„Ain’t no city like New Orleans!“

So besang Earl King seine Geburtsstadt. Die feiert dieses Jahr ihren 300. Geburtstag. Das Trauma des zerstörerischen Hurrikans „Katrina“ 2005, ausufernde Touristen­massen. New Orleans hat seinen Sound und Charakter trotz alledem nicht verloren.

In der Preservation Hall, 726 St. Peter Street, wartet Abend für Abend eine lange Menschenschlange auf Einlass Fotos: Alessandro Cosmelli/contrasto/laif

Von Edith Kresta

Wir treffen uns am Musikerdenkmal am Eingang des Louis-Arm­strong-Parks. Der Park liegt am Rande des French Quarter, des historischen Zentrums der Stadt. Hier am sogenannten Congo Place trafen sich die schwarzen Sklaven zu spanischen und französischen Kolonialzeiten, um an sonntäglichen Ruhe­tagen Musik zu spielen und zu tanzen. John McCusker mit weißem Strohhut erwartet uns bereits. Er führt historische Jazztouren durch New Orleans und fährt mit uns zur Liberty Ecke Perdido Street. Im klimatisierten Wagen läuft selbstverständlich Jazz: Louis Armstrong mit der Mississippi River Band.

Das Viertel Liberty Ecke Perdido Street besteht heute fast ausschließlich aus neuen Hochhäusern. „Hier in einer Hütte wohnte damals Louis Am­strong, der in New Orleans geboren ist“, erzählt McCusker. „Seine Mutter arbeitete teilweise als Prostituierte. Mit sechs Jahren ging Louis auf die Fisk School for Boys, die einzige Bildungsinstitution, die er je besuchte. Dort lernte er schreiben und lesen und kam wohl erstmals mit Musik näher in Kontakt, die ein wesentlicher Bestandteil der Schule war.“ Mit der Privatisierung der Schulen heute sei neben der zunehmenden Trennung von Arm und Reich, Schwarz und Weiß leider auch der Musikunterricht in der Musikstadt New Orleans zum Luxus geworden.

Zwischen den neuen Gebäuden steht die ehemalige Karnofsky-Schneiderei, gleich daneben das Iroquois Theatre, 427 South Rampart Street. „Bei der jüdischen Familie Karnofsky arbeitet der junge Louis Armstrong. Im Funky Butt, einer schmuddeligen Dancehall, die nahe bei Louis’ Wohnung lag, hörte er erstmals die Musik, die später als Jazz bekannt wurde. „Die spasm bands, die durch die Straßen von New Orleans zogen und ihre Späße trieben, beeinflussten Armstrong, dessen spätere Bühnenshows von deren Possen geprägt waren“, sagt McCusker.

Im Stadtteil Treme steht das Haus von Buddy Bolden. Charles „Buddy“ Bolden (1877–1931) war der erste Jazzmusiker New Orleans’ und er war der erste schwarze Trompeter, der die Chance bekam, Schall­platten aufzunehmen. „Er lehnte ab, aus Angst, jeder könnte sein Musik nachspielen“, sagt ­Mc­Cusker. „Den Ruhm, die erste Jazzschallplatte gemacht zu ­haben, heimste die Original Dixieland Jazz Band ein – eine weiße Gruppe aus New Orleans.“

Das weiß gestrichene Holzhaus steht leer, die Fenster sind vernagelt. McCusker kämpft für den Erhalt der historischen Orte in seiner Stadt, der Wiege des Jazz. Er war Fotojournalist bei Lokalzeitungen. Er kennt die Fakten und die Musikgeschichte New Orleans. Er hat mehrere Bücher darüber verfasst. Für die Serie „Treme“, die den Alltag in New Orleans nach „Katrina“ beschreibt, war er stadtkundiger Berater.

McCusker ist ein großer Fan der Serie: „Genau so war es. Meine Familie und ich wir finden uns darin wieder. Wir haben gelacht und geweint.“.Mit Wendell Pierce, der den Musiker Jean Baptist in der Serie darstellt, ist McCusker zur Schule gegangen. Unser kompetenter Musikführer liebt Jazz und seine Stadt, für die er sich einsetzt. Zum Beispiel im Preservation Resource Center (PRC) für den Erhalt, die Wiederherstellung und Wiederbelebung der historischen Architektur und Stadtviertel.

Mehr als 1.800 Tote forderte der Hurrikan „Katrina“ vor 13 Jahren. New Orleans liegt zum großen Teil unter dem Meeresspiegel, eingequetscht zwischen Mississippi und Lake Pont­chartrain. „Als die Dämme brachen, wurden vier Fünftel der Stadt überflutet. Die Regierung unter Präsident Bush hätte die Stadt damals am liebsten absaufen lassen“, sagt McCusker.

Inzwischen sind neue Wohnviertel entstanden. 15 Milliarden Dollar sind in den Hochwasserschutz investiert worden, 70 Milliarden Dollar in die Infrastruktur. Vor Katrina hatte New Orleans 455.000 Einwohner, heute sind es wieder 380.000. Viele Menschen sind hierher gezogen. „Viele der alten Bewohner, vor allem Schwarze, die damals entwurzelt wurden, sind nicht wieder zurückgekommen“, sagt McCusker. Eine neue Mittelschicht habe in alten Backsteinlagerhäusern Galerien, Ateliers, Designstudios und Spezialitätengeschäfte eröffnet und eine neue Dynamik ausgelöst.

Jazztour

Die Tour „Cradle of Jazz“ ist buchbar bei: John McCusker, ory1886@yahoo.com

Allgemeine Infos

www.neworleans.com. Hier können auch spezielle Touren gebucht werden.

Die Reise wurde unterstützt vom New Orleans Convention and Visitors Bureau.

„Wir vom PRC sind der Meinung, dass der Erhalt der Architektur die Seele der Stadt rettet. New Orleans wäre nicht die Stadt, die wir heute lieben, ohne die Erfolge der PRC. Es ist sehr schwierig, diesen Kampf, einen Kampf gegen Bürokratie und finanzstarke Investoren, nicht zu verlieren“, sagt McCusker. Besonders nach „Katrina“ sei es wichtig gewesen, die Stadt mit Vorsicht aufzubauen. „Sonst riskieren wir, ihren Charakter zu zerstören.“

Noch swingt die Hafenstadt, wo der Mississippi breit und braun dahinfließt. Dieses Jahr feiert sie ohne Ende ihr 300-jähriges Jubiläum. Der Festkalender ist lang. Ihre Musik, der Jazz, hat sich durch unterschiedlichste kulturelle Einflüsse entwickelt. New Orleans war spanische und französische Kolonie, katholisch, Tor zur Karibik, Sklavenhaltergesellschaft. Vor allem die afroamerikanischen Rhythmen haben die Musik geprägt, sie mischten sich mit Marschmusik, europäischen Melodien, irischen und schottischen Volksliedern, italienischen Opern. Jedes Jahr zum Karneval, dem Mardi Gras, triumphiert diese Mischung aus schwarzer Musik, Voodoo und katholischem Ausnahmezustand.

„Wenn ihr Musik hören wollt, geht in die Frenchman Street. Die Bourbon Street ist versaut von dicken, weißen, konsumsüchtigen Amerikanern.“ McCusker, selbst aus der weißen Mittelschicht mit spanischen Vorfahren, macht keinen Hehl aus seiner „tiefen Abneigung gegen Trump und dessen angepasstes, dumpfes, weißes Amerika.“

Das touristische Herz von New Orleans schlägt im French Quarter. Exakt in der Bourbon Street. Overtourism ist hier längst Realität. Die dicken, weißen, konsumierenden Amerikaner, vor denen McCusker uns warnte, sind aufgekratzt, beschwipst, kontaktfreudig. Fast jeder hat etwas zu trinken, oft Hochprozentiges in der Hand. New Orleans ist die einzige Stadt in den USA, in der Alkohol öffentlich konsumiert werden darf. Vor einer Brass-Band an der Ecke Bourbon und Saint Louis Street tanzt ein Paar, andere wiegen sich im Rhythmus. Überall spielt Musik. Hier die Bras Band, dort das fiedelnde Paar im Hippie-Look, ein einsamer Trommler, Folksänger, eine schwarze Klarinettenspielerin. Das reinste Musik-Babel.

Selbst die Obdachlosen haben neben ihren Hunden zerkratzte Musikinstrumente liegen. Viele Besucher tragen Bauch und kurze Hosen, die schwarze Schöne im kurzen knallgelben Glockenrock und den hochhackigen silbernen Pumps wirkt darunter wie eine Prinzessin. Überhaupt, warum tragen schwarze Männer selten Shorts?

Snackbars, Restaurants, Striptease-Bars, Erotik-Shops, Schwulenclubs, Bierkaschemmen, Jazzlokale. Schaufenster, wo noch jetzt der Plastik-Weihnachtsmann neben dem Plastik-Alligator steht. Einladungen zum „Eat Oysters“, „Great Cajun Cuisine“, „love longer“. Kommerzialisiert, vulgär, schrill.

Trotz Nepp, Kommerz und Massentourismus kann man auch in der Bourbon Street guten Jazz hören, beispielsweise im Fat Catz. Auf jeden Fall aber in der nahe gelegenen Preservation Hall, 726 St. Peter Street. Hier wartet Abend für Abend eine Menschenschlange auf Einlass. Das Gebäude dient seit 1961 als Bühne für klassischen Jazz. Die Musiker spielen auf einer flachen Bretterbühne in schummrigem Licht. Es gibt eine Stammbesetzung von Jazzmusikern, die Preservation Hall Jazz Band. Auch andere bekannte Jazzmusiker treten hier auf.

„Die Bourbon Street ist versaut von dicken, weißen, konsumierenden Amerikanern“

John McCusker, Fotojournalist

New Orleans swingt. Trotz alledem. Es ist anders als andere amerikanische Städte. Es hat eine Altstadt im europäischen Stil geprägt von Spaniern und Franzosen. Dieses Viertel, das French Quarter, blieb von „Katrina“ weitgehend verschont. Schmiedeeisernen Balkone, filigrane Eisenstreben, Säulen mit dorischen Kapitellen, bodentiefen Sprossenfenstern, hölzerne Fassadenfronten, blumenverzierte Balkone. Das Viertel sieht aus wie intakte Zentren europäischer Altstädte mit kleinen Geschäften, Boutiquen und Restaurants. Hier findet man Karnevalszubehör, die knalligen, langen Ketten, aber auch handgemachte Masken in der Mask Gallery, 841 Royal Street.

Es gibt das Voodoo House, der Fachhandel für Schamanen. Sein Bestseller, die Voodoo-Puppe mit Trump-Porträt, ist leider ausverkauft. Die ­zweihundert Jahre alte Apotheke in der Royal Street ist heute ein Museum. Im Napoleon-Haus, einem Restaurant, gibt es die entsprechenden Devotionalien. Die berühmte „Carousel Bar“ im Monteleone-Hotel – an­geblich dem ältesten in Amerika – dreht sich ächzend um die ­eigene Achse und ist der Treffpunkt zur Happy Hour.

Drei Straßen weiter, auf dem Jackson Square vor der Kathedrale Sankt Louis, spielt eine Band Soul. Ihr quirliger Animateur holt Frauen aus dem Publikum, wirbelt die nicht immer leichte Beute über den Platz. Etwas weiter steppt ein kleiner Junge. Ein anderer sammelt die Münzen ein.

Zwischenstopp im 1862 eröffneten Café du Monde beim French Market. Hier isst man in Fett gebackene Küchlein, Beignets, und trinkt Café au Lait dazu. Das Café hat 24 Stunden geöffnet. Flinke Kellner, multiethnisch, halten den Betrieb am Laufen. Ein touristischer Hotspot.

Gut gewählt von den Musikern Gov Nicholls, Darry Adams und Robert Harris, die davor auf dem Trottoir spielen. Gov, der Posaunist, erinnert an Fats Domino, den Star des Rhythm & Blues, der in New Orleans seine Karriere begann. Mit Hits wie „My only sunshine“ und „Hello Dolly“ ist den drei Musikern die Aufmerksamkeit, Zuwendung und Symphatie der vielen Passanten gewiss. Die drei spielen seit dreißig Jahren in ihrer Tornado-Brass-Band zusammen. Gov lädt uns für den Abend ins Palm Court ein. Dort gibt es traditionellen Live-Jazz bei traditioneller Küche. Es ist meistens bis auf den letzten Platz ausgebucht durch organisierte Busreisen.

Hip Hop in New Orleans, auch Bounce genannt Foto: Jen Osborne/redux/laif

Gleich daneben am French Market in der North Peters Street finden wir im Dutch Alley ungewöhnliches, schönes Kunsthandwerk, hergestellt von Künstlern aus New Orleans. Schmuck, Hüte, Malerei. Mittlerweile arbeiten 25 Künstler in dieser Kooperative mit. Sabine Chadborn kommt aus Deutschland, lebt schon seit 20 Jahren in New Orleans. Sie macht originellen Silberschmuck.

Tracy Thomson kommt aus New York und macht auffallend schöne, praktische Sonnenhüte. Beide haben heute Dienst. Die Künstler der Kooperative wechseln sich im Verkauf ab. „Was gefällt Ihnen an New Orleans? Warum leben Sie hier?“ „The big easy“, antworten beide lachend. Mehr fällt ihnen gerade nicht ein oder sie haben keine Lust auf weitere Fragen. Ach doch, ein Tipp noch: „Wenn ihr Musik hören wollt, geht unbedingt in die Frenchmen Street.“

In den zahlreichen Bars der Frenchmen Street – etwas außerhalb des historischen Zentrums – wird täglich ab 17 Uhr Musik gemacht. Jedes Etablissement besitzt eine Bühne. Auch wenn sie noch so klein ist: ­Kontrabass, Gitarre und Drums finden Platz. Checkpoint Charlie, Music Club, Bamubulu, Maison 30/90, BMC – irgendwo findet man die Band, die einem gerade gefällt. Lockere Kneipen­atmosphäre, Alte und Junge, Singles und Paare, Männer und Frauen, Schwarze und Weiße kommen hierher, um innovative Musik oder ­interessante Remakes zu hören. Auf der Straße spielt eine Brass-Band, umringt von begeisterten Zuhörern, „Let it roll“.

Beim Gumbo, dem lokalen Eintopf im Spottet Cat, setzen sich Nancy und Jane zu uns. Sie kommen aus Lafayette, der Studentenstadt nicht weit von New Orleans. „Wir kommen regelmäßig hierher“, erzählen sie und fragen uns freundlich aus. Wir fragen zurück. Nancy schwärmt von New Orleans, der Musik ihrer Vorfahren. Seit dem 17. Jahrhundert kann sie ihre familiären Wurzeln hier zurückverfolgen. Und sie hat wie viele hier einen Gentest machen lassen: „10 Prozent Native American, 70 Prozent irisch, 10 Prozent afrikanisch und deutsch. Eine schöne bunte Mischung“, sagt sie stolz. Die sommersprossige blonde Nancy seht auf und tanzt. Musik ist hier das Wichtigste, die Party nimmt man gerne mit.