Jubel, Angst und Tränen: Brasilien voll auf Rechtskurs

Der Rechtsextremist Jair Bolsonaro wird neuer Präsident Brasiliens und gibt sich in seinen ersten Erklärungen demokratisch. Der unterlegene Fernando Haddad spricht Mut zu und fordert die Verteidigung des Rechtsstaats

Freude und Gewaltfantasien in gelb-grün: Bolsonaro-Anhängerinnen nach dem Wahlsieg am Sonntagabend Foto: Silvia Izquierdo/ap

Aus Rio de Janeiro Andreas Behn

Fassungslos verfolgt eine Gruppe junger Leute den Wahlausgang in einer Kneipe im Zentrum von Rio de Janeiro. Das Ergebnis ist wie vorhergesagt: 55 Prozent, fast 58 Millionen Brasilianer und Brasilianerinnen, haben für den rechtsextremen Ex-Militär Jair Bolsonaro gestimmt. Das bisschen Hoffnung auf eine Trendwende, die in den letzten Tagen eines hektischen, verzweifelten Wahlkampfes plötzlich möglich schien, zerbricht. Viele umarmen sich, Tränen fließen. Aufmunternde Worte werden gemurmelt, doch sie kommen nicht an gegen die Frage, die sich die Gegner Bolsonaros in diesem Moment stellen: Wie kann es sein, dass mein Land einen Faschisten, einen Rassisten, einen Frauenfeind, wählt?

Einige Tische weiter bricht Jubel aus. „Mito, Mito, Mito!“ – Mythos, wie Bolsonaro von vielen Anhängern genannt wird – wird in Sprechchören gerufen. Hupende Autos, darunter viele Taxis und Polizeiwagen, werden bejubelt. „Jetzt ist endlich Schluss!“, sagt ein Mann eher zu sich selbst und meint damit wohl ein Brasilien, das ihm schon lange nicht mehr gefällt. Wenige Ecken weiter – so ist später im Internet zu lesen – gab es Verletzte, nachdem offenbar rechte Männer gegen Menschen mit Aufklebern von Fernando Haddad und seiner Arbeiterpartei vorgingen.

Haddad verlor die Wahl deutlich. Die Niederlage wäre ohne die Stimmen derer, die ihn nur wählten, um Bolsonaro zu verhindern, noch viel deutlicher ausgefallen. Haddad gestand seine Niederlage ein, gratulierte dem Sieger aber nicht. Zur Begründung sagte Haddad, Bolsonaro habe gedroht, ihn ins Gefängnis zu werfen. Seinen Anhängern sprach er im Fernsehen Mut zu: „Habt keine Angst, wir werden gemeinsam widerstehen.“ Die große Minderheit, die nicht für den Weg des Hasses auf Andersdenkende, Frauen und Homosexuelle gestimmt habe, verdiene Respekt. „Es steht viel auf dem Spiel. Deswegen müssen wir die demokratischen Institutionen verteidigen und dürfen uns nicht provozieren lassen“, erklärte der ehemalige Bürgermeister von São Paulo.

In vielen Städten feierten Tausende den Wahlsieg Bolsonaros. In Rio de Janeiro versammelte sich eine Menge in grün-gelben Nationalfarben vor seinem Haus am Strand des schicken Stadtteils Barra da Tijuca. Bolsonaro erschien nicht, doch verlas er vor seiner Haustür eine Presseerklärung. Anders als gewohnt gab er sich als Staatsmann, der seine Worte abwägt: „Meine Regierung wird die Verfassung, die Demokratie und die Freiheit verteidigen. Dies schwöre ich vor Gott.“ Er werde aus Brasilien eine große, wohlhabende und freie Nation machen. Er kündigte eine Entbürokratisierung des Staates an, und dass er „alles Ideologische“ aus den Schulen und dem Bildungsministerium verbannen werde. Als einziger Wert gelte die Familie. Und ohne zu merken, dass das selbstverständlich sein müsste, versprach er „Respekt vor unterschiedlichen politischen und religiösen Haltungen“.

Kurz zuvor schlug er auf Facebook, wo er sich medial viel eher zu Hause fühlt als bei Presseerklärungen, einen weniger versöhnlichen Ton an. Er habe jetzt das Mandat, „unser Brasilien zu retten“ und dafür zu sorgen, dass die Zeit des Sozialismus nicht wiederkehre, sagte Bolsonaro mit Blick auf die Arbeiterpartei, die von 2003 bis 2016 regierte. Die Drohung, seine politischen Gegner nach einem Wahlsieg zu verfolgen, erneuerte er nicht.

„Wir dürfen uns nicht provozieren lassen“

Fernando Haddad, Wahlverlierer der Arbeiterpartei PT

US-Präsident Donald Trump war laut Bolsonaro einer der ersten Gratulanten. Auch Chiles und Argentiniens konservative Präsidenten meldeten sich umgehend. Ein weiterer Staat, eine wichtige Regionalmacht, ist nun fest in rechter Hand. Und der Präsident setzt neue Maßstäbe, denn zumindest im menschenverachtenden Diskurs ist er Trump, Orbán oder Erdoğan um einiges voraus.

Der Rechtsruck im größten Land Lateinamerikas ist umfassend. Auch die Gouverneure von 13 Bundesstaaten und des Hauptstadtdistrikts Brasília wurden im zweiten Wahlgang neu bestimmt. In den drei bevölkerungsreichsten Staaten São Paulo, Minas Gerais und Rio de Janeiro gewannen jeweils Kandidaten, die dem neuen Präsidenten politisch nahe stehen. Im kleinen Bundesstaat Rio Grande do Norte gewann Fátima Bezerra von der Arbeiterpartei PT als einzige Frau einen von 27 Gouverneursposten. Abgesehen vom verarmten Nordosten, wo die PT oder ihre Bündnispartner alle Gouverneure stellen, rückte der Rest Brasiliens wie auch das Parlament und der Senat in Folge dieser Wahl deutlich nach rechts.

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