FKK auf Korsika: Urlaub bei den Nackten

Längst ist es nicht mehr so trendy, schön und politisch nackt zu baden wie in den sechziger Jahren oder in der DDR. Dafür gibt es heute Nacktevents.

Frauen und Kinder nackt am Strand

FKK-Urlauberinnen mit ihren Kindern an einem Strand der frazösischen Mittelmeerküste 1969 Foto: Bertram

„Und sie waren beide nackt, der Mensch und seine Frau, und schämten sich nicht.“ So steht es in der Bibel im Buch Genesis. Und erst, als sie vom verbotenen Baum der Erkenntnis essen, „wurden ihnen beiden die Augen aufgetan und sie wurden gewahr, dass sie nackt waren, und flochten Feigenblätter zusammen und machten sich Schurze.“ Der Mensch entdeckt die Scham und wird vertrieben aus dem Paradies.

Die Luft ist warm und feucht am Küstenstreifen auf Korsika, beinahe fühlt sie sich tropisch an, und alle paar Meter verweisen am Straßenrand Schilder auf Camping-Anlagen. Es ist Tourismus an der Basis, weit weg von den grellen Betonburgen auf anderen Mittelmeerinseln, weit weg von überlaufenen Uferpromenaden.

Am Strand des FKK-Ressorts Riva Bella ist der Blick magisch: zur einen Seite das Mittelmeer, das hier aufbrausender anrollt als anderswo, zur anderen Seite die schneebedeckten Berggipfel im Landesinneren. Es ist ein Flecken Wildnis, der gleichzeitig sehr bürgerlich wirkt. Nackte Paare spazieren am Strand entlang, schreiben Tagebuch im Campingstuhl, es könnte Nordsee-Klientel sein.

Im Paradies sind sie fast alle über 60 Jahre. Alte, faltige, gleichmäßig sonnengebräunte Körper, die von einem Leben mit Freikörperkultur erzählen. Die nett grüßen, wenn sie einander begegnen, so beiläufig nackt, und den Blick nicht senken und den Körper nicht scannen. Sie haben nichts zu verbergen, rund und runzelig und schwabbelig. Im letzten Sommer hat Gregor Gysi das langsame Sterben der Freikörperkultur beklagt. Stirbt sie wirklich? Und wenn sie lebt, wieso und wofür? Eine Geschichte von Körpern, Mut und Reisen zur Freiheit.

In Deutschland gibt es eine Vielzahl von FKK-Stränden und FKK-Badezonen an Seen, in Parks und in Schwimmbädern. Eine Auflistung nach Bundesländern findet sich etwa unter www.nacktbaden.de

FKK im Urlaub ist auch möglich in Teilen Südamerikas, in den USA, in der Karibik oder in Australien. Infos und Angebote zu FKK-Hotels, Camping oder Kreuzfahrten finden sich bei www.oboena.de, nach eigenen Angaben Europas größter FKK-Urlaubsanbieter. Das Ressort Riva Bella findet sich unter www.naturisme-rivabella.com.

Events für Nackte gibt es viele. Nacktes Fallschirmspringen ist etwa auf dem Flugplatz Peenemünde auf Usedom möglich. Europas ersten FKK-Golfplatz gibt es im französischen Ort La Jenny an der Atlantikküste. Ein jährliches Nackt-Bungee-Jumping veranstaltet der WildPlay Element Park Nanaimo in Kanada. Das Londoner Nacktrestaurant heißt The Bunyadi (www.thebunyadi.com).

Der Text wurde möglich mit Unterstützung des FKK-Ressorts Riva Bella und der Organisation France4Naturisme

Marie-Claire Gaddoni hat in Riva Bella ihre Lebensaufgabe gefunden. Eine kleine, zierliche Korsin mit schmalen Händen und Temperament, ihre Familiengeschichte so vielseitig wie die Insel selbst. Der Vater war ein Pied Noir, ein Franzose im kolonialen Algerien, der 1958, während des Unabhängigkeitskriegs, zurück nach Frankreich floh, und Anfang der sechziger Jahre wie so viele Pieds Noirs in Korsika landete. Von Seiten der Einheimischen schlug den Migranten Zorn entgegen, aber viele blieben. Marie-Claire, geboren in Frankreich, aufgewachsen in Korsika, gearbeitet in Deutschland, ist unter Nackten groß geworden. Das Ressort, das ihre Eltern gründeten und sie übernahm, besteht seit den sechziger Jahren; FKK war hip.

„Die Menschen wollen frei im Kopf sein“, sagt Gaddoni. „Sie wollen die Nähe der Natur spüren, sie sind ziemlich bio.“ Eine politische Botschaft, nein, die hätte kaum jemand im Sinn. Ihre Gäste sind vielfach obere Mittelschicht, Lehrer, Ärzte, Anwälte. Und offen für Neues. „Am Anfang ist man bei FKK sehr schüchtern“, sagt Gaddoni. „Man muss sich herantasten.“

Die Mittagssonne brennt. Ein Gast, Deutscher ist er, erzählt, er habe sich am ersten Tag hinter einem Baum ausgezogen. „Das war so unbewusst und automatisiert. Dann ist mir klar geworden: Das muss ich hier ja gar nicht.“

Man kommt leicht ins Gespräch, als Nackte unter Nackten. Der Strand funktioniert wie eine eigene Welt, wo das Nackte allmählich verschwimmt und verschwindet. Es fühlt sich selbstverständlich an, natürlich und frei. Trotzdem ist die Freiheit ein zerbrechliches Gut. Der Anblick der anderen bleibt lange ungewohnt, und der eigene Blick geht dann reflexartig verschämt zur Seite oder sofort auf den Penis. Aber der Wandel im Kopf bleibt: Die Welt der Bekleideten wirkt bei der Rückkehr absurd und verklemmt, die eigene Kleidung klebt und zieht am Körper. Nacktheit hat immer auch etwas mit dem Kopf gemacht.

„Das Nacktsein ist so überladen, wie es eigentlich nicht sein kann“, schrieb die Autorin Kirsten Fuchs 2017 im Zeit-Magazin. Sie schilderte, wie entkleidete Senioren an einem Berliner Badesee von Jugendlichen verlacht, verhöhnt, mit Ekelrufen bedacht wurden. Ausgerechnet jetzt, zu einer Zeit, wo die Nacktheit durch Werbung und Internet zigtausendfach enttabuisiert ist, ist eigene Nacktheit out. Wo Nacktheit nur noch Sex bedeutet, ist das Nackte unanständig geworden.

Grabreden auf FKK

Und vielleicht auch die natürliche Sehnsucht jeder Generation, sich von dem abzugrenzen, was bei den Eltern cool war. Dabei täte es uns mutmaßlich gut, mehr FKK-Urlaub zu machen. Mehrere britische Studien in recht kleinem Umfang haben zumindest kürzlich festgestellt, dass regelmäßige FKK- Urlauber zufriedener mit ihrem eigenen Körper seien, selbstbewusster. Und glücklicher.

„Ich sehe keinen Rückgang von FKK“, sagt Herbert Steffan. Steffan ist Präsident beim DFK, dem Deutschen Verband für Freikörperkultur, und unglücklich über die Grabreden. „FKK machen noch viele junge Leute, nur eben nicht mehr im Verein.“ Tatsächlich ist nie für Gesamtdeutschland untersucht worden, wie in oder out Freikörperurlaub bei jüngeren Leuten ist. Fest steht nur, dass die Vereine schrumpfen.

Herbert Steffan, DFK-Präsident

„Im Osten hat man es nach der Wende versäumt, Vereine und Plätze zu organisieren. Die FKKler lassen sich verdrängen.“

Zu FKK-Hochzeiten hatten sie deutschlandweit 100.000 Mitglieder, jetzt sind es noch etwa 40.000. „Die Leute binden sich nicht mehr an Vereine“, so Steffan. „Im Osten hat man es nach der Wende versäumt, Vereine und Plätze zu organisieren. Die FKKler lassen sich verdrängen.“ Und auch die Übersexualisierung der Gesellschaft macht ihnen das Leben schwer: „FKK ist durch das Rotlichtmilieu ziemlich verbraucht.“

Und doch: Weiterhin kolportieren Medien Zahlen von bis zu acht Millionen Deutschen, die gelegentlich FKK machen. In Deutschland ist es übrigens, entgegen geläufiger Meinung, nicht verboten, nackt herumzulaufen, solange kein öffentliches Ärgernis erregt wird. „Die Gesellschaft ist freier geworden“, glaubt Herbert Steffan. Und weniger angewiesen auf den Verein.

Konglomerat der Weltanschauungen

Lange ist der Verein das Vehikel gewesen, um Nacktheit zurück unters Volk zu bringen. Davor war der unbekleidete Körper öffentlich in bestimmten Kontexten völlig akzeptiert. Auf altgriechischen Sportanlagen, in mittelalterlichen Badehäusern. Erst im Biedermeier wurde die öffentliche Nacktheit verbannt. Als sich 1898 Deutschlands erster FKK-Verein gründete, war früh von der Natürlichkeit der Nacktheit die Rede, von Selbstverständlichkeit und Naturnähe.

Trotzdem und gerade deshalb darf man Freikörperkultur als politisch verstehen, sie war ein Konglomerat der Ideale, von frühen Naturfreunden und Veganern über Linke, die gegen soziale Unterschiede protestieren wollten, bis hin zu rechten Germanen-Anhängern und Rassenphilosophen.

1920 entstand auf Sylt der erste offizielle Nacktbadestrand in Deutschland, und auch da war Nacktheit nie nur diese: Freunde fand sie vor allem unter alternativen Intellektuellen. In der BRD erlebte FKK nicht zufällig im Rahmen der 68er ihren großen Boom. Fast immer hatte sie eine revoltierende Doppelbödigkeit, sie stand für Freiheit; auch und gerade, wo es sonst kaum Räume dafür gab. Auch in der DDR.

„Ich habe in der DDR nackt gebadet“, erzählt Konrad Weller. „Viele von damals werden sagen: Das war bedeutungslos, das kam ganz natürlich. Aber das stimmt nicht. Nacktheit hatte immer eine Bedeutung. Man ist ungeschminkt, gleich, ohne Dresscode. Und es ging nebenbei darum zu zeigen, dass es in einem vielfältig reglementierten Staat in Sachen Nacktheit und Sexualität sehr liberal und unverklemmt zuging.“

Weller ist Sexualforscher und verantwortete Langzeitstudien zu sexualkultureller Entwicklung, unter anderem Freikörperkultur. Er bestätigt zumindest für den deutschen Osten, was Gysi beklagte: Immer weniger Jugendliche haben Erfahrung mit Nacktbaden. „Die familiäre Tradierung ist nicht mehr da. Der unbefangene Umgang mit Nacktheit, ohne sexuelle Reize, hat abgenommen. Was DDR-typisch war, die massenhafte, volkseigene Nacktheit, hat sich privatisiert. Und das Risikobewusstsein bei Nacktheit hat sich verstärkt, gerade, wo überall Handys mit Fotofunktion sind.“ Die alte Freikörperkultur stirbt. Aber in anderer Gestalt lebt sie auf.

Event, auch nackt

Im Jahr 2016 eröffnete in London das offiziell weltweit erste Nacktrestaurant; 46.000 Menschen standen auf der Warteliste. Im Mai 2018 bot das Museum Palais de Tokyo in Paris eine Nacktführung. 3.500 Menschen rissen sich um 161 Plätze, und es waren vor allem junge Menschen. In Deutschland arbeitet man am dritten Nacktwanderweg, weltweit boomen Naked Bike Rides, Nackt-Demos, nacktes Bungee-Jumping oder Fallschirmspringen.

Die Strände mögen von Alten bevölkert sein, aber junge Menschen sind durchaus nackt. Eventmäßiger, punktueller, vielleicht typisch für diese Generation. Konrad Weller resümiert: „FKK geht rapide zurück, aber es wird nicht völlig aussterben.“ Er erwartet ein Niveau der Vorkriegszeit, mit abgeschirmten Bereichen, und findet diesen Rückgang nicht ungewöhnlich. „Der FKK-Boom in der DDR war eine historische Sondersituation.“ Und in der multikulturellen Gesellschaft von heute ist das kaum reproduzierbar.

Am Strand von Riva Bella, an einem heißen Vormittag, sonnen sich die Naturisten weiter wie gehabt. Mögen Jüngere spotten, mögen die Vereine erodieren, all das ficht sie nicht an. Die Nachbarn im Strandbungalow weiter links sind Jeroen und An, ein niederländisches Paar, 70 und 68 Jahre alt, füllig, gemütlich, lustig. „Ich mache das seit 40 Jahren, weil ich Natur liebe“, erzählt Jeroen. „Und für das Freiheitsgefühl.“

Es war 1968, als er Nackturlauber zum ersten Mal sah, an einem Strand in der Nähe von Saint Tropez. Natürlich 1968. Er erinnert sich an die frühen Siebziger, als er selbst zum ersten Mal nackt Urlaub machte, in Frankreich, schüchtern zuerst, in Sorge vor einer Erektion, dann selbstverständlich. Mit seinen inzwischen erwachsenen Söhnen aber konnte er FKK nicht mehr machen; die schämten sich. Auch Ans Kinder machen kein FKK.

„Die Zeiten haben sich gründlich geändert“, sagt auch An nachdenklich. „In der Flower-Power-Zeit waren die Dinge anders. Heute muss alles nett und schön sein, und nicht nackt. Man hat Angst davor, seine eigene Unperfektheit zu zeigen. Es geht nur noch um schöne Kleider und Botox. Man kann alles an seinem Körper machen lassen, man will das Unperfekte nicht mehr wahrhaben.“ Sie schaut kopfschüttelnd auf die einzige jüngere Frau am Strand; sie trägt Bikini.

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