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Petition gegen das Wegsperren

Hamburg ist eines der Länder, das Schulschwänzer in Jugendarrest steckt. Nach dem Tod einer Schülerin in Sachsen-Anhalt, die vor der Polizei flüchtete, fordert eine Online-Petition, das Vorgehen abzuschaffen

Im Jahr 2017 traten 33 Schulverweigerer in Hamburg den Jugendarrest an. 2018 waren es bereits 37

Von Kaija Kutter

Hamburgs Schulsenator Ties Rabe (SPD) rühmt sich, mit harter Hand gegen Schulschwänzer vorzugehen. Dazu gehört nicht nur eine jährlich ansteigende Zahl von Bußgeldern. Zahlt ein Schüler sein Bußgeld nicht, kann ein Richter sogar mehrtägigen Arrest anordnen. Doch um dieses letzte Mittel ist eine Debatte entbrannt, seit in Sachsen-Anhalt eine Schülerin auf der Flucht vor der Polizei vom Balkon stürzte.

Wie die Mitteldeutsche Zeitungberichtet, hatten drei Polizisten am Morgen des 8. November die Wohnung der Familie in Halle aufgesucht, um drei Gerichtsbeschlüsse wegen „Schulbummelei“ zu vollstrecken. Die 15-Jährige habe sich auf die äußere Seite einer Balkon-Brüstung gestellt und den Halt verloren. Angehörige berichteten dem Blatt, das Mädchen sei in Panik geraten. Sie sei wegen Mobbings nicht zur Schule gegangen.

Eine Online-Petition fordert nun vom Landtag in Sachsen-Anhalt neue Gesetze, „damit es keinen Jugendarrest bei Schulpflichtsverletzung mehr gibt“. Denn in dem Land wurden allein 2017 187 Schulverweigerer eingesperrt. Dies erscheine vor dem Hintergrund des Todesfalls „absurd, unmenschlich und im höchsten Maße unmoralisch“.

Auch die Linksfraktion im Landtag Sachsen-Anhalts fordert nun eine Gesetzesänderung. Die Einhaltung der Schulpflicht sei wichtig, so der Antrag. Doch die Arrestierung von Jugendlichen sei nicht der geeignete Weg dazu. Der Tod der Schülerin sei „dramatischer Beleg“ dafür, dass diese Art der Verfolgung für die Jugendlichen eine Gefahr darstelle.

In Hamburg gibt es Arrest für Schulschwänzer, seitdem 2006 die allein regierende CDU den sogenannten „Schulzwang“ ins Gesetz schrieb. Davor gab es weder Bußgeld für Schüler noch Arrest. Doch seither halten sich die Zahlen auf hohem Niveau. Wie die Justizbehörde der taz mitteilt, gab es im Jahr 2017 106 „Vollstreckungsersuchen“ an die Abteilung für den Jugendarrest. Durch Zahlung der Buße kann dies noch abgewendet werden. 33 Schüler traten den Arrest an. In diesem Jahr gab es bislang 78 „Vollstreckungsersuche“; 37 jungen Menschen waren im Arrest. Der findet in einem eigenen Haus auf Hahnöversand statt, wo die Schüler mit dem ebenfalls auf der Elbinsel ansässigen Jugendstrafvollzug nicht in Kontakt kommen sollen.

Auf die Frage, ob der Schulsenator den Jugendarrest anlässlich des Todesfalls in Halle auf den Prüfstand stelle, antwortet sein Sprecher, Peter Albrecht, dass der Arrest am Ende einer Kette stehe und sich „als solcher“ bewährt habe. „Oft bewirkt schon die Androhung eines Jugendarrests, dass den Jugendlichen klar wird, dass Schulschwänzen nicht toleriert wird.“

Die Linke-Abgeordnete Sabine Boeddinghaus ist gegen den Arrest und kündigt wie ihre Kollegen in Sachsen-Anhalt gesetzliche Initiativen an. Der „Schulzwang“ von 2006 führe zu weiteren Härten, wie die Herausnahme eines Kindes aus der Familie oder der Sorgerechtsentzug. „Diese Maßnahmen gehören abgeschafft“, so die Schulpolitikerin. Bleibe ein Kind der Schule fern, liege die Ursache oft in Schulstress, Schulangst und Mobbing aufgrund schlechter Ausstattung und „mangelnder Hinwendung für jeden einzelnen jungen Menschen“.

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