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Kern will nach Brüssel

Österreichs sozialdemokratischer Ex-Kanzler tritt bei der Europawahl 2019 an

Aus Wien Ralf Leonhard

In der Sozialdemokratischen Partei Österreichs (SPÖ) herrscht seit Dienstag Chaos. Christian Kern, Chef der größten Oppositionspartei, hat überraschend seinen baldigen Rücktritt angekündigt. Er will bei der Europawahl im Mai 2019 als Spitzenkandidat für die SPÖ antreten und bewirbt sich offenbar auch als solcher für die europäischen Sozialdemokraten. Damit würde er die Nachfolge des jetzigen EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker anstreben. Selbst engste Vertraute wie Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser wurden von der Erklärung überrumpelt. Kaiser sprach einem „Schockzustand“ der Partei und einem „Kommunikationsdesaster“.

Die Nachricht vom bevorstehenden Rückzug des früheren Bundeskanzlers war bereits Dienstagnachmittag aus SPÖ-Kreisen an die Medien geleakt worden – die allerhand Spekulationen zu seinen Plänen in petto hatten. Erst Stunden später enthüllte Kern seine Europawahl-Pläne.

Er will aber offenbar nicht einfach für die SPÖ kandidieren. Aus verschiedenen Quellen hieß es, er strebe den Posten des Spitzenkandidaten der europäischen Sozialdemokraten an. Bisher hat Kern für diesen Plan einen offiziellen Konkurrenten, den slowakischen EU-Vizekommissionspräsidenten Maroš Šefčovič, der ebenfalls ins Rennen um Junckers Amt gehen will. Anfang Dezember wollen die europäischen Sozialdemokraten ihren Spitzenkandidaten in Lissabon küren.

Entsprechende Absprachen in der Parteienfamilie sollen zwar stattgefunden haben – aber noch nicht so weit gediehen sein, dass Kern damit an die Öffentlichkeit gehen wollte. Er wurde durch Indiskretionen der eigenen Partei gezwungen, sich jetzt schon zu deklarieren – daher das Chaos.

Erst am Mittwoch trat das SPÖ-Präsidium zusammen, um den Alleingang des Vorsitzenden Kern im Nachhinein abzusegnen. Bundesgeschäftsführer Max Lercher versicherte treuherzig, Kerns Kandidatur sei „einhellig begrüßt“ worden.

Spannend wird aber noch die Entscheidung über die Nachfolge des Parteichefs. Aus der zweiten Reihe waren bisher vor allem Absagen zu hören. Optimistisch zeigt sich nur der ehemalige Kanzleramtsminister und Kern-Vertraute Thomas Drozda, der sagt, die Zeit sei reif für eine Frau an der Spitze. Denkbar wäre die ehemalige Gesundheitsministerin Pamela Rendi-Wagner. Die war bis zu ihrer Berufung ins Kabinett Kern allerdings nicht einmal Parteimitglied.

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