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Man baut nicht jeden Tag ein Haus an der Friedrichstraße

Bei Wettbewerben gilt es, meist unter enormem Zeitdruck, ein Objekt mit Ausstrahlung und Charakter entstehen zu lassen, mit dem die Bauherrschaft eine Verbindung herstellen und sich identifizieren kann.

Unter Kollegen – Gespräch mit AndréPassos,Head of Competitions bei E2A

André, wie hat es sich angefühlt, den taz Neubau-Wettbewerb zu gewinnen?

André:Es ist immer belohnend, einen Wettbewerb zu gewinnen – beim taz Neubau hat es sich jedoch besonders berauschend angefühlt. Da ein extrem großes öffentliches Interesse an diesem Wettbewerb bestand, berichteten sofort alle Medien davon.

Warum war speziell dieser Wettbewerb so öffentlichkeitswirksam?

Ich denke, das hat mehrere Gründe. Zum einen sind Bauort und Bauherrschaft alles andere als gewöhnlich. Zum anderen bestand auch ein großes Interesse seitens der Architekturbüros, diesen Auftrag an Land zu ziehen. Insgesamt hatten sich 312 Büros beworben – jeder wollte Architekt der taz sein. In vielen Projekten spielen funktionalistische Faktoren eine derart überragende Rolle, dass für den Architekten wenig Spielräume offenbleiben, konzeptuell-architektonische Aussagen zu treffen. Viele Büros, uns eingeschlossen, wussten, dass das bei dem taz-Wettbewerb anders sein würde. Solche Wettbewerbe sind daher für viele Büros, die konzeptuelle Schwerpunkte setzen, von großer Attraktivität.

Du arbeitest nun bereits seit fünf Jahren für E2A als „Head of Competitions“. Was kann man sich unter diesem Titel vorstellen?

Eigentlich gibt es bei uns im Büro zwei Lager, das der Wettbewerbe und das der Ausführung. Je nach Projektgröße dauert ein Wettbewerb zwei bis zweieinhalb Monate. Gewinnen wir einen Wettbewerb und wird das Gebäude dann auch tatsächlich realisiert, dauert die anschließende Planung meist mehrere Jahre. Ich bin Projektleiter für Wettbewerbsprojekte, führe meistens ein Team an und schaue darüber hinaus noch meinen projektleitenden Kollegen über die Schulter.

Für Architekten gibt es allgemein drei unterschiedliche Möglichkeiten, an Aufträge zu kommen: Direktvergaben im privaten Sektor, mehr oder weniger öffentliche Wettbewerbe, oder – seltener – eigene Initiativen. Was bedeutet es für dich, an Wettbewerben teilzunehmen?

Für mich ist der Wettbewerb die dichteste, komprimierteste Form der architektonischen Praxis. Quasi skizzenhaft gilt es, meist unter enormem Zeitdruck, ein Objekt mit Ausstrahlung und Charakter entstehen zu lassen, mit dem die Bauherrschaft eine Verbindung herstellen und sich identifizieren kann.Für mich ist es immer wieder faszinierend, im Entwurfsprozess bei null zu beginnen, kreativ sein zu können, spezifische Besonderheiten zu definieren, frühzeitig mit Ingenieuren und Landschaftsarchitekten zu kooperieren und schließlich auch baurechtliche und bauökonomische Überlegungen anzustellen. Gleichzeitig bedeutet der Zeitdruck, dass man nicht immer absolut zufrieden mit seiner eigenen Leistung sein kann. Der Druck verwehrt es einem, sich zurücklehnen zu können, um einen objektiven, distanzierten Blick auf die Arbeit zu erlangen. Oftmals denkt man dann: Hätte ich doch eine Woche zusätzlich Zeit, dann würde ich dies und das noch besser ausgestalten können. Wie überall ist Zeit das kostbarste Gut. Man muss lernen, die eigene Arbeit, in einem strikt definierten Zeitraum, als etwas natürlich Gewachsenes zu akzeptieren und verteidigen zu können.

Was kommt dir als erstes in den Sinn, wenn du dich heute an den taz Neubau-Wettbewerb erinnerst?

Ich erinnere mich vor allem an die Tage, als wir im Entwurfsprozess die Richtung zum später eingereichten Projekt einschlugen. Kurz zuvor hatten wir nämlich noch eine ganz andere Strategie verfolgt – wir planten zunächst ein ziemlich rigides, modulares Ordnungssystem. Das Grundstück war in seiner Länge in fünf dieser Rastereinheiten eingeteilt. Die innere Haupttreppe hätte aber in der Form, in der wir sie für nötig erachteten, drei Einheiten verschlungen, sodass nicht genug Platz für andere Bereiche blieb. Wir mussten uns eingestehen, dass die kubische Rasterung eine Sackgasse war und schlugen eine komplett andere Richtung ein.

Zeitgleich stießen wir bei unserer Recherche auf Wladimir Schuchows Schabolowka-Radioturm aus den 1920er Jahren. Wir erkannten sein Potenzial als Referenz, nicht nur aufgrund politischer Implikationen, er inspirierte uns auch als Sinnbild für Kommunikation und Informationsverbreitung an sich.Demnach erinnere ich mich auch an die Zeit, in der Struktur und Fassade unseres Entwurfs allmählich Form gewannen. Die besondere Treppe, mit ihren großzügigen Aufenthaltsbereichen, war ja, wie bereits erwähnt, schon von Anfang an Thema. Es fällt mir, wie man sicherlich merkt, sehr schwer, den Fokus auf ein besonderes Element unseres Entwurfs zu legen. Ich möchte das Gebäude nicht auseinanderdividieren, für mich ist es ein organisches Ganzes.

War der taz-Wettbewerb besonders anspruchsvoll? Was bereitete euch Schwierigkeiten?

Besonders anspruchsvoll gestaltete sich die Integration des Gebäudes in den urbanen Kontext – abgesehen davon, dass für das Grundstück drei unterschiedliche Bebauungspläne zu berücksichtigen waren, baut man nicht jeden Tag ein Haus an der Friedrichstraße, in unmittelbarer Nähe zum Checkpoint Charlie, dem jüdischen Museum etcetera. Diese Geladenheit an Prominenz, wenn man so will, macht einem die Arbeit nicht unbedingt leichter. Darüber hinaus zeichnet das Grundstück einerseits seine besondere Position am Ende eines Blocks aus, andererseits lässt es den Bau zum Besselpark hin als Einzelbauwerk in Erscheinung treten.

Als unser Konzept zum Ende hin immer stabiler wurde, beschäftigte uns hauptsächlich die Doppelagenda von Struktur und Fassade. Auf diese Thematik in dem geladenen, städtebaulichen Kontext einen überzeugenden Lösungsvorschlag aufzubieten, war sehr anspruchsvoll.

Zuvor erwähntest du die Referenz des Schabolowka-Radioturms, wie seid ihr auf diesen Bau aufmerksam geworden?

Bevor wir uns Hals über Kopf in den Entwurf stürzen, recherchieren wir. Das ist an sich nichts Besonderes, so arbeitet man bereits im Studium. Was dann später in der Realität dazukommt, ist die Recherche über die Bauherrschaft. Wir hatten glücklicherweise einige Kollegen im Wettbewerbsteam, die die taz bereits gut kannten. Mit der Zeit entwickelten wir ein Gefühl für den taz-Geist, seine Eigenart und besonderen Bedürfnisse. Der Radioturm als Referenz brachte unsere Haltung in dieser Thematik auf den Punkt, er war genau das, was wir auszudrücken versuchten.

Die politische Ausrichtung der Bauherrschaft spielt also für den architektonischen Entwurf eine Rolle?

Natürlich. Für uns Architekten kann jedes Detail eine Rolle spielen. Das bedeutet jedoch nicht, dass wir unsererseits keine Agenda haben und bereitwillig jedes erdenkliche Detail Einfluss auf unser Denken nehmen lassen.

Für uns war von Anfang an klar, dass sich die Räumlichkeiten des taz Neubaus durch Flexibilität und Leistung auszeichnen mussten, dass sie imstande sein sollten, ein Milieu des freien Denkens zu ermöglichen. Traditionelle Bürolayouts mit klaren, hierarchischen Konfigurationen wollten wir auf jeden Fall vermeiden.

Ich erinnere mich noch sehr gut daran, als ich aus Zürich für die Abgabe der Pläne nach Berlin zum alten taz Gebäude flog. Je mehr ich mich durch den Bau bewegte und dabei die tazler beobachtete, desto stärker hatte ich das Gefühl, die taz bereits seit einer Ewigkeit zu kennen. Ich fand einen Wifi-Hotspot an der Friedrichstraße und schrieb stolz an Wim und Piet in Zürich: „We nailed it!“ Im Laufe der Jahre lernten wir die taz natürlich noch besser kennen. Die enge Zusammenarbeit mit dieser besonderen Zeitung war für uns Architekten überaus bereichernd und inspirierend.

taz.shop, taz.café, taz.arena – waren all diese Brands bereits Teil des Wettbewerbprogramms?

Ja, das waren sie. Wie bereits erwähnt, hatten wir glücklicherweise einige Kollegen im Team, die die taz bereits kannten. Wir wussten frühzeitig um den Stellenwert dieser Räumlichkeiten und konnten in unserem Entwurf voll darauf eingehen. Neben ausgezeichnetem Kaffee möchte die taz anscheinend auch weitere alternativ-hergestellte Produkte, wie zum Beispiel Fahrräder im taz.shop anbieten.

Wahrscheinlich rote Fahrräder. Wie beurteilst du den realisierten Bau in Relation zu eurem Entwurf?

In der Tat kann es zwischen Entwurf und realisiertem Bau erhebliche Diskrepanzen geben. Das kann zum einen daran liegen, dass der Architekt keine Kontrolle über Bauleitung, gestalterische Leitung etcetera erlangen kann, Stichwort General- oder Totalunternehmer. Zum anderen kann natürlich eine schlechte Planung unsererseits später einen erheblichen Mehraufwand hervorrufen. Beim taz Neubau war weder das eine, noch das andere der Fall. Wir hatten das Privileg, von Anfang an absolute Kontrolle zu haben und konnten somit unseren Entwurf Eins zu Eins umsetzen. Nur ein paar Technikräume mussten später angepasst werden, das ist aber ganz normal.

Generell kann man sagen: Je früher ein Wettbewerbskonzept Stabilität erlangt, desto angenehmer gestaltet sich die spätere Ausführungsplanung. Das liegt schlicht und ergreifend daran, dass es unwahrscheinlicher ist, später zum Beispiel von einem Baureglement überrascht zu werden, das man anfangs nicht auf dem Schirm hatte.

Hast du mittlerweile ein Gespür für die Erfolgsquote eurer Wettbewerbsbeiträge?

Wettbewerbe sind ziemliche Wundertüten. Manchmal ist man sich seiner Sache absolut sicher, steht voll und ganz hinter seinem Projekt und scheidet dann in der Vorrunde aus. Man weißnie genau, was den Nerv der Bauherrschaft trifft. Manchmal sieht man nur die Schwachstellen im eigenen Projekt und hat das Gefühl, dass das grundlegende Konzept nicht deutlich genug in Erscheinung tritt, doch dann gewinnt man, weil die Jury ein kleines Detail hervorhebt.

Im Falle des taz Neubaus war es aber nicht solch ein Detail, das uns den entscheidenden Vorteil erbracht hat. Die taz konnte sich anscheinend hervorragend mit unserem Vorschlag identifizieren, besser hätte es aus unserer Sicht nicht laufen können!

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