Anna Lehmann über Inklusion an den Schulen: Mehr Gnade als Recht
Das Kind lernt definitiv langsamer als Altersgenossen. Wo wird es eingeschult: In die allgemeine Grundschule oder in die Förderschule für Lernbehinderte? Tausende Eltern und Kinder stehen jedes Jahr vor dieser Frage. Und die aktuelle Studie der Bertelsmann Stiftung zur Inklusion zeigt, dass sie immer noch keine echte Wahl haben.
Rund eine halbe Million Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf gibt es in Deutschland, die Mehrheit wird in Sonderschulen, das heißt exklusiv beschult. Seitdem Deutschland 2009 die UN-Behindertenrechtskonvention ratifiziert hat, hat sich der Anteil der in Sonderschulen unterrichteten Kinder an allen Schülern um gerade 0,6 Prozentpunkte verringert.
Nun sagen Zahlen noch nichts über die Qualität der Beschulung aus. Wohl aber über den politischen Willen. In drei Bundesländern – Bayern, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz – wird ein höherer Anteil als noch vor zehn Jahren gesondert beschult. Nordrhein-Westfalen ist auf dem Weg dahin. So hat die schwarz-gelbe Landesregierung den Erhalt der Sonderschulen und eine Reduzierung der inklusiven Schulen beschlossen.
Es gibt viele Hindernisse auf dem Weg zur inklusiven Bildung. Das größte ist der fehlende Wille, das teure Doppelsystem von Förderschulen einerseits und inklusiven Schulen andererseits zu beenden. Stattdessen dreht sich die Debatte rückwärts: Man diskutiert aktuell, ob Inklusion überhaupt möglich ist – statt über das Wie. Dabei ist die UN-Behindertenrechtskonvention sehr klar: Menschen mit Behinderungen dürfen nicht vom Besuch der allgemeinen Schule ausgeschlossen werden. Mal abgesehen davon, dass über 70 Prozent der Sonderschüler keinen regulären Schulabschluss machen: Teilhabe ist ein Menschenrecht, kein landespolitischer Gnadenakt.
Es gibt also nur einen Weg: Sonderpädagogen und Ressourcen müssen von den Sonderschulen an die Regelschulen verlagert werden. Das Sonderschulsystem muss weg.
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