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Kein Nostalgiebuch

In seinem Interviewband „Gespräche mit Genialen Dilletanten“ verhandelt der Berliner Journalist Jacek Slaski das Phänomen in einem größeren zeitlichen Rahmen

Wie man auf dem Bild der Tödlichen Doris sieht, war Wolfgang Müller (Mitte) schon damals eine Elfe Foto: Aus dem besprochenen Band

Von Andreas Hartmann

Es war ein Festival mit Folgen, das am 4. September 1981 im Westberliner Tempodrom stattfand. „Die große Untergangsshow – Festival Genialer Dilletanten“ ist deswegen so bedeutsam, weil dabei auch damals noch weitgehend unbekannte Musiker aufspielten, die die popkulturelle Entwicklung Berlins in den nächsten Jahrzehnten entscheidend prägen sollten. Etwa Westbam und Dr. Motte, die zum Bindeglied zwischen der Westberliner Punkszene und der ein Jahrzehnt später aufkommenden Technobewegung wurden. Oder Gudrun Gut, die in den Neunzigern zu einer zentralen Figur der Elektronikpopszene wurde.

Außerdem wurde auf dem Festival eine bislang diffuse Szene aus Künstlern, die sich für Musik interessierten, und solchen, bei denen es eher umgekehrt war und die sich allesamt den Ideen des Punk verpflichtet fühlten, erstmals öffentlich mit einer neuen Begrifflichkeit enggeführt: Ge­nia­le Dilletanten. Das Unfertige, Fehlerhafte, Nichtperfekte, das sich auch in dem bewusst mit zwei l und einem t falsch geschriebenen Wort „Dilletanten“ ausdrückte, wurde zum Ideal erklärt, die bürgerliche Vorstellung, dass Kunst von Können komme, grundsätzlich negiert.

Ein Büchlein, das Wolfgang Müller von der Band Die Tödliche Doris ein Jahr nach dem Festival bei dem Berliner Szeneverlag Merve veröffentlichte, erklärte die Genialen Dilletanten zu einer Art künstlerischen Bewegung. Als Manifest und aufschlussreiche Materialsammlung zum damaligen Zeitgeist hat das schmale Kompendium längst den Charakter eines Standardwerks.

Der Interviewband „Gespräche mit Genialen Dilletanten“ des Berliner Journalisten Jacek Slaski unterstreicht dessen Bedeutung, indem er sich auch optisch daran orientiert. Er ist im selben Grau gehalten wie das Buch von Wolfgang Müller, die Typografie des Merve-Verlags wird zitiert. Slaski, der als Redakteur bei den Stadtzeitungen Tip und Zitty arbeitet, lässt in seinem Buch Protagonisten, die schon beim Festival Genialer Dilletanten und in Wolfgang Müllers Buch dabei waren, nochmals davon erzählen, wie es damals war. Auf dem Festival, in Mauerstadt-Berlin ganz allgemein, in den damals angesagten Szeneclubs wie dem Risiko oder dem Dschungel.

Musiker wie Frieder Butzmann, Gudrun Gut, Alexander Hacke oder Wolfgang Müller kommen zu Wort. Aber der Interviewer ist nicht nur daran interessiert, einmal mehr spannende Geschichten aus vergangener Zeit zu hören. Die meisten der Befragten, die in den letzten vier Jahren interviewt wurden, machen auch heute noch Kunst, Musik, Mode oder schreiben Bücher. Auch darüber erfährt man in den ursprünglich für Tip oder Zitty geführten Gesprächen eine ganze Menge. Somit ist Slaskis Band weit mehr als nur ein weiteres Nostalgiebuch.

Auch der Begriff der „Genialen Dilletanten“ wird in gewisser Weise neu verhandelt bzw. um Protagonisten erweitert und damit vom Autor leicht neu justiert. So werden die chronologisch ersten Gespräche des Buchs mit Künstlern geführt, die – folgt man Slaski – bereits in den Siebzigern im Geiste der späteren Genialen Dilletanten aktiv waren, und der Band endet in einer Unterhaltung über das Berlin in den Neunzigern mit dem Musiker und Künstler Jim Avignon. Somit werden die Genialen Dilletanten nicht mehr unbedingt einer kurzen Epoche in Berlins Post-Punk-Ära zugeordnet, sondern in einem größeren zeitlichen Rahmen betrachtet.

Das Unfertige, Fehlerhafte, Nichtperfekte wurde zum Ideal erklärt

Auch ist Slaski mutig genug, relativ unerwartet jemanden wie den Comic-Künstler Gerhard Seyfried den Genialen Dilletanten zuzuschlagen, auch wenn der als ehemaliger Hippie mit der damaligen Szene um Wolfgang Müller und Konsorten nur wenig zu tun hatte. Schade ist da nur, dass nicht versucht wurde, auch noch den ein oder anderen jungen Genialen Dilletanten aufzutreiben, der sich ganz im Jetzt auf den Geist von damals beruft, was auf dessen anhaltende Wirkung hinweisen würde.

Freilich ist es auch gar nicht das Ziel Slaskis, ernsthaft eine Neuverortung der Genialen Dilletanten vorzunehmen. Dafür ist sein Buch dann doch zu sehr vor allem eine Sammlung von Gesprächen, die in ihrer ursprünglichen Form die Leser einer Zeitschrift informieren, aber auch gut unterhalten sollten. Viel mehr als um den Ge­nia­len Dilletantismus selbst geht es auch um sich verändernde Lebensumstände von Künstlern im sich dauernd wandelnden Berlin und darum, ob oder inwieweit der Fall der Mauer eine Zäsur für diejenigen war, die sich damals weitgehend derselben Subkultur zugehörig fühlten.

Aus den meisten von Slaskis Gesprächspartnern, die einst von sich behaupteten, sie könnten eigentlich nichts, das aber besonders gut, ist etwas geworden. Die Einstürzenden Neubauten gibt es gefühlt bald so lange wie die Rolling Stones. Klaus Beyer hat sein Lebensziel, sämtliche Platten der Beatles schlecht und brillant zugleich einzudeutschen, längst erreicht. Und der Splatter-Regisseur Jörg Buttgereit inszeniert heute am Theater. Als Dilettant in diesem Bereich, oder besser gesagt: als Genialer Dilletant.

Jacek Slaski: „Gespräche mit Genialen Dilletanten“. Martin Schmitz Verlag, Berlin 2018, 252 Seiten, 17,80 Euro

Buchpremiere am Mittwoch, 24 Oktober im Aquarium, Skalitzer Straße 6.

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