliche Atmosphäre. Viele Geflüchtete seien in der Zeit Freunde geworden oder auch Kolleg*innen. „Man fiebert für einander mit. Wir bekommen ja auch viel mit, was bei ihnen im Alltag passiert“, sagt Elsner und schaut zu Abdullah Alfaha rüber, der gerade einer Teilnehmerin ein Rezept erklärt. Er ist über das Job-Mentorat auf den Verein aufmerksam geworden. Jetzt sucht er nach einem Praktikumsplatz in der IT-Branche.

Die Akteure und Programme

Über den Tellerrand“ ist ein gemeinnütziger Verein mit Sitz in Berlin. Ehrenamtliche und festangestellte Mitarbeiter*innen organisieren kulinarische, künstlerische und sportliche Events für Menschen mit und ohne Fluchterfahrung. Außerdem betreibt der Verein verschiedene Programme, um eine bessere Integration zu ermöglichen.

Im „Job Buddy“-Programm werden Geflüchtete bei der Erstellung von Bewerbungsunterlagen und der Vorbereitung von Vorstellungsgesprächen unterstützt.

Im „Building Bridges“-Programm hilft ein Team, bestehend aus einem Einheimischen und einem Geflüchteten, einem Neuankömmling dabei, in Deutschland Fuß zu fassen.

Mehr Informationen über den Verein und die Veranstaltungen gibt es auf der Homepage ueberdentellerrand.org.

Das Spendenkonto: GLS Gemeinschaftsbank eG, IBAN DE17 4306 0967 1170 3641 00, BIC GENODEM1GLS, Über den Tellerrand e. V.

Für ihn ist das Ehrenamt auch eine Möglichkeit der Ablenkung. Er freut sich über die Aufgabe und die Kontakte. Auch Abo Hiba hat über den Verein viele Freunde und auch einen Beruf gefunden. Doch der Verein muss mit Schwierigkeiten kämpfen. Sie spüren den Rechtsruck in der Gesellschaft und der Politik da, wo es am meisten schmerzt: am Geld.

Die Mitarbeiter*innen können auf immer weniger Fördergelder hoffen. Das Geld fehlt an allen Ecken. Sie versuchen es mit kostenpflichtigen Kochkursen, die von geflüchteten Köchen geleitet werden, und dem Verkauf von Kochbüchern zu kompensieren. Doch es bleibt immer ein großes Loch. Die Veranstaltungen der Community funktionieren auf Spendenbasis. Das soll auch so bleiben: „Vor allem die Kochveranstaltungen müssen so niedrigschwellig wie möglich sein“, meint Elsner. Sie selbst spürt die Unsicherheit in der Finanzierung direkt – sie hat nur einen befristeten Vertrag und weiß nicht, ob er verlängert wird.

Doch trotz der Probleme will „Über den Tellerrand“ weitermachen und hat für das nächste Jahr große Pläne. So sollen neue Küchen in Kreuzberg, Schöneweide und Lichtenberg entstehen. Auch hofft Elsner, dass sie in noch mehr Städten Veranstaltungen bieten können: „In Berlin sind wir in einer Blase. Gerade in den kleinen Städten sind Anwohner*innen sehr kritisch. Aber genau da müssen wir dann hin.“

Mittlerweile riecht der ganze Raum nach Waffeln und Schokolade. Ein bisschen naschen die Teilnehmer*innen hier und da schon was und lachen. Doch gegessen wird an einem Tisch – gemeinsam.

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