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Hartnäckige Outlaws

Atlético Madrid, Konterrevolutionär gegen den Ballbesitzfußball, will den Champions-League-Titel holen – und Real und Barça abhängen

Aus Barcelona Florian Haupt

Diego Pablo Simeone verfolgte den Coup in typischer Montur – enger, schwarzer Anzug, schmale Krawatte – und aus typischer Position: Er war mal wieder gesperrt. Von der Tribüne weit oben, aber wie üblich rastlos sah der Charles Bronson des Weltfußballs in Tallinn, wie das im siebten Jahr von ihm trainierte Atlético Madrid beim 4:2 nach Verlängerung im europäischen Supercup-Finale den Stadtrivalen Real am Ende regelrecht aus­ein­andernahm. Der nächste Coup für Simeones erstaunlich hartnäckige Outlaws, die immer wieder die eta­blier­ten Verhältnisse aufmischen. Und die ihr jahrelanges Werk diese Saison endgültig kulminieren könnten.

Wenn am heutigen Freitag die neue Spielzeit in der Primera División beginnt, gibt es gute Gründe, den Streifzug durch den Favoritenkreis mit Atlético zu beginnen. Schon weil der bei der WM erfolgreiche und seitdem eifrig studierte Spielstil Frankreichs in vielerlei Hinsicht aus dem Labor Simeones stammt, dem Konterrevolutionär gegen den Ballbesitzfußball. Aber auch, weil sich Atlético durch seine Erfolge und seinen Stadionumzug vom Verkaufs- zum Einkaufsklub wandeln konnte. Für Thomas Lemar (65 Millionen Euro von AS Monaco) wurde so tief in die Tasche gegriffen wie nie in der Vereinsgeschichte. Der Abgang des gealterten Strategen Gabi Fernández wurde durch die Verpflichtung des hochveranlagten Jungnationalspielers Rodri (20 Millionen Euro von Villarreal) kompensiert, in dem viele einen neuen Sergio Busquets sehen. Vorn ist Diego Costa nach seiner schwierigen Rückkehr im Winter von Chelsea wieder voll integriert und war mit zwei Toren prompt der Star in Tallinn. Und auch der bisher wichtigste Sommerzugang der gesamten Liga spielt für Atlético.

Wobei Antoine Griezmann streng genommen ja einfach nur dageblieben ist. Allerdings fühlte sich sein Abgang zum FC Barcelona schon so sicher an, dass die letztliche Entscheidung zum Verbleib für einen Euphorieschub im Vereins sorgte. „Man hat gesehen, dass ich mich nicht geirrt habe“, jubilierte der Franzose nach dem Supercup-Finale. Mehr denn je zum Leader entschlossen, schenkte er jedem Mitspieler in Tallinn einen Siegerring, in den sozialen Netzwerken postete er dazu eine Montage, auf dem ihm Real-Kapitän Sergio Ramos eine Krone aufsetzt. Atlético fühlt sich bereit zur Thronübernahme, das Ziel ist klarer denn je: der zweimal gegen Real (2014, 2016) dramatisch knapp verpasste Champions-League-Sieg. Zumal und vor allem, da das Endspiel diese Saison im eigenen Wanda Me­tro­po­litano stattfindet.

Dieser Umstand stimuliert natürlich auch den Stadtrivalen, zuletzt dreifacher Sieger. Doch die erste internationale Finalniederlage seit 2000 – erlitten trotz 2:1-Führung – verstärkt den Eindruck von Dekadenz. Schon vorige Saison übertünchte nur der Europapokalsieg eine katastrophale Kampagne in der Liga mit 17 Punkten Rückstand auf Barcelona. Seither verließen mit Trainer Zinédine Zidane und Cristiano Ronaldo der Kapitän und der Erste Offizier das – sinkende? – Schiff. Neuer Coach ist jetzt Julen Lopetegui, eigentlich nur vierte bis fünfte Wahl, und für Ronaldos durchschnittlich 50 Saisontore ist kein Ersatz in Sicht. Die Erneuerung beschränkt sich bisher auf Perspektivspieler wie den 18-jährigen Brasilianer Vinicius (45 Millionen von Flamengo) und einen Placebo auf der Torwartposition. In Thibaut Courtois (35 Millionen von Chelsea) gibt es neben Keylor Navas jetzt einen zweiten Weltklassemann, wo nur einer spielen kann.

Atlético Madrid hat sich zuletzt vom Verkaufs- zum Einkaufsclub gewandelt

Bleibt Titelverteidiger Barça, der den robusten Mittelfeldgrätscher Pau­lin­ho gegen den robusten Mittelfeldgrätscher Arturo Vidal eintauschte und darüber hinaus ordentliche Geldsummen für zwei 21-jährige Brasilianer ausgab, die nicht einmal im WM-Kader standen. Mittelfeldmann Arthur (31 Millionen von Grêmio Porto Alegre) soll sich als „neuer Xavi“ versuchen, wo inzwischen auch Andrés Iniesta fehlt. Von Außenbahnspieler Malcolm (41 Millionen von Girondins Bordeaux) werden Tempo und Dynamik erwartet sowie Antrieb für den ähnlich veranlagten Ousmane Dembélé. Der Franzose gilt nach seinem ansehnlichen Siegtreffer im spanischen Supercup gegen Sevilla (2:1) vorerst als hoffnungsvollster Neuzugang – seine Debütsaison war schließlich zum Vergessen. Ansonsten war das einst so unverwechselbare Barça-Spiel auch wieder so gediegen handelsüblich wie meistens unter Trainer Ernesto Valverde, der dieses Jahr vor allem an der Champions League gemessen werden wird.

Zumindest in der wird Messi dann auch wieder auf Ronaldo treffen können. Neun Jahre lang prägte dieses Duell den spanischen Fußball. Nun beginnt eine neue, ungewisse Ära. Nicht nur für die Ligavermarkter. Sondern vor allem für Real. Wer dachte, dass es immer so weitergeht, irrte.

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