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Guter Rat ist zu teuer

Ein Tarifkonflikt zwischen der Humboldt-Uni und ihrer Studierendenvertretung führt zur Schließung studentischer Beratungsstellen – etwa für Bafög-Fragen. Das kann für manche*n existenzielle Folgen haben

Von Daniél Kretschmar

Erstsemester sammeln sich vor dem unscheinbaren Flachbau in der Monbijoustraße in Mitte. Eine Rallye ihrer Fachschaftsräte und Fachschaftsinitiativen führt sie hierher. Sie sollen die Beratungsangebote der Studierendenschaft, die es neben denen der Hochschule und des Studierendenwerks gibt, kennenlernen. Und Beratungen werden so manche im Laufe ihres Studiums bitter nötig haben. Ob es um Fragen zum Studieren mit Kind geht, um Probleme mit dem Bafög-Amt, besondere Anforderungen an internationale Studierende oder allgemeine juristische Probleme – viele Schwierigkeiten, die im Laufe eines Studiums auftreten, können hier behoben werden.

Unklar ist allerdings, wie lange das noch so sein wird. In einem langwierigen Tarifkonflikt über den Status von studentischen Beschäftigten im nichtwissenschaftlichen Bereich – zu denen die studierenden Berater*innen zählen – reagiert die Humboldt-Universität derzeit mit einer totalen Blockade bei Einstellungsverfahren, die zuerst das Beratungssystem des ReferentInnenrates (Refrat, der Asta der Hochschule) trifft. Zwei Beratungsstellen können deshalb ausgerechnet zum Semesterbeginn nicht besetzt werden. Das sind zwei von Dutzenden Verwaltungshilfsstellen – denen in den kommenden zwei Jahren noch einige Hundert folgen könnten. Denn offenbar verzichtet die Hochschule lieber auf die angestellten Studierenden, als ihnen Tariflöhne zu zahlen.

Gleichzeitig stellt die Unileitung in mehreren öffentlichen Stellungsnahmen gegenüber dem Refrat die Notwendigkeit der studentischen Beratungen und selbst die Legitimität der Fachschaftsinitiativen überhaupt infrage. Dabei werden sowohl auf den Webseiten der Fachbereiche wie auch auf dem zentralen Informationsangebot der HU genau deren Hilfestellungen als besonders nützlich angepriesen – gerade für StudienanfängerInnen.

Das Bewusstsein dafür, dass ältere Semester jüngeren KommilitonInnen wertvolle Hinweise für die Navigation durch den bürokratischen Hindernislauf geben können, ist also durchaus vorhanden. Doch der Wille zur Konfrontation aufseiten des HU-Präsidiums schlägt jeglichen Pragmatismus und gefährdet lange gewachsene Strukturen der studentischen Selbstverwaltung und natürlich auch die Arbeitsplätze der BeraterInnen.

Einer von ihnen ist Johannes Roeder, Student für Wirtschaftsrecht. Roeder hat ein volles Haus an seinem letzten Arbeitstag. Auf dem nicht sonderlich hellen Flur des Flachbaus in der Monbijoustraße sitzen durchgängig ein Dutzend Ratsuchende. Manche warten schon seit der Vormittagssprechstunde: Es ist kurz vor Semesterbeginn, absolute Hochzeit im Sozialberatungssystem der Uni. Seit gut zweieinhalb Jahren ist Roeder Bafög-Berater für den Refrat. Jetzt in der Abschlussphase seines Studiums endet sein Arbeitsvertrag. Für ihn fällt das günstig zusammen – anders als bei seinen KollegInnen.

In etwas mehr als einer Stunde spricht Johannes Roeder mit vier Studierenden, was ein guter Schnitt ist. „Kompliziertere Fälle nehmen schnell mal eine halbe oder sogar ganze Stunde in Anspruch“, sagt er. Heute geht es um Bafög-Ablehnungsbescheide kurz vor Studienabschluss oder vorm Beginn des Masterstudiums. Jemand sucht Hinweise für den besten Übergang zum Jobcenter in der Zeit, die noch für die Abschlussarbeit gebraucht wird.

Da geht nichts mehr

Über hohen Stress klagt mehr als jeder vierte deutsche Studierende. Das geht aus einer Studie des Deutschen Zen­trums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung, der Techniker Krankenkasse und der Freien Universität hervor, für die bundesweit über 6.000 Stu­den­t*innen befragt wurden.

Gründe seien Überforderung, Prüfungsdruck und Zukunfts­angst. Mental am besten geht es Studierenden der Medizin und Gesundheitswissenschaften, am höchsten belastet sehen sich Sprach- und Kul­tur­wissenschaftler*innen.

Vor allem Studentinnen fühlten sich psychisch überlastet: Jede fünfte gibt an, unter einer Angststörung zu leiden, etwa jede sechste zeigt Anzeichen eines depressiven Syndroms. (taz)

Nur einer der Ratsuchenden ist Erstsemester, ein sogenannter Bildungsausländer mit sehr spezifischen Fragen. Roeder kann ihn in auf die dafür spezialisierte Beratung im gleichen Flur gegenüber verweisen: „Jobcenter, Steuern und so weiter, alles gar kein Problem, aber Sachen wie Aufenthaltsfragen macht man nicht mal so nebenbei. Da ändert sich die Rechtslage ja gefühlt stündlich.“ Umso schwieriger wird die Situation der Betroffenen mit Semesterbeginn. Denn eine der Beratungsstellen, die wegen der Blockadehaltung der Uni künftig unbesetzt bleiben, ist die für ausländische Studierende.

Rund 1.500 Beratungskontakte haben Roeder und seine KollegInnen im Jahr und sind damit bundesweit eine der größten Beratungsstellen für Bafög-Fragen. „Formblatt 5“, antwortet Roeder auf die Frage, womit er am häufigsten in seiner Arbeit konfrontiert ist. In dieser Anlage zum Bafög-Antrag wird der Leistungsstand der Studierenden nach dem vierten Fachsemester abgefragt. Fehlen Leistungsnachweise und vor allem gute Gründe für Verzögerungen, wird die Förderung eingestellt, was für nicht wenige Studierende den Fortgang des Studiums infrage stellt.

An genau dieser Stelle beginnt für Johannes Roeder der Spaß an der Arbeit. Denn oft kann er tatsächlich helfen: „Das sind relativ klare Sachverhalte, eindeutige Regeln und Fristen, die man eben kennen und einhalten muss.“ Nur, welche StudienanfängerInnen mit Bafög-Anspruch wissen schon, dass es sich lohnt, bei gesundheitlichen Problemen auch Krankschreibungen zu sammeln? Spätestens wenn sie mit Formblatt 5 konfrontiert sind und die Leistungspunkte fehlen, muss Roe­der ihnen erklären, wie sie Krankheiten gegenüber dem Bafög-Amt als studienverzögernd geltend machen können.

Überhaupt sind Erkrankungen einer der häufigsten Gründe für Probleme im Studium. Das Studierendenwerk zählt in seiner letzten Sozialerhebung ein Viertel aller Berliner Studierenden als chronisch krank oder anderweitig gesundheitlich beeinträchtigt. Bafög-BeraterInnen beobachten jedoch eine relativ hohe Dunkelziffer. Vielen Betroffenen sei gar nicht klar, dass etwa eine Depression als Verzögerungsgrund anerkannt wird. Die Hemmschwelle, darüber zu reden, ist zudem oft hoch. Aufgabe der BeraterInnen ist also auch, den Leuten nahezukommen, um sie unterstützen zu können. „Im Ergebnis kommen gar nicht so wenige kränker aus unseren Beratungen raus, als sie hineingegangen sind“, scherzt eine der KollegInnen.

Ausführliche Beratungen, auf die jede Menge Papierkram folgt, dazu der Stress für ohnehin von der ganzen Bürokratie überforderte Menschen – ist das wirklich nötig? Johannes Roeder ist sich sicher: „Wenn das Bafög-Amt einfach nur eine Kulanz von einem Semester einbauen würde, also die vollen Leistungsnachweise erst nach dem fünften Semester verlangte, würden 40 Prozent der Beratungen hier gar nicht nötig sein.“

Stattdessen droht wegen der Finanzierungslücke Studierenden immer wieder eine unmäßige Verlängerung des Studiums oder gar dessen vorzeitiges Ende. Die, denen in der Beratung geholfen werden kann, haben Glück. „Einige landen hier schon ganz schön verzweifelt an. Und das ist dann das Tolle an der Arbeit hier: Leuten, die schon abbrechen wollten, wieder Hoffnung geben zu können“, erklärt Roeder.

Dabei kommen die meisten, die überhaupt studieren, aus sozial recht gesicherten Verhältnissen. Nur ein Fünftel der Studierenden in Berlin hat einen Anspruch auf Bafög, das ist ein Rückgang um sechs Prozentpunkte seit 2012. Die soziale Homogenität der Studierendenschaft in Deutschland spiegelt sich an den Berliner Hochschulen laut Sozialerhebung auch sonst etwas stärker wider. Hier stammen noch mehr Studierende als im Bundesdurchschnitt aus Akademikerfamilien.

In Sachen soziale Diversität sieht auch der Berliner Staatssekretär für Wissenschaft, Steffen Krach, noch „viel Luft nach oben“ – und freut sich deshalb auf die Eröffnung eines Regionalbüros des Projekts „Arbeiterkind“ im November an der Technischen Universität. Dort macht man sich dafür stark, dass auch Kindern nichtakademischer Eltern der Weg ins Studium eröffnet wird.

Für jene, die den langen Weg zur Immatrikulation bereits geschafft haben, hält Krach die Beratungsarchitektur rund um die Hochschulen für eine wichtige Hilfe, die gestärkt werden sollte. Gerade die Sozialberatung der Studierendenwerke sei eine wesentliche Stütze für die Verbesserung der Situation. Aber auch die Hochschulen sieht der Staatssekretär in der Pflicht, entsprechende Beratungen anzubieten, genauso wie die Studierendenschaften: „Das ist eine extrem große Verantwortung. Wir wollen, dass die auch wahrgenommen wird.“

Da geht noch mehr

15,43 Euro warm pro Quadratmeter zahlen Studierende in Berlin durchschnittlich an Miete – und sind damit längst noch nicht spitze, was die Preise für studentisches Wohnen in Deutschland angeht.

Fast 2 Euro mehr, nämlich 17,35 Euro, kostet der Quadratmeter warm im Schnitt in Hamburg.

Am günstigsten ist die Miete mit durchschnittlich 11,35 Euro warm pro Quadratmeter für Studierende in Thüringen. Das geht aus der Untersuchung „Fachkraft 2030“ hervor, die von Studitemps zusammen mit dem Department of Labour Economics der Maastricht University im März 2018 durchgeführt wurde.

38,4 Arbeitsstunden monatlich brauchen laut der Studie Berliner Studierende im Schnitt, um ihre Miete zu erwirtschaften. (taz)

Umso mehr verwundert es, dass die Leitung der Humboldt-Universität in den vergangenen Wochen in Wort und Tat das Sozialberatungssystem für obsolet erklärte. Als Grund nennt die HU das genaue Gegenteil dessen, was Staatssekretär Kracht sagt: dass nämlich die Beratungen nicht zu den Aufgaben der Hochschulen gehörten. Dabei werden diese Beratungsangebote selbst in den Hochschulverträgen als wesentlicher Auftrag definiert. Ihre Bedeutung über individuelle Unterstützung hinaus wird unter anderem daran deutlich, dass qualifizierte Beratungen helfen, die Abbruchquoten zu verringern – was eigentlich im Interesse der Hochschulen liegen sollte.

Wie sie die wegfallenden Angebote ersetzen will und wie die Aufgaben der nicht besetzten Stellen in der eigenen Verwaltung nun erledigt werden sollen, kann die HU auch fast zwei Wochen nach Semesterbeginn nicht sagen. Auf wiederholte Nachfrage erklärt ein Sprecher nur, die Uni sei nicht schuld an der Situation. Der Personalrat habe angekündigt, keinen Anträgen auf Stellenbesetzung in den fraglichen Bereichen mehr zuzustimmen. Als Beleg dient der Uni eine Stellungnahme des Personalrats, in dem dieser das Problem zwar in durchaus dramatischen Worten schildert, aber keinen konkreten Schritt ankündigt. Der Personalrat selber bezeichnet die Auskunft der Uni deshalb als „Falschinformation“.

Für Johannes Roeder macht das nach Jahren der Beratertätigkeit keinen Unterschied mehr. Er bereitet sich nun auf seine Masterprüfungen vor. Bafög bekommt Roeder selbst schon lange nicht mehr: Er habe „erst zu spät das richtige Studium für mich gefunden“, sagt er: „Es läuft eben nicht immer so glatt, wie es vom System vorgesehen ist.“

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