: „Bei Pilzen lernt man nie aus“
Herbstzeit ist Pilzzeit. Vorm Essen schnell in den Wald gehen und ahnungslos rumsammeln ist aber keine gute Idee. Ein Gespräch mit der Pilzsachverständigen Uta Kappel
Interview Teresa Wolny
taz: Frau Kappel, was sind Pilze für Sie?
Uta Kappel: Ein Wunder der Natur, das mich in Farbe, Form und Sein fasziniert. Erst waren sie Leidenschaft, dann Essen, und jetzt finde ich Nutzen und Sinn für die Natur und den Menschen spannend. Pilze gab es schon vor 475 Millionen Jahren, mit ihrer Hilfe kamen die ersten Pflanzen. Vor 250 Millionen Jahren stießen Bakterien hinzu, die in etwa die gleichen Bedingungen Wärme und Feuchtigkeit mögen. Deshalb sind sie sich bis heute in der Regel spinnefeind. So wirkt unter anderem Penizillin. Es gibt jetzt das Wort „Waldbaden“, das früher Spaziergang hieß und Wahrnehmen mit allen Sinnen bedeutet. Dafür eignen sich Pilze wunderbar.
Haben Sie einen Lieblingspilz?
Den Flockenstieligen Hexenröhrling. Viele sammeln ihn nicht, weil sie denken, er ist giftig. Ich mag ihn, weil er ein fester, schmackhafter und ergiebiger Pilz ist.
Seit wann sammeln Sie Pilze?
Den ein oder anderen habe ich wohl schon mit 15 gesammelt, oft aber nur beobachtet und fotografiert. Hier in Stade gab es keinen richtigen Zugang zu Pilzen und Fachleuten, eigentlich bin ich bis heute auf der Suche. Irgendwann bin ich trotzdem Pilzsachverständige bei der Deutschen Gesellschaft für Mykologie geworden. Austausch ist mir wichtig, bei Pilzen lernt man nie aus, man kann sowieso nie alles wissen und vieles ist noch nicht erforscht. Es ist durchaus möglich, einen noch nicht bekannten Pilz zu entdecken, den man dann nach sich benennen kann.
Was sind typische Aufgaben als Pilzsachverständige?
Die meisten Anfragen sind online. Ich bin vor allem beratend tätig. Leute mit Pilzkörben vor der Tür stehen habe ich aber nicht. Pilzbestimmung über Bilder finde ich allerdings nicht verantwortungsvoll, Pilze muss man im Ganzen sehen.
Im Herbst zieht es die meisten Pilzbegeisterten in den Wald.
Die Nebelzeit bis zum ersten Frost ist die Hauptpilzzeit. Im Frühjahr bilden sich unterirdisch Fruchtknoten, diese sind die Voraussetzung für die Fruchtkörper im Herbst. Zum Wachsen brauchen Pilze Feuchtigkeit und Wärme. Bei dem heißen Sommer dieses Jahr ist viel vertrocknet, generell gilt aber, dass man nach einem Regenguss ab in den Wald sollte. Pilze wachsen schnell, genauso schnell sind aber Schnecken und Maden, deswegen sammelt man morgens früh. Ich fange gerne schon vor Sonnenaufgang an.
Was muss man dabei beachten?
Man sollte sich vorher informieren, teilweise gibt es strenge Vorschriften wo, was und wie viel man sammeln darf. Da Pilze sehr viel Wasser enthalten, hat man diese Menge ziemlich schnell zusammen. Die Pilze sollten dann gleich kontrolliert und gesäubert werden. Ganz gut ist auch ein Querschnitt, um zu prüfen, ob nicht doch Maden drin sind. Unbekannte Exemplare müssen immer extra gelegt werden. Wenn auch nur ein Knollenblätterpilz drin liegt, wird bei mir der ganze Korbinhalt komplett entsorgt, weil ich nicht weiß, ob sich nicht doch Krümel oder Lamellen abgelöst haben.
Wie wirkt das Gift?
Das Problem ist nicht so sehr das Gift an sich, sondern die Tatsache, dass es nicht von der Leber abgebaut wird und immer wieder den Kreislauf durchläuft. Dadurch kann es letztendlich zu Organversagen kommen. Es gibt über 20 verschiedene Arten von Pilzvergiftungen. In der Regel gilt, je eher nach einer Mahlzeit Beschwerden auftreten, desto harmloser die Vergiftung.
Gibt es auch ganzjährig Pilze?
Ja, saisonabhängige Pilze verkennen viele, weil bei den meisten vor allem der Speisewert im Vordergrund liegt. Die Masse gibt es in den anderen Jahreszeiten nicht, ich sammle aber das ganze Jahr. Im Winter gibt es etwa den Samtfußrübling, ein guter Suppenpilz.
Viele Menschen sind bei Pilzen skeptisch.
Uta Kappel, 50, von der Deutschen Gesellschaft für Mykologie geprüfte Pilzsachverständige, lebt in Stade und erläutert Sammlern in der Region Hamburg Schutz, Ökologie und Arten von Pilzen sowie deren Essbarkeit.
Ich vermute wegen Unsicherheit bei der Zubereitung. Pilze bereitet man aufgrund ihrer unterschiedlichen Eigenschaften verschieden zu. Ein edler Zuchtpilz wie der Kräuterseitling etwa erhält sein volles Aroma erst beim Braten. Wird er gedünstet, bekommt er die Konsistenz von Erkältungsrotz und schmeckt langweilig. Andere Pilze muss man vorher trocknen und dann in Wasser einweichen, bevor man sie essen kann. Wildpilze sollte man außerdem niemals roh essen. Ich halte die generelle Angst vor Pilzen aber für übertrieben. Bohnen etwa sind roh auch giftig, aber jeder weiß, dass man sie kochen muss. Bei Pilzen gibt es viel Unwissen.
Inwiefern stehen Pilze zwischen Pflanzen und Tieren?
Weder noch, sie sind ein eigenes Reich. Zu den Tieren zählen sie, weil sie keine Fotosynthese betreiben und weil ihre Zellwände aus Chitin und nicht aus Zellulose bestehen. Genau wie Pflanzen können sich Pilze in der Regel aber nicht bewegen. Eine Ausnahme davon sind Schleimpilze.
Der Trüffel gilt als König unter den Pilzen.
Er gilt als selten, ist es aber nicht. Für Trüffel gilt in Deutschland ein Sammelverbot, auch auf dem eigenen Grundstück. Der Verkauf ist genau wie jeglicher Handel mit einheimischen Pilzen verboten. Ich halte die Gerüchte über eine Pilzmafia zwar für übertrieben, glaube aber schon, dass es organisierte Gruppen gibt, die systematisch nach Pilzen suchen.
Ab welchem Wissensstand kann man gesammelte Pilze essen?
Vor der Zubereitung muss man sich bei Pilzen 100 Prozent sicher sein, 99,9 Prozent reichen nicht. Es sollte auf jeden Fall jemand fachkundiges draufgeschaut haben, der auch zugibt, wenn er etwas nicht weiß. Man sollte sich auch nicht auf Opa verlassen: Durch das veränderte Klima kommen hier Wärme liebende Pilze vor, die es früher nicht gab. Anfänger sammeln am sichersten zuerst nur Röhrlinge, da ist hier für gesunde Menschen kein tödlich giftiger bei.
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