piwik no script img

Der Kampf ums Wort

Das Clinch-Festival in Hannover, will dem Rechtsruck etwas entgegensetzen. Sichtbar werden sollen hier die Menschen, die von Rassismus betroffen sind

Von Andrea Maestro

Es ist eine Frage, die auf den ersten Blick ganz harmlos klingt, die aber rassistisch sein kann: „Wo kommst du her?“ Tini Santo hat sie schon hundertfach gehört, von Freund*innen und völlig Fremden, im Supermarkt und in der Autowerkstatt. Sie wurde in Jakarta, der Hauptstadt Indonesiens, geboren und ist in Süddeutschland aufgewachsen. „Was mich daran stört, ist das Gefühl, nicht dazuzugehören und irgendwie fremd zu sein“, sagt die 33-Jährige.

Die Fragesteller*innen gäben sich nicht mit einer Antwort wie „Hannover Linden“, dem Stadtteil, in dem sie heute lebt, zufrieden. „Aber du siehst ja nicht deutsch aus. Du musst ja irgendwo anders herkommen“, sagten dann die Leute. „Theoretisch müsste ich, um diese Neugier zu befriedigen, meine gesamte Familiengeschichte offen legen“, sagt Santo. Macht sie aber nicht. Sie wünscht sich von der Mehrheitsgesellschaft mehr Sensibilität – und daran arbeitet die gelernte Grafikdesignerin aktiv mit. Seit einigen Monaten ist sie Teil des Teams, das in Hannover zum zweiten Mal das Clinch-Festival organisiert.

Vom 1. bis zum 4. November richtet das Kulturzentrum Pavillon in Hannover die Veranstaltung aus, die (post-)migrantische und postkoloniale Perspektiven aufzeigen soll. Konkret heißt das, dass Künstler*innen, Autor*innen und Aktivist*innen, die sich nicht der weißen, deutschen oder österreichischen Mehrheitsgesellschaft zurechnen, selbst zu Wort kommen und ihre Sicht auf das Leben in den beiden Ländern schildern.

„Uns ist es besonders wichtig, die Positionen von Menschen, die selber von Rassismus und Ausgrenzung betroffen sind, in den Vordergrund zu stellen“, sagt Santo. Das Festival bietet dafür ganz verschiedene Formate: Die Ausstellung „Decolonial Love“ dreht sich um die Frage, wie People of Colour sich gegenseitig stärken können und „uns dabei das Gefühl geben, gesehen und wertgeschätzt zu werden“. Hip-Hopperin Ebow wird beim Konzert im Pavillon Sätze wie: „Wir sind wert, was der Pass uns an Wert gibt“ rappen.

In einer Lesung von Interviewausschnitten können die Besucher*innen zudem erfahren, welche Konsequenzen es für das Leben der Angehörigen der Mordopfer des NSU hatte, dass Ermittlungsbehörden und Medien sie kriminalisiert haben. „Das ist ein schlimmes Beispiel dafür, was passiert, wenn Leute nicht gehört werden“, sagt Melanie Micudaj, Santos Kollegin. Angehörige der NSU-Opfer haben schon früh den Verdacht geäußert, dass die Täter aus der Naziszene kommen. „Das war, als ein großer Teil der Gesellschaft noch von Dönermorden gesprochen hat.“

Bei dem Festival wird auch Ibrahim Arslan sprechen. Er ist ein Überlebender der rassistischen Anschläge von Mölln im Jahr 1992. Auch ihm geht es darum, dass die Opfer zu Wort kommen – jenseits der ihnen zugewiesenen Statist*innenrollen.

„Das Festival will unterrepräsentierte Geschichten und Personen sichtbar machen“, sagt Micudaj. Rassismus sei strukturell in der Gesellschaft verankert und nicht nur das Fehlverhalten einzelner Personen. „Es geht darum, wer erzählt und wessen Perspektive ist relevant.“ Und es gehe darum, zuzuhören.

Das Festival will aber auch provozieren: „Es geht nicht immer darum, nett zu sein, sondern auch in den Clinch zu gehen, um etwas zu erreichen“, sagt Micudaj. Das sei gerade jetzt, wo in der Gesellschaft ein Rechtsruck zu beobachten sei, besonders wichtig.

Santo macht diese Entwicklung Angst. „Ich habe das Gefühl, dass es immer normaler wird, rechte Parolen rauszuhauen.“ Das Festival soll ein Gegenpol sein: „Menschen, die negativ von Rassismus betroffen sind, sollen bestärkt da raus gehen.“ Die Ideen aus den Workshops halten zwei Bloggerinnen in einem Blog fest, damit sie nicht einfach verpuffen. „So können wir weiter daran arbeiten, die Situation zu verändern“, sagt Santo.

Infos: clinchfestival.de

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen