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Gastkommentar Afrika-BeauftragterKolonialismusaufarbeitung als Farce

Kommentar von jürgen Zimmerer

Der Afrikabeauftragte der Bundesregierung verharmlost die Kolonialgeschichte, um Flüchtlingsabwehr schön zu reden. Er sollte gehen.

Erika Dasila Kandurozu nahm in Deutschland geraubte Herero-und Nama-Gebeine entgegen Foto: dpa

V erharmlost Angela Merkels persönlicher Afrikabeauftragter den Kolonialismus? Das muss man nach Günter Nookes jüngstem Interview in der BZ wohl bejahen. Zwar habe der Kolonialismus „Nachwirkungen“ gehabt, „schlimm waren die Sklaventransporte nach Nordamerika“, allerdings habe „die Kolonialzeit dazu beigetragen, den Kontinent aus archaischen Strukturen zu lösen“. Überhaupt habe „der Kalte Krieg […] Afrika mehr geschadet als die Kolonialzeit“. Sätze, die sprachlos machen!

Kein Wort etwa über die Millionen von direkten Toten des Kolonialismus, beispielsweise im Kongo Leopolds II. oder im Genozid an den Herero und Nama, über den die Bundesregierung gerade verhandelt. Kein Wort über die destruktiven ökonomischen und kulturellen Folgen.

Nooke entlarvt das Regierungsziel einer kritischen Aufarbeitung der Kolonialgeschichte, niedergelegt im Koalitionsvertrag, als Farce. Was sich schon in den Verhandlungen mit Namibia andeutete, ebenfalls durch einen von Merkel eingesetzten Sondergesandten, zumindest in und um das Kanzleramt ist das Interesse an einer wirklichen Aufarbeitung begrenzt.

Nooke geht es nicht (nur) um Geschichte: Für seine Idee, exterritoriale Pachtzonen in Afrika für die Rückführung Geflüchteter zu errichten, muss Invasion und Massenraubmord der Vergangenheit vom Stigma befreit werden. Vergangenheit wird umgeschrieben, um der Gegenwart zu dienen. Dafür wärmt er, mit allen kolonialistischen Stereotypen, die Mär von der Zivilisationsmission wieder auf: Als Vorteil für die Kolonisierten wird ausgegeben, was den Kolonisierern nutzt.

Wider Willen belegt Nooke die Notwendigkeit historischer Aufarbeitung, gerade auch um die heutige Politik angemessen einzuordnen. Dass der Afrikabeauftragte der Bundeskanzlerin das nicht kann oder will, zeigt zum einen, dass er für das Amt nicht wirklich geeignet ist, und zum anderen, dass er eine andere Agenda hat. Es geht auch um die Abwehr von Geflüchteten, koste es, was es wolle: in diesem Falle die historische Wahrheit.

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5 Kommentare

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  • Afrika ist kompliziert: viele Länder, Kulturen, Sprachen, eine 200'000 jährige Menschheitsgeschichte, viele Klischees. Die Sklaventransporte nach Nordamerika waren schlimm, aber es gab sie auch nach Südamerika, in die Karibik, die arabische Welt, wo man die Männer kastrierte. Afrikanische Sklavenhändler profitierten mit. Es gibt die Sklaverei in einigen afrikanischen Ländern noch heute: Halbwahrheiten zur Sklaverei durch den Afrikabeauftragten weiter verbreitet. Die Wilden, Unzivilisierten scheinen beim ihm auch im Kopf herum zu spuken. Weshalb sollte er sonst die "archaischen Strukturen" zu erwähnen.



    In Afrika gab es vielfältige Kulturen, angefangen von staatsähnlichen Königreichen mit ausgefeilten, hierarchischen Strukturen bis zu Jäger- und Sammlergesellschaften mit egalitären Zügen und eher lockerem Zusammenhalt. Ob das archaisch ist, sei dahin gestellt, aber als die Portugiesen im 15. Jh. anfingen nach Afrika zu greifen, waren sie auch noch weit entfernt von einer modernen Gesellschaft, ebenso die Kolonialmächte des 19. Jh's. Sie betätigten sich als Plünderer und Mörder unter dem Deckmantel der Zivilisierung der Wilden. Es ist nicht ersichtlich, welche "nicht-archaischen" Strukturen sie brachten.



    Es gab zahlreiche Afrikaner, die von den kolonialen Verhältnissen profitierten. Ein Teil der heutigen, korrupten Eliten ist durch den Kolonialismus zu ihrem Einfluss gelangt. Auch das gehört zur Geschichte Afrikas, genauso wie die Entwicklungs- und Wirtschaftshilfe des Westens, die die Menschen auf diesem Kontinent zu Almosenempfängern, Bittstellern, Müllabnehmern, Altkleiderträgern und Unselbstständigen machte. Wir haben uns nicht vom Gedankengut der kolonialen Vorfahren entfernt, wenn wir meinen, Afrikanern weiterhin zeigen zu müssen, was richtige Entwicklung ist und ihnen mit dem Afrikabeauftragten noch ein Kindermädchen an die Seite stellen, das ihnen ihre Welt erklärt. Begegnung auf Augenhöhe und Respekt vor 200'000 Jahren menschlicher Kultur sind angesagt.

    • @ecox lucius:

      Die neuere Geschichte Zimbabwes zeigt, wie einfach ein Land gut produzieren kann, bzw. wie diese Produktion zerstört werden kann. Von daher ist nichts gegen professionelle Landwirtschaft zu sagen, so fern der Staat darüber wacht, dass Umwelt- und Sozialstandards eingehalten werden.

  • Ja auch bei Herrn Noke kommt der "Heia Safari" Kolonialist durch. Diese Neger können froh sein, das wir sie mit Sklaverei und Ausbeutung in die Moderne befreit haben. Und Walter Ulbricht sowie Josef Stalin haben die DDR-Dissidenten ihre Existenz zu verdanken.

  • "Die Sklaventransporte nach Nordamerika" ...



    Hammer! Als aktuell angenommene Zahlen habe ich 12 Mio. in Amerika Angekommene im Kopf. Davon lediglich 0,5 Mio. in Nordamerika.



    Naja, die Südhalbkugel ist halt nicht wichtig.

  • ich empfehle allen Interessierten die aktuelle Ausstellung im Deutschen Hygiene Museum zu Dresden. Titel>: "RASSISMUS Die Erfindung der Menschenrassen"



    1911 gab es eine "rassenhygienische" Abteilung, die zugrundeliegenden Theorien wurden 1933 mit dem Programm des Nationalsozialismus vereint.



    Darauf bin ich gestossen, als unser Verfassungsschutz Präsident in Chemnitz die Situation vielleicht nicht verstand:



    Denn zu seinem Schutzgut zählt die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland! Dort steht im GG Artikel 3 Satz 3 "Niemand darf wegen ... , seiner Rasse, ... benachteiligt oder bevorzugt werden."



    Wir sollten immer daran denken, daß wir unsere Vergangenheit noch nicht verstanden haben?