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„Todespfleger“ vor Gericht

Niels H. tötete, um Lob und Anerkennung zu erhalten

Die Anklage lautet auf ­99-fachen Mord: Am Dienstag beginnt vor dem Landgericht Oldenburg das Verfahren gegen den Krankenpfleger Niels H. Es ist der bundesweit größte Mordprozess der Nachkriegsgeschichte. Wegen des großen öffentlichen Interesses und der vielen NebenklägerInnen wird die Oldenburger Weser-Ems-Halle zum Gerichtssaal umfunktioniert.

Über mehrere Jahre mordete H. in Krankenhäusern in Oldenburg und Delmenhorst. Er spritzte den PatientInnen Medikamente, die Herzrhythmusstörungen auslösten, um sie dann selbst heldenhaft reanimieren zu können.

Schon in der Oldenburger Klinik, in der er bis 2002 arbeitete, fiel H.s Verhalten auf. Aber statt dem Verdacht nachzugehen, wurde der heute 41-Jährige zur Kündigung überredet. Mit auf den Weg gab es ein freundliches Arbeitszeugnis. Bei seinem neuen Delmenhorster Arbeitgeber mordete H. unbehelligt weiter, bis er 2005 von einer Kollegin auf frischer Tat ertappt wurde.

Dass die Taten erst jetzt vor Gericht verhandelt werden, liegt nach Meinung einer Anwältin von Angehörigen an einem „neun Jahre dauernden Ermittlungsboykott“. Schon nach seiner Festnahme gab es demnach Hinweise darauf, dass H. für mehrere Todesfälle verantwortlich sein könnte. Doch eine Sonderkommission wurde erst 2014 eingesetzt.

Heute gehen die Ermittler davon aus, dass die bisher aufgedeckten und von H. zum Teil eingeräumten Morde nur „die Spitze des Eisbergs“ sind. Mehreren Verdachtsfällen konnte nicht nachgegangen werden, weil die Toten eingeäschert worden waren.

H. ist wegen Mordes bereits zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Eine erneute Verurteilung würde nichts an seinem Strafmaß ändern. Ziel des Verfahrens sei es, den Angehörigen Klarheit über das Schicksal der Opfer zu verschaffen, sagte der Vorsitzende Richter im Vorfeld.

Dem Verfahren wird vermutlich noch der hundertste Fall angefügt. Vor Kurzem hat H. in einer Vernehmung einen weiteren Mord gestanden. Bis Mitte Mai 2019 sind 24 Verhandlungstage angesetzt.

Marthe Ruddat.

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