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Als Kalaschnikow gegen die Schrotflinte

Hessen wählt im Oktober einen neuen Landtag. Die Fraktionschefin der Linken, Janine Wissler, könnte ihrer Partei zu einem Wiedereinzug ins Parlament verhelfen. Der politische Gegner nimmt die 37-Jährige ernst

Aus Schotten und Wiesbaden Christoph Schmidt-Lunau

Im Hessischen Landtag erscheint die Fraktionschefin der Linken gern in modischem Outfit und in Pumps. Manchmal zeigt sich Janine Wissler aber auch in Wanderkluft: Bergschuhe, Anorak, Treckinghose. Sie trifft an diesem Sonntagmorgen als Erste auf dem Wanderparkplatz Niddaquelle ein.

Sie kam mit ihrem Privatauto, der dicke Dienstwagen steht in Wiesbaden in der Garage. „Am Wochenende hat mein Fahrer frei“, sagt sie. In Hessen wird demnächst ein neuer Landtag gewählt. Am 28. Oktober wollen die Linken erneut in den Landtag einziehen; mit Wissler, die auch Vizechefin der Linken im Bund ist, stehen die Chancen dafür nicht schlecht.

Der örtliche Kreisvorsitzende der Linken, Dietmar Schnell, hat zu einer Wandertour rund um den Hoherodskopf, dem höchsten Berg im mittelhessischen Vogelsberg, eingeladen. Ein Dutzend Genoss*innen sind da und viele Gäste. Wenn Wissler in Hessen unterwegs ist, hört sie genau zu. Seit zehn Jahren sitzt die 37-Jährige im Hessischen Landtag. Dass sie sich dort nicht nur den Respekt der eigenen Fraktion erarbeitet hat, sondern auch den der politischen Gegner, verdankt sie ihrem Fleiß. „Verlässlich und untussig“ sei sie, schrieb mal die FAZ.

Heute geht es um Natur- und Landschaftsschutz, den „Wasserraubbau“, den Umweltaktivisten seit Jahren den Versorgungsunternehmen vorwerfen. Die pumpen jedes Jahr Millionen Kubikmeter Frischwasser in die ferne Rhein-Main-Region. Erste Station ist das Naturschutzgroßprojekt Vogelsberg. Dessen Chef Ruben-Max Garchow und sein Team kämpfen darum, die letzten Hochmoore zu erhalten. Ziel: artenreiche Wälder und Wiesen zu erhalten, die Moore zu renaturieren, die durch Torfstich und Entwässerung fast verschwunden waren. „Die Hochmoore funktionieren als Niere des Wassers“, sagt Garchow. Es werde Jahrzehnte dauern, bis die Gräben wieder von Torfmoosen überwachsen seien, sagt er. Doch der erwünschte Prozess sei eingeleitet. Wissler fragt nach und wirkt beeindruckt.

Wasser ist das Thema auf dem Vogelsberg. Schon vor dreihundert Jahren habe es hier, auf der Wasserscheide von Rhein und Weser, Streit ums Wasser gegeben. Damals haben sich Bauern diesseits und jenseits der Grenze zweier Feudalherren gegenseitig die Brunnen abgegraben. Am „Landgrafenborn“ trägt Heiko Stock, Ex-Bürgermeister von Lautertal und Vizechef der Schutzgemeinschaft Vogelsberg, die Kritik an der gegenwärtigen Wasserwirtschaft vor: Statt Brauchwasser in einem zweiten Netz für die Toilettenspülung zur Verfügung zu stellen, schlössen die Wasserversorger sanierungsbedürftige Brunnen in Frankfurt. Es sei für sie billiger, über Fernleitungen Wasser aus dem Vogelsberg zu beziehen. Im Sommer 2018 seien sogar Brunnen im wasserreichen Vogelsberg trockengefallen. Ob wegen der Hitze oder wegen des „Wasserraubbaus“ sei strittig. Wissler, die in Frankfurt wohnt, macht sich die Argumentation der Schutzgemeinschaft zu eigen. „Dass die Frankfurter Grünen jetzt sogar dazu aufrufen, Straßenbäume mit wertvollem Trinkwasser zu gießen, ist Wahnsinn“, stichelt sie gegen die politische Konkurrenz. Es ist kein Zufall, wenn sie sich mit „grünen“ Themen zu profilieren versucht.

Dass die Linken in Hessen, anders als in anderen westlichen Bundesländern, bei der vierten Landtagswahl in Folge nicht mit einer Zitterpartie rechnen müssen – Umfragen sehen sie deutlich über 5 Prozent –, hat viel mit ihrer Frontfrau zu tun. Schlagfertig und kenntnisreich tritt Wissler im Landtag und bei ihren Informationsreisen auf. Bei der Vorstellung der Kampagne zu Landtagswahl zielt sie auf die Schwachstellen von SPD und Grünen. Die Linke sei die einzige Partei, die konsequent gegen den Ausbau des Frankfurter Flughafens und damit gegen den Fluglärm positioniert sei, sagt sie. Und zeigt ihr Plakat, das „Mehr Ruhe“ und ein Nachtflugverbot von 22 bis 6 Uhr verspricht.

Die Grünen hätten im vergangenen Landtagswahlkampf den Kampf gegen das dritte Terminal und für eine Ausweitung der Nachtruhe versprochen. „Unter dem grünen Verkehrsminister wird das dritte Terminal gebaut, und die Billigflieger halten nicht einmal das bestehende Nachtflugverbot ein“, sagt sie. Und hat die Fluglärmgegner auf ihrer Seite. „Mehr für die Mehrheit“ ist ihr Slogan.

Die Kluft zwischen Arm und Reich in Deutschland sei unter Rot-Grün gewachsen, stellt sie fest und fügt hinzu: „Die Große Koalition versucht jetzt die Probleme zu lösen, die sie selbst geschaffen hat.“ Es sind eingängige Sätze, mit denen sie für mehr bezahlbaren Wohnraum, für eine tolerante Einwanderungspolitik und gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr argumentiert, und sie kommt dabei an. Im ersten Wahlgang zur Oberbürgermeisterwahl in Frankfurt erreichte sie im März mit 8,8 Prozent ein überraschend gutes Ergebnis. Die Kandidatin der Grünen, die in Frankfurt bislang eine Garantie auf zweistellige Ergebnisse hatten, erhielt für sie enttäuschende 9,3 Prozent.

Zweimal gab es im Hessischen Landtag eine rechnerische Mehrheit für Rot-Rot-Grün (R2G), 2008 und 2013. Beide Male war es nicht gelungen, aus dieser rechnerischen Mehrheit eine politische Mehrheit zu machen. „Es lag nicht an uns“, sagt Wissler. „2008 haben sich vier Sozialdemokraten geweigert, ihre Kandidatin zur Ministerpräsidentin zu wählen, vor fünf Jahren wollten die Grünen nicht“, sagt sie. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Auch in ihrer Partei gab es viele Vorbehalte gegen eine Duldung oder Regierungsbeteiligung.

Das ist ihre Stärke: komplizierte Dinge auf eine einfache Formel bringen. Seit sie in ihren Reden konzentriert zur Sache spricht und alle Sätze aus dem Grundkurs der marxistischen Theorie weglässt, punktet sie. Illusionen sind ihre Sache nicht. Nach den aktuellen Umfragen gibt es nicht einmal eine rechnerische Mehrheit für R2G. „Nach fünf Jahren Schwarz-Grün ist ein solches Bündnis nicht wahrscheinlicher geworden“, sagt sie der taz.

Gleichzeitig zeigt sie keine Berührungsängste. Seit an Seit mit SPD-Landeschef Thorsten Schäfer-Gümbel und dem grünen Spitzenkandidaten und Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir ist sie im August in Wiesbaden bei einer Demonstration gegen die AfD auf die Straße gegangen. Mit „TSG“ habe sie ein gutes persönliches Verhältnis, versichert sie. In der Sache argumentiert sie gleichwohl hart. Und schlagfertig kann sie sein. Ein CDU-Abgeordneter, der für gelegentlich unflätige Zwischenrufe bekannt ist, stöhnte vernehmlich auf, als die Linke im Landtag ans Rednerpult trat. „Da kommt die Kalaschnikow“ höhnte der CDU-Mann. „Jetzt hören Sie mal gut zu, Sie Schrotflinte“, keilte die Linke zurück und freute sich: „Jetzt sind wir quitt!“ Heiterkeit notierte das Protokoll nicht nur in den Reihen von Linken und SPD.

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