piwik no script img

Wie der Fischer zum Rebellen wurde

Nachruf auf Heinz Oestmann, einen Kämpfer gegen Verdrängung und GAL-Politiker der ersten Stunde

Von Gernot Knödler Hamburg

Einmal ist er sogar ausgewandert, weil es ihm so gestunken hat. Im Sommer 1982 tuckerte der Fischer Heinz Oestmann aus Hamburg-Altenwerder mit seinem Kutter nach Irland, um in der Bucht von Cork endlich wieder Fische ohne Furunkel zu fangen. Das Projekt scheiterte schon nach wenigen Monaten an Geldmangel. Stattdessen ließ er sich für die damalige Grün-Alternative Liste (GAL) in die Hamburgische Bürgerschaft wählen.

Der Kampf um eine lebendige Elbe und um sein Heimatdorf Altenwerder waren die Lebensthemen des politischen Menschen Heinz Oestmann, der jetzt mit 68 Jahren in einem Hamburger Krankenhaus gestorben ist. Altenwerder gibt es nicht mehr. Dort steht heute der angeblich modernste Containerterminal Europas, in dem die Boxen wie von Geisterhand über die Kais gefahren werden. 25 Jahre lang dauerte der Kampf gegen die Umsiedlung von mehr als 2.000 Menschen. Oestmann wich mit Frau und vier Kindern als Vorletzter.

Dass er zum Rebellen wurde, war ihm nicht in die Wiege gelegt worden. Als Spross einer Fischerfamilie, deren Tradition in das 18. Jahrhundert zurückreicht, war er vor allem Praktiker und rechnete sich durchaus zu den Konservativen. „Ich wollte ja auch nur das Gute des Alten bewahren“, sagte er über sich selbst.

Das Gute, wie er es sah, verteidigte er durchaus handfest, etwa indem er die Emissäre des Senats mit ihren Kaufangeboten mit der Mistgabel vom Hof jagte oder auch mal handgreiflich wurde – auch gegenüber der Polizei. Werkzeug dafür war nicht nur sein massiger Körper, sondern auch sein Kutter, mit dem er gegen heute kaum mehr vorstellbare Zustände demonstrierte.

Um 1980 verklappte die Firma Dow Chemical in Stade zwei Tonnen chlorierte Kohlenwasserstoffe in der Elbe – pro Tag. Der Hamburger Senat ließ mit Schwermetallen und Medikamenten belasteten Klärschlamm bei Helgoland ins Meer schütten. Regelmäßig fuhren Tanker mit Dünnsäure auf die Nordsee, das giftige Zeug auf Kosten der Allgemeinheit zu entsorgen. Einen dieser Tanker der Firma Kronos Titan hat er in einer spektakulären Aktion in Nordenham mit seinem Kutter am Auslaufen gehindert.

Oestmann protestierte gegen die immer weiter gehende Vertiefung der Elbe und gegen die Atomkraftwerke am Fluss, deren Kühlung die Fische ansaugte und das Wasser erwärmte, was den Strom immer wieder zum Kippen brachte. Die Umweltverschmutzung bedrohte ihn konkret in seiner Existenz, so etwa als im Frühjahr 1981 plötzlich der Verkauf der Elbfische verboten wurde. Das schleswig-holsteinische Landwirtschaftsministerium hatte bei Aalen einen Quecksilbergehalt weit jenseits des lebensmittelrechtlich Zulässigen entdeckt.

Den Versuch, als GAL-Bürgerschaftsabgeordneter etwas zu erreichen, gab er bald wieder auf. „Von der Gesundheit und vom Kopf her“ habe er das nicht mehr durchgestanden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen