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Kommentar Seenotrettung im MittelmeerImmer dasselbe unwürdige Schauspiel

Christian Jakob
Kommentar von Christian Jakob

Erneut musste die „Aquarius“ tagelang warten, bis sie einen Hafen ansteuern durfte. Die EU muss endlich eine Lösung für die Seenotrettung finden.

Erschöpfter Flüchtling auf der Aquarius Foto: reuters

E s ist jetzt mindestens das sechste Mal in Folge, dass ein Rettungsschiff im Mittelmeer erst nach tagelangen Verhandlungen in einen Hafen einlaufen darf. Erst nachdem fünf EU-Staaten vorab garantiert hatten, Malta die 141 Flüchtlinge der „Aquarius“ abzunehmen, wurde dem Schiff am Dienstag in Aussicht gestellt, in den Hafen von Valletta einlaufen zu dürfen – nach Tagen des Wartens.

In den vorigen Fällen, etwa bei der Asso Ventotto, hatten die Geretteten Wochen auf dem Schiff ausharren müssen, unter unzumutbaren Umständen. Joseph Muscat, Regierungschef von Malta, lobte die „Aquarius“-Einigung am Dienstag als „konkretes Beispiel für europäische Führung und Solidarität“. Sein spanischer Amtskollege Pedro Sánchez sprach von einem „bahnbrechenden Abkommen“.

Das Gegenteil ist der Fall: Es ist eine Absurdität sondergleichen. Die Hängepartien belegen, dass es „europäische Führung und Solidarität“ eben gerade nicht gibt. Denn sonst gäbe es längst ein standardisiertes Verfahren, wie mit den Flüchtlingen umzugehen ist.

Stattdessen musste sich die EU-Kommission einschalten. Und wie schon bei der letzten „Aquarius“-Fahrt und jener des Rettungsschiffs „Lifeline“ im Juni konferieren Regierungschefs oder Minister einiger der größten Staaten Europas und schachern darüber, wer jetzt noch die letzten fünf Flüchtlinge von den Booten nimmt. Es ist ein unwürdiges Schauspiel.

Die Leidtragende sind die Flüchtlinge auf den Booten

Sie entscheiden auf Einzelfallbasis, immer wieder aufs Neue. Das ist das Gegenteil dessen, was auf europäischer Ebene seit Jahren nicht gelingt: Einen Verteilmodus für die Flüchtlinge zu finden. So kann es nicht weitergehen.

Bis die extrem rechte Lega-Regierung im Juni in Rom an die Macht kam, konnte die EU das Problem umgehen, weil die Flüchtlinge letztlich doch jedes Mal in Italien landeten. Die berechtigten Klagen und auch die Drohungen der alten italienischen Regierung wurden ignoriert. Auch deshalb gewann die Lega um den neuen Innenminister Matteo Salvini die Wahlen. Jetzt sind die Häfen dort dicht und es gibt kein Konzept, was nun geschehen soll.

Stattdessen wird versucht, die Seeretter in Malta an die Kette zu legen. Wenn das nicht gelingt und der politische Druck nach einer Rettungsaktion zu groß wird, werden mit großer Geste Verhandlungen geführt. Und am Ende wird getan, als sei nun eine humanitäre Großtat geglückt. Den Geretteten einen sicheren Hafen zur Verfügung zu stellen, ist kein Gnadenakt, der jedes Mal neu herbei verhandelt werden müsste, sondern eine Selbstverständlichkeit.

Die EU muss ein Konzept vorlegen

Ausbaden müssen dieses aufwändige Prozedere die Flüchtlinge: Zum einen kommt die Verhandlungsmaschinerie grundsätzlich erst dann in Gang, wenn nach mehreren Tagen auf den überfüllten Schiffen ein gewisser Leidensdruck aufgebaut ist. Die Verhandlungen ziehen sich tagelang hin, die Geflüchteten können sich nie darauf verlassen, tatsächlich aufgenommen zu werden. Die noch aktiven Seerettungs-NGOs sind jedes Mal auf Tage blockiert, ihre UnterstützerInnen immer wieder gezwungen, maximalen öffentlichen Druck aufzubauen, damit die Politik sich bewegt. Es ist absehbar, dass dies auf Dauer nicht funktioniert.

Die EU wird nicht daran vorbei kommen, sich auf ein Verfahren zu einigen, dass die Realitäten anerkennt: Italien und Osteuropa fallen für die Flüchtlingsaufnahme zunächst aus. Die übrigen Staaten müssen dennoch einen Weg finden, um den Zugang für Gerettete nach Europa offen zu halten und die Lasten aufzuteilen. Sie können dabei auf die enorme Hilfsbereitschaft vieler Städte und Regionen zählen, die sich in den letzten Tagen und Wochen als Zufluchtsorte angeboten haben.

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Christian Jakob
Reportage & Recherche
Seit 2006 bei der taz, zuerst bei der taz Nord in Bremen, seit 2014 im Ressort Reportage und Recherche. Im Ch. Links Verlag erschien von ihm im September 2023 "Endzeit. Die neue Angst vor dem Untergang und der Kampf um unsere Zukunft". 2022 und 2019 gab er den Atlas der Migration der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit heraus. Zuvor schrieb er "Die Bleibenden", eine Geschichte der Flüchtlingsbewegung, "Diktatoren als Türsteher" (mit Simone Schlindwein) und "Angriff auf Europa" (mit M. Gürgen, P. Hecht. S. am Orde und N. Horaczek); alle erschienen im Ch. Links Verlag. Seit 2018 ist er Autor des Atlas der Zivilgesellschaft von Brot für die Welt. 2020/'21 war er als Stipendiat am Max Planck Institut für Völkerrecht in Heidelberg. Auf Bluesky: chrjkb.bsky.social
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13 Kommentare

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  • In den 10 Tagen, in denen die Lifeline im Mittelmeer unterwegs war sind 260 Menschen auf der zentralen Mittelmeerroute ertrunken.



    Seit Sea-Watch, Seefuchs, und Lifeline festgesetzt sind (seit 6 Wochen) gab es nur noch 43 Tote, in den letzten 2 Wochen 0 (auf der zentralen Route von Libyen nach Italen).

  • Danke Herr Jakob! Ein klarer Kommentar .. eine klare Analyse der Problematik der Lebensrettung durch NGO Schiffe im Mittelmeer!



    Es darf wohl vermutet werden, das die aus Seenot geretteten Menschen, Kinder, Frauen, junge und alte, Männer... der genannten sechs Einlaufverbote in Häfen..(u.a. AQUARIUS, LIFELINE etc) ohne Rettung durch die NGO Schiffe bitterlich ertrunken wären!



    Und es darf m.E. als Faktum gedeutet sein, das ohne die NGO Lebensretter im Mittelmeer kaum Wissen über die "Humane Katastrophe", die sich im Mittelmeer abspielt, publik wird!



    Jedoch? Wie viele hoffnungsvolle Flüchtlinge, die irgendwie auf Rettung hofften, die von Frachtschiffen `übersehen´wurden, die von NGO Schiffen und Küstenwachen Italiens und Maltas nicht gefunden wurden.. sind jämmerlich ertrunken?



    Die als Lebensretter im Mittelmeer aktiven NGO´s sind m.E. auch sichtbar .. als `verzeifelte Retter´ des arg bedrängten "Humanismus der EU" .. es bleibt zu Hoffen, das die humane Moral der "SEEBRÜCKE" und der NGO´s mehr Einfluss auf die EU Politik gewinnen!

  • Die Bürger haben doch längst reagiert. Durch das Land ziehen sich die Demonstrationen der Seebrücke. Ob nun Attac (www.attac-paderborn.de/seebruecke/), die Grünen (gruene-dortmund.de...eer-beenden!.html), Pro Asyl (www.proasyl.de/new...-des-rechtsrucks/) oder regionale Aktionen wie Stay! (www.stay-duesseldorf.de/) setzen sich für ein Ende des Sterbens ein. Abrissbirne Seehofer hat den Dialog vergiftet. Machtpolitik scheint wichtiger als Menschlichkeit. Es ist gut, wenn Malta ein Einsehen hat. Trotzdem muss es eine Neuregelung für die Verteilung der Flüchtlinge geben. Es kann nicht sein, dass die Länder mit EU-Außengrenzen die gekniffenen sind. Dem Nationalismus darf kein Raum gegeben werden.

    Diese Bilder sprechen eine klare Sprache (www.flickr.com/pho...heung/41451480580).

    • 9G
      99960 (Profil gelöscht)
      @mdarge:

      In Seehofer kommt doch nur zum Ausdruck, was sowieso sehr viele denken. Er hat den Dialog, der übrigens in meinen Augen sowieso nie einer war, gewiss nicht in erster Instanz vergiftet.

    • @mdarge:

      Sie dürfen es aber auch nicht den Rohstoff- und DAX-Konzernen leichter machen, damit sie ohne Widerstandshandlungen an die von ihnen erwünschten Rohstoffe und Bodenschätze kommen. Wer flüchtet der kann sich nicht am Widerstand beteiligen. Insofern sind auch 'Rettungsschiffe im Mittelmeer' und Gutmenschen, doch nur Hilfswillige, ebenso wie die Kanzlerin der Konzerne, bei der Plünderung der Armutsregionen der Welt.

      Also, Flucht ist keine Lösung! Die NATO und Bundeswehr haben nicht die Absicht Mädchenschulen aufzubauen und für die Gleichstellung der Frau zu kämpfen. Daran müssen sich schon selbst auch die heutigen Flüchtlinge und Migranten beteiligen!

      Die Aufnahme der Flüchtlinge in Deutschland diente zudem auch der Erleichterung für den Zugriff auf die Rohstoffländer und Regionen, in Asien und Afrika. Das war kein Werk der selbstlosen christlichen Nächstenliebe. Das diente vor allem der Erleichterung -ohne Widerstand- und den Raub der Reichtümer in den sog. Entwicklungsländern.

      Dafür lohnt es sich auch für Deutschland und die EU, mehrere Millionen Menschen, vor allem kampffähige junge Männer (80 %), aus den sog. Schwellen- und Entwicklungsländern aufzunehmen. Deren Aufnahme setzt die Armutslöhne noch weiter unter Druck und sichert den Profit und die Dividenden!

      • @Reinhold Schramm:

        Die Behauptung:"Wer flüchtet, der kann sich nicht am Widerstand beteiligen." steht frei im Raum. Denn wer nicht flüchtet, kann noch weniger tun. Denn die meisten Flüchtlinge sind Syrer und Iraker. Dort gibt es keine Ausbeutung, Regimegegner werden einfach umgebracht. Die nächste Gruppe sind Afghanen. Die waren vorher Helfer oder Übersetzer für die Bundeswehr. Die nächste Gruppe kommt aus dem Iran, aus der Türkei. Die Türkei ist ein NATO-Staat, daher werden Kritiker nicht gelyncht sondern eingesperrt. Erst dann kommen Nigeria und Somalia. Doch auch dort sieht der Konflikt so aus, dass Menschen entführt werden. Die letzte Gruppe sind Eritrea und Ungeklärt. Dort geht es um willkürliche Tötungen und Verhaftungen.

        Tatsächlich lässt sich mehr Druck auf diese Staaten ausüben, wenn es einen sicheren Asylort gibt.

    • 9G
      90191 (Profil gelöscht)
      @mdarge:

      Erst mal muß aussortiert und heimgeschickt werden, wer nicht Asyls bedarf. Dann kann verteilt werden.

  • 9G
    90191 (Profil gelöscht)

    Lieber Herr Jakob, die internationalen Pegelungen sehen vor, dass gerettete Schiffbrüchige in den nächsten sicheren Hafen zu verbringen sind. Vermutlich ist der ganze Hickhack wieder einmal dadurch entstanden, das sich ein Rettungsschiff nicht an diese Regelung gehalten hat.

    • 8G
      82236 (Profil gelöscht)
      @90191 (Profil gelöscht):

      Ganz bestimmt nicht, denn die libysche Seenotsrettungsstelle konnte der Aquarius keinen sicheren Hafen zuweisen, weil es in Libyen keinen sicheren Hafen gibt. Da bleiben dann nur noch Malta und Italien übrig. Aber sagen Sie doch bitte gleich, dass Sie keine afrikanischen Flüchtlinge in Europa haben wollen, das ist ehrlicher und mutiger.

      • @82236 (Profil gelöscht):

        Ich jedenfalls möchte keine afrikanischen "Flüchtlinge", die "nur" vor Armut flüchten. a) weil es deren eigenes Leben in Gefahr bringt und hunderte im Mittelmeer ertrinken (ergo: NGO-Rettungsschiffe an die Kette legen; dann begibt sich auch niemand mehr in Nussschalen in Seenot/Gefahr) und b) weil es uns in Deutschland nullkommanull bringt und das Land nur spaltet (links-grüne "Wir retten die Welt"-Utopien erinnern doch zunehmend an kaiserliche "Am deutschen Wesen soll die Welt genesen"-Allmachtsphantasien.

      • 9G
        90191 (Profil gelöscht)
        @82236 (Profil gelöscht):

        Wer die Asylkriterien erfüllt, ist mir willkommen.

        Wer sie nicht erfüllt, sie vorzutäuschen versucht, auf die laxe Handhabung des Asylrechts in Europa baut oder seinen Aufenthalt mißbraucht, um Gewalt und Kriminalität zu praktizieren, ist mir nicht willkomen. Dabei unterscheide ich nicht nach Herkunft oder Hautfarbe.

        Jedem Migrationswilligen stehen überdies die offiziellen Einreisemöglichkeiten zur Verfügung. Ich frage mich, warum von diesen so wenig Gebrauch gemacht wird.

      • 9G
        90191 (Profil gelöscht)
        @82236 (Profil gelöscht):

        In Libyen legen täglich Fracht- und Personenschiffe an und ab. Ein Anbieter von regelmäßigen Mittelmeerkreuzfahrten schreibt aktuell:

        "Tripolis, die Hauptstadt Libyens, ist ebenfalls eine sehr beliebte Destination im Bereich der östlichen Mittelmeerkreuzfahrt. Sie ist Mittelpunkt des Handels und der Fabrikation Libyens. Die Altstadt lädt mit ihren orientalisch angehauchten und verwinkelten Gassen zum Flanieren ein und vermittelt interessante Einblicke in die Geschichte der Stadt."

        Liest sich nicht gerade wie ein unsicherer Hafen.